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Sonderschulen für Chancenlose

Sie sind eine kleine Minderheit, aus Sicht der meisten Tschechen verursachen die Roma aber die größten gesellschaftlichen Probleme. Schon zu kommunistischen Zeiten wurden sie als "kriminelle Gruppe" gebrandmarkt, und daran hat sich bis heute wenig geändert. Amnesty International spricht in einem jüngst vorgelegten Bericht deshalb von systematischer Diskriminierung.

Von Christina Janssen | 25.01.2010
    Es sieht aus wie eine kleine heile Welt: In dem mit bunten Bastelarbeiten geschmückten Klassenzimmer sitzen 18 Mädchen und Jungen im Kreis, singen und kichern. Eine Lehrerin und eine Assistentin betreuen die Erstklässler.

    Doch die Grundschule Havlickovo Namesti in Prag-Zizkov ist keine normale Schule. Hier landen nur Kinder, die als leicht geistig behindert eingestuft wurden. Fast alle von ihnen sind Roma, und das findet Direktorin Irena Meisnerova ganz normal:

    "Die Roma-Kinder sind Schüler, die eine besondere Betreuung brauchen, weil sie beim Lernen Probleme haben. In den normalen Schulklassen mit 30 Schülern sind sie meistens unglücklich, denn dort schaffen sie das Pensum nicht und sind immer die Schlechtesten."

    Weil das die meisten Pädagogen so sehen, werden viele Roma-Kinder automatisch auf eine Sonderschule geschickt. Das stimmt auch Schulleiterin Meisnerova nachdenklich:

    "Dass in Tschechien 27 Prozent der Roma-Kinder auf eine Sonderschule gehen und nur 2,5 Prozent der anderen Kinder, das ist schon ein Missverhältnis."

    Vielerorts hat sich praktisch ein separates Schulsystem entwickelt - für Romakinder und andere, weiße Kinder, wie man in Tschechien sagt. Amnesty International spricht deshalb von systematischer Diskriminierung. Das Schlimmste sei aber, so die amerikanisch-stämmige Menschenrechtsaktivistin Gwendolyn Albert, dass die Roma selbst inzwischen mitspielten:

    "Inzwischen werden die Sonderschulen schlicht als die "Romaschulen" betrachtet. Und viele Roma-Eltern wollen auch, dass ihre Kinder auf diese Schulen gehen, denn sie möchten, dass die Kinder alle zusammen sind. Wenn sie versuchen, ihre Kinder auf andere Schulen zu schicken, dann sind sie rassistischen Angriffen ausgesetzt - von Mitschülern, Lehrern und Schulverwaltungen."

    Mit diesem Teufelskreis will sich Sylvia Horvathova nicht abfinden. Sie ist alleinerziehend und lebt mit ihren acht Kindern in einer kleinen, aber hübsch herausgeputzten Plattenbauwohnung. Ihre älteren Kinder gingen zunächst alle auf die Sonderschule. Bis die 38-Jährige begriff, was das bedeutet:

    "Je älter ich werde, desto wichtiger wird das Thema Bildung für mich. Deswegen kämpfe ich dafür, dass alle meine Kinder auf normale Schulen gehen können, dafür werde ich alles tun."

    Unterstützt wird Sylvia Horvathova dabei von der tschechischen Hilfsorganisation Mensch in Not. Aus eigener Kraft, meint die Mutter, sei es kaum möglich, den Kampf gegen die Behörden zu gewinnen.

    "Ich habe mich schon früher darum bemüht, dass meine älteren Kinder auf eine normale Schule wechseln können, weil ich gesehen habe, dass sie schlau genug sind. Aber das war ein großes Problem. Keine Schule wollte sie annehmen, weil Roma-Kinder für Problemkinder gehalten werden."

    Es ist Mittag - Sylvia Horvathova kocht für ihre achtköpfige Rasselbande Gulasch. Alle haben inzwischen den Sprung auf eine normale Schule geschafft, doch dort haben sie es nicht immer leicht:

    "Von anderen Eltern und Schülern wurden unsere Kinder als Zigeuner beschimpft. Meine Kinder haben am Anfang gar nicht verstanden, was das heißen soll. - Oder die Eltern wollten zuerst nicht, dass ihre Kinder neben meinem Sohn Pavel sitzen. Deswegen hat er zwei Jahre lang alleine gesessen."

    Im Rückblick kommt Sylvias Sohn Pavel die Sonderschule deshalb wie ein kleines Paradies vor:

    "Dort hatte ich keine Probleme, die Lehrer haben sich bemüht, dass wir es schaffen. Aber besonders viel gelernt haben wir dort nicht. Immerhin hatte ich dort aber viele Freunde, und es hat mir Spaß gemacht."

    Trotzdem will er mehr: Das Abitur werde er wohl nicht schaffen, meint Pavel, aber wenigstens die Gewerbeschule.

    Dass das tschechische Schulsystem das Recht der Roma-Kinder auf Bildung beschneidet, hat der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte schon vor zwei Jahren kritisiert und die Regierung in Prag zu Gegenmaßnahmen verpflichtet. Aufgrund des steigenden internationalen Drucks hat die Politik nun auch reagiert:

    "Wir haben bereits neue methodische Richtlinien für die Sonderschulen beschlossen", erklärt Bildungsministerin Miroslava Kopicova:

    "Außerdem bereiten wir eine Änderung des Schulgesetzes vor. Und wir schulen alle Lehrer und Psychologen, die an der Einstufung der Kinder beteiligt sind. Denn es ist nötig, ihr Verhalten zu ändern."