Dienstag, 19. März 2024

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Songs und Poesie aus Island
Ohne Erinnerung keine Zukunft

Die isländische Musikszene ist so quirlig wie die Geysire. Geschichtenerzähler Svavar Knutur verpackt seine eigenen wie auch die Lieder seiner Großmutter in typisch nordische Folkmuster. Die Band Blagresi vertont in verträumtem Blue Grass die Gedichte des zeitgenössischen Lyrikers Einar Már Gudmundsson. Und der scheut sich nicht, den Finger in die Wunden der isländischen Gegenwart zu legen.

Von Jens-Peter Müller | 03.02.2017
    Der isländische Musiker Svavar Knutur mit Gitarre um den Hals breitet lachend seine Arme aus
    Ein großer Menschenfreund: Der isländische Musiker Svavar Knutur (Zippo Zimmermann)
    Man könnte meinen, die Isländer besäßen ein eigenes Gen für Kreativität. Ob Film, Literatur oder Musik, in diesem kleinen Land leben so viele Künstlerinnen und Künstler von internationalem Format wie nirgends sonst. Da sind Synergieeffekte programmiert.
    Island ist ein vergleichsweise junger Staat. Erst 1944 wurde die Realunion mit Dänemark aufgelöst und Island unabhängig. Seitdem ist das Land hoch oben im Nordwesten Europas wirtschaftlich und vor allem kulturell aufgeblüht. Flächenmäßig ist es der zweitgrößte Inselstaat Europas, aber hier leben nur knapp 340.000 Menschen. Man muss sich diese Zahl immer mal wieder vergegenwärtigen, um würdigen zu können, wie viele international bekannte Künstlerinnen und Künstler dieses Land hervorbringt. Darunter sind populäre Namen wie Sigur Ros, Björk, oder Mum. Aber auch bei uns unbekanntere wie die Sängerin Ragga Gröndal, die Singer/Songwriter Egil Olufsson und Svavar Knutur, sowie die Gruppe Blagresi.
    Musik:" Vid Gaflinn"- Blagresi
    Die Gruppe Blaugresi mit einen Titel aus ihrer aktuellen, auch in Deutschland erschienenen CD über ein verlassenes, isländisches Fischerdorf. Blagresi macht das, was der Gruppenname schon andeutet, nämlich am amerikanischen Bluegrass und Country orientierte Musik.
    Die Musiker der isländischen Gruppe Blagresi stehen jeder für sich und doch zusammen
    Musikalische Traumgebilde aus Island: Die Gruppe Blagresi (Foto Archiv)
    Der Titel der aktuellen Blagresi- CD "Was wenn der Himmel zusammenbräche" stammt wie alle Lied-Texte aus der Feder des Poeten und Schriftstellers Einar Már Gudmundson. 2012 erhielt er den Nordischen Literaturpreis. Vor einigen Wochen erschien sein aktuelles Buch auch bei uns in deutscher Übersetzung: "Isländische Könige". Danach gefragt, ob es auf Island wirklich eine besondere kreative Energie gibt, meint er:
    "Ich glaube, wir sind 30 professionelle Schriftsteller auf der Insel und in der Schriftsteller-Gewerkschaft sind 400 Autorinnen und Autoren organisiert. Sie alle müssen mindestens zwei Bücher veröffentlicht haben, um Mitglied zu werden.
    Bildung für alle war das Ziel in den 60ern
    Ich komme aus der Generation der in den 60er-Jahren Geborenen, als sich in Island der Wohlfahrtsstaat etablierte. Eines der wichtigsten Ziele war: Bildung für alle, egal woher jemand kam, jeder sollte was aus sich machen können. Und unsere Bücher lesen auch fast alle auf Island, nicht nur eine bestimmte Schicht, sonst könnten wir Autoren gar nicht überleben.
    In den 1990er-Jahren wurden dann auf der ganzen Insel Musikschulen eingerichtet. Ein faszinierendes Angebot an alle, ein Instrument zu lernen. Und die Bands, die heute international touren, sind ein Resultat davon. Was die Kreativität angeht, spielt wohl auch die Geographie eine Rolle: Wir leben hier fast ausschließlich in einem schmalen Streifen an den Küsten. Ansonsten sind 90% der Insel Lava- und Eiswüste. Also, wir sind es gewohnt, das Beste aus dem zu machen, was wir haben."
