Samstag, 20. April 2024

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Sondierungsgespräche in Berlin
"Nicht den kleinsten gemeinsamen Nenner suchen"

Ministerpräsident Daniel Günther (CDU) führt die Jamaika-Koalition in Schleswig-Holstein. Auch auf Bundesebene hält er ein schwarz-grün-gelbes Bündnis für möglich. Dafür müssten aber alle Partner ihre wichtigsten Projekte durchsetzen können, sagte Günther im Dlf - und warnt vor der Suche nach dem kleinsten gemeinsamen Nenner.

Daniel Günther im Gespräch mit Ann-Kathrin Büüsker | 16.10.2017
    Daniel Günther, CDU-Spitzenkandidat für die Landtagswahl, kommt am 07.05.2017 in den Landtag in Kiel (Schleswig-Holstein).
    Hat Erfahrung mit Jamaika: Daniel Günther, CDU-Ministerpräsident in Schleswig Holstein (dpa / picture alliance / Marcus Brandt)
    Ann-Kathrin Büüsker: Landtagswahl 2008: 42,5 Prozent. Landtagswahl 2013: 36 Prozent. Landtagswahl 2017: 33,6 Prozent. Der Abstieg der CDU in Niedersachsen, der scheint ein bisschen konstant zu sein. Seit gestern Abend sind die Konservativen nur noch zweitstärkste Kraft. Eine echte Enttäuschung und das kurz vor Beginn der Sondierungen auf Bundesebene. Die Union hatte sich nach dem schlechten Ergebnis bei der Bundestagswahl ja ohnehin intern in den Haaren. Hat das vielleicht auch ein bisschen zum schlechten Ergebnis beigetragen, dieser Streit, und was bedeutet diese Niederlage jetzt für die Sondierungsgespräche in Sachen Jamaika? Darüber möchte ich mit jemandem sprechen, der erste Jamaika-Erfahrung hat: mit Daniel Günther, CDU-Ministerpräsident von Schleswig-Holstein. Guten Morgen!
    Daniel Günther: Guten Morgen, Frau Büüsker.
    Büüsker: Herr Günther, haben Sie gestern am Wahlabend auch ein Statement der Bundeskanzlerin vermisst?
    Günther: Nein, das habe ich an dem Wahlabend nicht. Dafür gibt es ja auch andere in der CDU, die dazu Stellung nehmen können. Ich habe das ja gestern Abend selbst auch getan. Aber es war für uns kein schöner Abend. Wir hätten uns ein besseres Ergebnis gewünscht, mindestens stärkste Kraft zu werden. Das hat jetzt nicht geklappt und jetzt liegt es an der SPD, eine Regierung in Niedersachsen zu bilden.
    Büüsker: Herr Günther, wir hatten gestern Abend in unserer Wahlsendung hier im Deutschlandfunk das CDU-Urgestein Wolfgang Bosbach im Interview. Er hat da etwas gesagt, was mich hat aufhorchen lassen, und das hören wir uns jetzt noch mal kurz gemeinsam an:
    O-Ton Wolfgang Bosbach: "Ich erwarte jetzt von den Führungsgremien der Partei, dass sie die enttäuschenden Wahlergebnisse Bundestagswahl und Hannover ganz nüchtern analysieren, dass sie überzeugende Antworten finden auf die Frage, warum haben wir Vertrauen verloren, und bei den anstehenden Koalitionsverhandlungen in Berlin muss jetzt deutlich werden, welches politische Profil hat die Union, was unterscheidet uns von den anderen politischen Parteien, wofür stehen wir und was ist mit uns nicht zu machen."
    "Ergebnis in Niedersachsen hat klaren Landesbezug"
    Büüsker: Herr Günther, hat Wolfgang Bosbach recht, wenn er die Verantwortung auch auf Bundesebene sucht?
    Günther: Auf jeden Fall hat Wolfgang Bosbach recht, dass wir das Ergebnis genau analysieren müssen. Das ist aus meiner Sicht absolut zutreffend. Auch das Ergebnis für die Bundestagswahl. Das waren für uns keine freudigen Ereignisse an den Wahlabenden und von daher ist eine Partei immer gut beraten, wenn sie das vernünftig aufarbeitet. Ich glaube aber schon, dass man feststellen kann, dass das Ergebnis in Niedersachsen auch einen klaren Landesbezug hat. Anders ist es ja schwerlich zu erklären, warum die SPD deutlich über Bundestrend liegt, die CDU dagegen nur leicht verloren hat. Daraus jetzt Rückschlüsse wirklich auf den Bund zu ziehen, halte ich für verfehlt. Natürlich wäre es besser gewesen, jetzt mit einem Wahlsieg in die Verhandlungen reinzugehen, aber das ist jetzt nicht gekommen und Wahlen sind nie wünsch Dir was, und wir müssen jetzt das Beste daraus machen.
