Dienstag, 19. März 2024

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Sommerserie: Dialekte in Deutschland
Teestunde auf Ostfriesisch

300.000 Tassen Tee trinkt ein Ostfriese durchschnittlich in seinem Leben. Das sind 290 Liter Tee pro Person und Jahr. Die Tee-Tied, wie die Tee-Zeit auf Plattdeutsch heißt, gehört zu Ostfriesland einfach dazu. Genau wie die Sprache, in der Elemente aus dem Niederländischen, dem Deutschen, Englischen und Französischen zu finden sind.

Von Almuth Knigge | 21.07.2016
    Ostfriesische Teeküche im Teemuseum Norden, Ostfriesland, Landkreis Aurich
    Sieben Pfund Tee verbraucht ein Ostfriese durchschnittlich im Jahr. Bald könnte die Ostfriesische Tee-Zeremonie sogar zum Weltkulturerbe gehören. (imago stock&people)
    Ostfriesische Gemütlichkeit hält stets ein Tässchen Tee bereit. Und einen Klönschnack – aber nur, wenn man will – es geht auch still. Teezeit in Carolinensiel, dem gemütlichen Fischerdorf an der Nordseeküste.
    "Mein Name ist Gisela Albers, ich bin eine echte Ostfriesin, ich bin mit Tee großgeworden - das heißt nicht nur mit Tee, auch mit anderen Sachen natürlich - deswegen kann ich auch einiges über den Tee erzählen."
    Gisela Albers ist eine ältere Dame mit schlohweißem Haar und blitzeblauen Augen, in denen sich der Schalk versteckt hat - auf solche vielleicht etwas altmodischen Beschreibungen kommt man, wenn man vor der ostfriesischen Teetafel sitzt, mit dem feinen kleinen Geschirr, das die ostfriesische Rose ziert - im Rücken die Nordsee – mit am Tisch, Touristen, denen Gisela Albers regelmäßig das echte Teetrinken beibringt – dieses Mal zwei Schweizer und zwei Rheinländer.
    Ostrfriesisch: Mix aus Niederländisch, Deutsch, Englisch und Französisch
    "Haben Sie irgendwas verstanden?" - "Kaum" - "Muss man sich sehr drauf konzentrieren."
    Um aus dieser Mischung aus Niederländisch, Deutsch, Englisch und Französisch irgendetwas zu verstehen.
    "Ja ich hab schon was verstanden." - "Worum ging es, ganz grob?" - "Wie der Tee dahin gekommen ist, dass was Neues gekommen ist, dass die Bauern das nicht gekannt haben, dass es was Besonderes ist, weiß nicht, ob ich das richtig verstanden habe und dass man eine Genehmigung brauchte - gut, das ist ein deutsches Wort - und so weiter."
    Böse Stimmen munkeln, dass der Tee den Ostfriesen zunächst von oben herab als Ersatzdroge für das bis dahin in Übermaß konsumierte Bier verordnet wurde.
    "Irgendjemand hat sich beschwert, dass die Frauen so viel Bier tranken und dann immer betrunken waren, und dann war der Tee eine willkommene Abwechslung, dass die Frauen nicht mehr so viel dem Alkohol zusprachen." - "Richtig. Und es gab nicht mehr so viel Streit und Schlägereien."
    Der Tee als Friedensstifter – das passt: Aber kaum hatten sich die Ostfriesen dran gewöhnt, gab es einen Erlass Friedrichs des Großen im Mai 1777 – in dem das Trinken des chinesischen Drachengiftes, wie Friedrich den Tee nannte, verboten wurde. Knapp zwei Jahre später siegte die ostfriesische Sturheit und das Gesetz war wieder vom Tisch. Seitdem gehört der Tee zu Ostfriesland und den Ostfriesen wie das Salz in die Nordsee.
    "Teetied is immer so um drei etwa - um 15 Uhr - und wenn dann da Visite kommen deid - Visite - englisch - ne, dann gibt es immer Tee."
    Tee-Tied: Tee-Zeit auf Ostfriesisch
    Eine Teestunde, sagt man hier, dauert länger als 60 Minuten.
    "Ja, wenn man Tee trinkt, muss man Zeit, muss man Tied haben - darum sagen wir auch - is nu Tee-Tied."
    Das liegt auch daran, dass das Teetrinken einem strengen Ritus unterliegt.
    "Wir haben die Tassen schon hingestellt, das sind kleine Tassen, Teetassen gehören dazu, kleine Löffel auch, ist kein Kindergeschirr, das passt alles so zusammen, dann haben wir den Zucker auf dem Tisch, Kluntje auf Plattdeutsch, denn heb wer de Rohm op Tisch, plattdeutsch, hochdeutsch Sahne. So nu heb wir uns Tassen hier op Tisch und was kommt erst in de Tass? Ein Stück Kluntje."
    Dieser dicke weiße Kandiszucker, der aussieht wie der Eisberg, an dem die Titanic zerschellt ist.
    "So, jetzt kommt die Krönung, nu heb ich hier 'nen Krug met Rohm und nu kommt in jede Tass lütt Lepel Rohm - dat mach ich von rechts nach links - nicht im Uhrzeigersinn un nu kummt de Wolkje."
    Die kommt aber nur, wenn man flüssige Sahne nimmt, mit Magermilch geht da gar nichts. Aber warum wird die Sahne von rechts nach links in den Tee geschüttet?
    "Wir wollen die Zeit ja hier aufhalten - deswegen."
    300.000 Tassen Tee pro Ostfriesenleben
    Wenn die Sahne sich durch den Tee arbeitet und Wölkchen wieder an die Oberfläche kommen – dann entstehen Bilder – viel schöner als beim Bleigießen zu Silvester.
    "Eine ältere Dame sagte, oh, sagt sie, ich sach, was ist los, es sieht genauso aus als wenn mein Pudel mich anguckt. Die schwarzen Augen, die schwarze Nase, das war auch so."
    Da ist er dann, dieser magische Teemoment - erst schmeckt man die weiche, schwere Sahne mit ein bisschen Tee, dann schmeckt man den kräftigen Tee ein bisschen mit Sahne – und dann die Süße des Kandis.
    "Drei Tassen ist Ostfriesenrecht und wenn man nicht mehr möchte, dann tut man den Löffel in die Tasse."
    Unkundige dieses Ritus sollen schon dabei beobachtet worden sein, wie sie Dutzende Tassen Tee trinken mussten…
    "Also, dann ist man auch ganz entspannt. Dann het man die Sörgn son betn vergeten, wenn man de Tee dann drunken het."
    Es wird geschätzt, dass sich ein Ostfriese in seinem Leben mit 300.000 Tassen Tee den Magen wärmt, oder auch 290 Liter pro Person und Jahr. Was kein Wunder ist, bei drei Tassen in jeder der vier Teepausen: die erste früh am Morgen, dann gegen 11 Uhr, das "Elführtje", eine am Nachmittag und dann noch einmal am Abend. Und wenn man dann wieder auseinandergeht, ganz entspannt und mit sich im Reinen, dann muss man auch nicht mehr viele Worte finden. Nur so viel:
    "Hol di munter. Wir sind nicht so gesprächig. Wir sagen nur das nötigste - und deswegen - hol di munter - mak goat."