    Kämpferische Musiker
    Island ist eine Insel für kämpferisch eingestellte Musiker und Dichter, genau der richtige Ort für den Poeten und Liedermacher Heinz Ratz von der Kieler Band Strom und Wasser. Gerade hat er seinen spektakulären moralischen Triathlon beendet. Er war durch Flüsse geschwommen und für Obdachlose und Flüchtlinge zu Fuß und mit dem Rad durch Deutschland unterwegs. Am Ende jeder Tagesetappe gab er ein Konzert. Nun verfolgt Heinz Ratz eine neue Idee: In den nächsten Jahren will er in 10 europäischen Städten mit dort ansässigen Musikern gemeinsame Programme entwickeln. Seine erste Station war Reykjavik.
    Musik: "Heimar/Sanfter Regen" - Strom &Wasser
    Heinz Ratz, Liedermacher, aufgenommen am 01.02.2008 während der Aufzeichnung des ZDF-Wissenschaftstalk "Nachtstudio" zum Thema: "Ihr da oben - wir da unten, der Verlust der Mitte?" in den Berliner Unionfilmstudios.
    Der Liedermacher Heinz Ratz (dpa / Karlheinz Schindler)
    "Island ist sehr melancholisch, was ich letztlich auch habe: einen melancholischen Grundcharakter. Es hat eine große Einsamkeit, die natürlich für die Poesie wunderschön ist, es hat überwältigende Natur und es hat vor allem einfach etwas, was einen immer wieder auf sich selbst zurück wirft, und das íst natürlich die Quelle von jeder Poesie im Grunde genommen. Dass Du das Leben so durch Dich durch läßt und wieder bei Dir selber landest und es dem Leben wieder zurückgibst mit Worten und Melodien."
    Musik: "Ich denke an dich/Eg hugsa um dig" - Strom &Wasser
    Neben der Singersongwriterin Ragga Gröndal und ihrem Bruder, dem Saxophonisten und Klarinettisten Haukur Gröndal, hat Heinz Ratz auch den Sänger Egil Olaffson für sein großes Vorhaben begeistern können, das gemeinsame europäische Haus mit 10 neuen Kooperationsprojekten kulturell zu beleben. Herausgekommen ist dabei die Doppel-CD "Reykjavik" mit Texten von Ragga Gröndal, Egil Olafsson und Heinz Ratz, der dazu meint:
    "Die deutschen Texte sind komplett von mir und ich habe dann Ragga erzählt worüber das geht dort und dann hat sie das auf Isländisch vervollständigt. Egil ist selber mit Texten gekommen, da war das eigentlich eher umgekehrt, dass er seine Texte gebracht hat und ich dann reagiert habe und Texte, die von mir schon da waren, einfach wieder rausgenommen habe und mich sozusagen ihm ein bisschen angepasst habe. Oder aber wir haben gemeinsam wie bei Orpheus z.B. gedacht: Okay, ich würde gerne etwas über Orpheus machen, weil das mit Island passt, diese ganze Mythen- und Sagenwelt und der letzte Sänger. Er hatte immer gesprochen von der ersten Besiedelung Islands mit den irischen Mönchen und dann hat sich das einfach so vermischt."
    Musik: "Orpheus" - Strom &Wasser
    In Deutschland hat Heinz Ratz gerade mit Konstantin Wecker ein Büro für Offensivkultur gegründet zur Stärkung einer offenen, demokratischen Gesellschaft. In Island setzen Egil Olaffson und Einar Mar Gudmundson ihr künstlerisches Talent und ihre Popularität ebenfalls bei gesellschaftspolitischen Aktionen ein.