    Büüsker: Herr Günther, dann lassen Sie uns in die Fehleranalyse schauen. Was ist denn Ihr persönliches Fazit? Was hat die CDU bis hierhin falsch gemacht?
    Günther: Wir sind ja auch mit Blick auf die Bundestagswahl in den letzten zwei Jahren durchaus mit unterschiedlichen Gesichtern durchs Land gelaufen, und ich glaube, dass das einer Partei nie gut tut, wenn auf der einen Seite ein Flügel mit der Politik hadert, man am Ende das Gefühl auch den Wählerinnen und Wählern gibt, dass das eher sozusagen dem Frieden in der Partei geschuldet ist, dass man an einem Strang zieht, sondern es muss eine ehrliche Unterstützung, eine ehrliche Geschlossenheit sein, und ich glaube, das ist die beste Gewähr dafür, auch gut bei Wahlen abzuschneiden.
    Büüsker: Aber steht nicht Politik und Demokratie auch für inhaltlichen Austausch, für Streit? Muss man nicht auch über Themen intern in der Partei mal streiten?
    Günther: Absolut! Ich finde auch eine Diskussion über die Ausrichtung der Union absolut richtig. Aber genauso wie es Menschen gibt, die sagen, wir müssen jetzt konservativer werden, gibt es in der Partei ganz viele und nach meinem Dafürhalten auch die deutliche Mehrheit, die sagt, wir können nur in der Mitte Wahlen gewinnen. Ich finde auch, dass die Ergebnisse das ja gezeigt haben, dass die Landesverbände wie Schleswig-Holstein auch, die eher einen modernen Kurs machen, von den Wählerinnen und Wählern mit besseren Ergebnissen ausgestattet worden sind als diejenigen, die nun explizit konservativ sich ausgerichtet haben. Und was ich immer vermisse ist, dass diejenigen, die sagen, es muss konservativer werden, das nie mit Themen verbinden. Wofür steht denn eine konservativere Politik? Das wird immer aus meiner Sicht nur mit Floskeln bedient. Ich glaube, wir müssen uns um die konkreten Probleme der Menschen kümmern. Wir haben im Bundestagswahlkampf zu wenig über Zukunftsthemen gesprochen. Ich habe vermisst, dass wir uns über Fachkräftemangel austauschen, über Digitalisierung, auch über die Frage, wie kriegen wir die sozialen Sicherungssysteme in den Griff. Ich glaube, dass da eher der Schlüssel liegt, dass wir konkret gute Politik machen müssen, und dann gewinnen wir auch wieder mehr Vertrauen.
    "Österrreich ist kein Vorbild"
    Büüsker: Schauen wir mal auf den internationalen Vergleich. In Österreich, da haben die Konservativen gerade die Wahl gewonnen, und zwar mit einem Kurs, der wirklich stramm rechts ist. Das ist für Sie kein Vorbild?
    Günther: Das ist für mich überhaupt kein Vorbild. Im Übrigen hat die CDU ja in Niedersachsen mehr Prozentpunkte geholt als die ÖVP bei der Wahl in Österreich. Von daher ist das, finde ich, auch nicht der Schlüssel zum Erfolg, sondern …
    Büüsker: Ja, weil in Österreich noch eine deutlich rechtere Partei als die ÖVP, nämlich die FPÖ mit im Spiel war. Insgesamt haben da die Rechten schon den größten Stimmenanteil geholt.
    Günther: Ja. Aber wenn man das alles zusammenzählt, dann kommt man auch zu anderen Analysen bei der Bundestagswahl. Ich glaube nicht, dass das richtig ist, denn bei uns in Deutschland müssen wir ja auch feststellen, dass die AfD eine reine Protestpartei ist. Ich finde, dass man das auch ablesen kann, wenn man sich jetzt das niedersächsische Ergebnis anguckt, wo die AfD ja nur halb so stark abgeschnitten hat wie bei der Bundestagswahl. Augenscheinlich hat der Protest jetzt bei der Bundestagswahl ein Ventil gefunden und die Menschen haben das in Niedersachsen nicht mehr als notwendig angesehen. Von daher ist das etwas, was man aufmerksam beachten muss, aber ich glaube, denen hinterherzulaufen und zu glauben, mit einer konservativeren Ausrichtung holt man die Wählerinnen und Wähler zurück, an diese Theorie glaube ich schlicht nicht.