    "Wie man ein Land in den Abgrund führt"
    So war Einar Már Gudmundson einer der führenden Köpfe der Protestbewegung, die nach dem Platzen der Finanzblase in Island 2008 und dem daraufhin drohenden Staatsbankrott die verantwortlichen Politiker hart angriffen und zum Rücktritt zwangen. Der Schriftsteller verfasste eine vielbeachtete Abrechnung mit dem Finanz-System und seinen politischen Handlangern. Es findet sich in seinem auch ins Deutsche übersetzten Buch "Wie man ein Land in den Abgrund führt". Für die CD der Gruppe Blagresi hat er den Text "Alltaf samman sagan"/"Es ist immer die gleiche Sache‘ geschrieben. Darin nimmt er Bezug auf den 1998 verstorbenen isländischen Literaturnobelpreisträgers Haldor Laxness. Der hatte in seinen Büchern die leidensreichen 500 Jahre der kolonialen Herrschaft Dänemarks über Island beschrieben und die Worte gefunden: "Eure Ungerechtigkeit ist schlimm, aber eure Gerechtigkeit ist noch schlimmer."
    Musik: "Alltaf samman sagan" - Blagresi
    "Ich sehe Island als einen Mikrokosmos, der Prozesse auf der ganzen Welt spiegelt. Die Banken sind zusammen gebrochen, viele haben Schulden, aber das Leben existierte weiter, das haben sie uns nicht nehmen können. Für viele Isländer war die Krise ein Weckruf. Die Menschen merkten, dass sie dabei sind, etwas in sich zu verlieren. Viele haben angefangen, sich wieder mehr um das wirkliche Leben zu kümmern, Sie haben erkannt wie wichtig ihre kleinen Betriebe, die eigene Kultur und die Natur sind. Die wirtschaftliche Situation hat sich mittlerweile verbessert dank eines gigantischen Tourismusbooms.Aber die Krise ist nicht verschwunden, sie ist schwer zu beschreiben, es gibt viele Facetten, es ist auch eine soziale und moralische Krise."
    Das schreibt Einar Mar Gudmundson.
    Erinnerungen als Ressource
    Für ihn sind Erinnerungen eine der wichtigsten Ressourcen für jeden einzelnen Mensch und für die Gesellschaft. Sein aktuelles Buch erzählt in Form einer isländischen Saga, in der sich historische Fakten und Dichtung mischen, kunstvoll und sehr unterhaltsam eine isländische Familiengeschichte. Der Titel "Isländische Könige" ist ironisch gemeint, denn Könige gab es auf Island nie, nur immer wieder Menschen, die sich in einer fatalen Mischung aus Hochmut und übersteigertem Selbstbewußtsein dafür hielten.
    Erinnerungen sind "ein Kompass aus der Vergangenheit für die Zukunft, ein Stück Ewigkeit im Hier und Jetzt", schreibt Einar Már Gudmundson im Booklet zur CD der Gruppe Blagresi, die sein Gedicht "Vergiss deine Erinnerungen nicht" vertont hat.
    Vergiss deine Erinnerungen nicht,
    Flaschenpost im Sand, Schatten, die schleichen.
    Entlasse sie wie Vögel in die Freiheit.
    Erlaube ihnen dorthin zu fliegen, wo die Träume wohnen.
    Vergiss sie nicht, sie kommen wieder
    Mit der Ewigkeit in den Augen, hell und klar.
    Die Liebe ist dein Schloss,
    Die Erinnerungen deine liebgewonnenen Freunde.
    Wenn du frei sein willst,
    werde ich dich im Traum an die Hand nehmen,
    ich werde dir die Schatten, den Strand und den Sand zeigen,
    einen Traum, der mit den Vögeln hinaus in die Freiheit fliegt.
    (Einar Már Gudmundso)
    Musik: "Gleymdu beim ekki" - Blagresi
    Der Titel "Gleymdu beim ekki" stammt von der Blagresi CD "Was wenn der Himmel zusammenbräche": Tinna Marina Jonsdottir (Gesang), Leifur Björnson (Piano, Gitarren und Gesang) sowie Daniel Audunsson (akustische Gitarren und Gesang). Daniel Audunsson ist außerdem Mitglied der Folkband Arstidir, die wie viele andere Gruppen in den letzten Jahren international sehr erfolgreich unterwegs ist. Der isländische Markt ist für so eine Fülle von guten Musikformationen einfach zu klein. Das weiss auch der Singersongwriter Svavar Knutur. Mehrmals im Jahr nimmt er seine Gitarre und seine Ukulele, setzt sich in den Flieger, kauft sich ein Interrail-Ticket und tourt damit von Konzertort zu Konzertort.
    Musik: "Ulfar"- Svavar Knutur
    "Ulfar" ist Liebeslied, das Svavar Knutur für seinen Sohn Ulfar geschrieben und auf seiner aktuellen CD "Brot" veröffentlicht hat. Das Wort liest sich wie das deutsche Brot, ist aber in der isländischen Bedeutung von "Bruch" zu verstehen. Das Album von Svavar Knutur ist ebenso wie das der Gruppe Blagresi auch in Deutschland erschienen. Das Nürnberger Label Nordic Notes bemüht sich seit einigen Jahren intensiv um die Veröffentlichung isländischer CDs und hilft bei den Konzerttourneen.
    Svavar Knutur ist viel unterwegs, und deshalb gab es keine Chance, ihn am CD-Projekt "Reykjavik" und den Konzerten mit Heinz Ratz und der Band Strom &Wasser zu beteiligen. Ratz hätte ihn gerne dabei gehabt, aber ihn bei seinen Trips nach Island nie angetroffen. Doch im Geiste ist die Verbindung da.
    Isländische Mystik und Heinrich Heine
    Sowohl auf der CD "Reykjavik", als auch auf der letzten Live-CD von Svavar Knutur gibt es ein Lied mit einer isländischen Übertragung eines Gedichtes von Heinrich Heine. Es ist das Gedicht "Die Elfen", Svavar Knutur singt es auf der CD "Amma" in einer Nachdichtung des isländischen Poeten Jonas Halgrimson und mit einer von ihm komponierten Melodie. Dabei greift er auf die für die isländische Volksmusik so typische Moll-Stimmung und die sogenannte Organum-Harmonik anlehnt, bei der zwei Stimmen parallel in Quinten verlaufen. Es ist eines der Lieblingslieder von Svavar Knuturs Großmutter Svava. Alle Stücke auf dieser CD sind seinen beiden Großmüttern gewidmet. Es sind ausschließlich Traditionals oder auf Island bekannte Folk-Songs, aufgenommen live bei einem Art Wohnzimmer Konzert, bei dem auch seine Großmutter Svava anwesend war.
    Durch den Wald im Mondenscheine
    sah ich jüngst die Elfen reiten;
    ihre Hörner hört´ ich klingen,
    ihre Glöckchen hört´ ich läuten.
    Ihre weißen Rößlein trugen
    güldnes Hirschgeweih und flogen
    rasch dahin wie wilde Schwäne.
    Kam es durch die Luft gezogen
    Lächelnd nickte mir die Kön´gin,
    lächelnd im Vorüberreiten.
    Galt das meiner neuen Liebe,
    oder soll es Tod bedeuten?
    Musik: "Alfaredin"- Svavar Knutur
    "Früher glaubten wir an Elfen und Geister. Heute glauben wir an Wachstumsprognosen und unsere Priester kommen aus der Wirtschaft", schreibt Einar Mar Gudmundson. "Für mich persönlich und für viele Isländer gilt wohl, dass wir niemals diese Elfen oder andere Wesen gesehen haben. Aber wenn ich jemanden treffe, und er erzählt mir von diesen Begegnungen, dann diskutiere ich nicht mit ihm. Das ist Teil der isländischen Kultur und diese Geschichten haben eine Botschaft, denke ich: Respekt vor der Natur. Gerade in den letzten Jahren ist so viel an Natur in Island zerstört worden. Island hat ein besonderes Verhältnis zur Geschichte und zum geistigen Erbe und ist gleichzeitig ein hochmodernes Land. Wir sind führend was z.B. den Export von Computerspielen und neuer Fischereitechnologie angeht. Ich glaube, das eine muss das andere nicht ausschließen, wir sollten in dieser Welt mit vielen Elementen leben."
    Musik: "Du er som blaa bomid" - Strom &Wasser