    Büüsker: Das heißt dann aber auch, denjenigen Wählern, die gerne konservativ, stark konservativ, tendenziell rechts wählen wollen, denen bleibt dann letztlich nur die AfD auf Bundesebene.
    Günther: Meine Theorie ist nicht, dass diese Wähler wirklich konservativ und stramm rechts wählen wollen, sondern sie wollen Probleme gelöst haben. Und diejenigen, die sich angesichts dessen, was in den letzten Jahren in Deutschland passiert ist, Sorgen machen, dass sie sagen, es sind viele Menschen in unser Land gekommen, bleibt Deutschland noch so, wie ich es schätzen und lieben gelernt habe, diesen Menschen müssen wir eine Perspektive bieten. Menschen, die aber sagen, wir wollen per se hier keine Menschen aus anderen Ländern haben, denen kann die Union dauerhaft auch keine Heimat bieten. Aber ich glaube, wenn wir hier einen Unterschied machen und einen klaren Kurs haben, dann werden wir einen großen Teil der Wählerinnen und Wähler auch wieder zurückholen.
    "Jamaika im Bund ist möglich"
    Büüsker: Dann gucken wir vielleicht noch mal gemeinsam voraus auf die in dieser Woche beginnenden Sondierungsgespräche in Sachen Jamaika-Koalition. Jetzt hat die CDU gerade eine Niederlage im Rücken. Was bedeutet das für die Sondierungsgespräche?
    Günther: Ein Sieg wäre besser gewesen, gar keine Frage. Aber es ist ohnehin aus meiner Sicht so, dass es auch nicht hilfreich gewesen ist, dass wir mit den Verhandlungen so spät begonnen haben. Ich glaube, man hätte sich besser profilieren können, wenn wir früher begonnen hätten, auch an einer Regierung zu arbeiten. Denn das, was die Menschen am meisten wollen und was Populisten auch klein macht, ist Handlungsfähigkeit von den Parteien, die es gut mit Deutschland meinen. Von daher wäre es gut gewesen, wenn wir früher angefangen hätten. Deswegen bleibt es aber auch dabei: Das ist auch nach der Niedersachsen-Wahl genauso richtig wie davor.
    Büüsker: Wir hatten heute Morgen hier schon Jürgen Trittin von den Grünen im Interview, der auch in den Sondierungsgesprächen sitzen wird, und der war insgesamt meinem Gefühl nach doch sehr skeptisch, wenn es darum geht, ob eine Jamaika-Koalition im Bund zustande kommen kann. Wie beurteilen Sie das? Ist Jamaika im Bund tatsächlich möglich?
    Günther: Das ist auf jeden Fall möglich. Wir haben während unseren Verhandlungen in Schleswig-Holstein immer wieder sehr skeptische Äußerungen gehabt, dass viele daran nicht geglaubt haben, dass wir ein solches Bündnis hinbekommen.
    Büüsker: Wenn ich da kurz einhaken darf? In Schleswig-Holstein mischt aber auch nicht die CSU mit.
    Günther: Das stimmt. Und trotzdem gab es diese skeptischen Stimmen. Diese gibt es jetzt auch im Bund. Ich glaube, wenn wir auf Berliner Ebene von dem lernen, wie wir es in Schleswig-Holstein gemacht haben, ist es auch möglich, nämlich dass man nicht den kleinsten gemeinsamen Nenner sucht. Wenn man den zwischen CSU und Grünen sucht, dann, glaube ich, wird der sehr, sehr klein sein. Sondern wir müssen gucken, dass alle Partner ihre wichtigsten Projekte auch durchsetzen können. Das müssen auch Projekte der CSU sein, aber es müssen Projekte von allen Parteien sein, die im Moment dort verhandeln. Wenn man das konsequent fortsetzt, dann hat so ein Bündnis auch eine Kraft, auch für die nächsten Jahre in Deutschland zu gestalten. Kleinster gemeinsamer Nenner ist reine Verwaltung. Dann macht ein solches Bündnis auch wirklich keinen Sinn.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.