Freitag, 19. April 2024

Archiv


Sonnenfeuer im Wasserglas

Am 23. März 1989 verkündeten die Chemiker Stanley Pons und Martin Fleischmann, sie hätten schwere Wasserstoffkerne, so genannte Deuteronen, in einem simplen chemischen Experiment miteinander verschmolzen. Bei der elektrischen Spaltung von schwerem Wasser sei in Kontakten aus Palladium mehr Energie freigeworden, als dem Experiment in Form von Strom zugeführt wurde. Anzeichen der Kernfusion sei ein Wärmeüberschuss.

Von Haiko Lietz | 05.06.2005
    Die Kernschmelze bei Raumtemperatur machte damals weltweit als "kalte Fusion" Schlagzeilen. Hastig versuchten Forscher in aller Welt, die vermeintliche Sensation zu bestätigen. Manche Labore meldeten dabei Erfolg, andere nicht. Die Datenlage war verwirrend, eindeutige Belege blieben aus. Also doch alles nur ein Messfehler? Die Fusion im Reagenzglas kam ins Gerede. Wer sich weiter mit ihr beschäftigte, riskierte seinen guten Ruf. Doch im Jahr 2002 berichtete erneut ein Forscherteam - diesmal im Wissenschaftsmagazin "Science" -, ihm sei die Kernschmelze auf dem Labortisch geglückt, diesmal - vereinfacht ausgedrückt - durch die Beschallung von Nagellackentferner.

    Bläschen-Fusion

    Forschungsbeginn:
    1999


    Forschungsziel:
    Realisierung einer kleinen Neutronen- und Energiequelle

    Forschungsstand:
    Das Experiment konnte bisher nicht von unabhängigen Experten wiederholt werden.


    "Kalte Fusion könnte Technik revolutionieren", schrieb die Tageszeitung "Die Welt" vor drei Jahren. Eine revolutionäre Technik zur Energieerzeugung entwickelt zu haben, wollte der Physikprofessor Rusi Taleyarkhan per Telefon auch gar nicht abstreiten. Mit kalter Fusion aber wollte er nichts zu tun haben:

    " Wir legen großen Wert darauf, dass wir nicht behaupten, Fusionsreaktionen bei Raumtemperatur zu erreichen. Wir erreichen Temperaturen, ähnlich wie im Inneren der Sonne."

    Die Bläschen-Fusion basiert auf der so genannten Sonolumineszenz.

    Sonolumineszenz bezeichnet das Phänomen, dass eine Flüssigkeit bei starker akustischer Anregung kurze Lichtblitze aussendet. Durch die Schallwellen werden Bläschen der Flüssigkeit in rasche Schwingungen versetzt. Sie dehnen sich stark aus und implodieren schließlich. Die dabei erreichbare Temperatur ist kürzlich mit 20.000 Kelvin beziffert worden. Für konventionelle Kernfusion, wie sie in der Sonne stattfindet, ist das etwa 100-mal zu wenig.

    Taleyarkhan und sein Team behaupten, durch die Verwendung von Aceton Temperaturen von bis zu zehn Millionen Kelvin erreicht zu haben. Gemessen haben die Forscher diese hohen Temperaturen noch nicht. Wohl aber Reaktionsprodukte, die auf eine Kernfusion hindeuten.

    Es gibt drei Arten Wasserstoff: leichter Wasserstoff mit nur einem Proton im Kern, Deuterium mit zusätzlich einem Neutron, und Tritium mit zwei zusätzlichen Neutronen im Kern. Bei der Fusion von Deuterium entstehen Neutronen und Tritium in gleichen Mengen.

    Taleyarkhan sagt, seine Messungen folgten diesem Gesetz der konventionellen Kernfusion. Er messe die Neutronen genau im Moment des sonnenheißen Lichtblitzes. Angeblich steht die Veröffentlichung mehrerer unabhängiger Bestätigungen des Experiments bevor. Doch bis dahin wird bei vielen der Zweifel bleiben - nicht zuletzt auch bei jenen Wissenschaftlern, die sich der klassischen heißen Fusion verschrieben haben.


    Heiße Fusion

    Forschungsbeginn:
    50er Jahre

    Forschungsziel:
    Demonstration der Machbarkeit eines Fusionsgroßkraftwerks ab 2015

    Forschungsstand:
    In mehreren Experimentalreaktoren werden weltweit die Grundlagen erforscht.


    Einer dieser Experimentalreaktoren steht in Garching am Max-Planck-Institut für Plasmaphysik, in einem Raum, groß wie eine Turnhalle. Der Physiker Wolfgang Suttrop zeigt auf eine rote Wand mit zwei Feuer spuckenden Drachen darauf.

    " Das ist die Neutralteilcheninjektionsheizung, und genau hinter den Drachen sind jeweils Ionenstrahlenquellen, die einen sehr hohen Strom produzieren, 80-Ampere-Ionenstrom. Und die senden ihren Strom in eine große Kiste, die Sie da links daneben sehen, und in dieser Kiste befindet sich neutrales Deuteriumgas. Da werden die Ionen durch Stoß mit dem neutralen Gas neutralisiert, denn wir haben ja ein großes Magnetfeld in unserer Maschine, und Ionen würden nicht durch das Magnetfeld hindurch in das eigentliche Plasma gelangen können. Also es wird neutralisiert, und dann gelangen Neutralteilchen in das Plasma. Deswegen heißt die Heizung...

    So, jetzt haben wir gerade die Aufforderung bekommen, die Halle zu verlassen, weil, es soll ein neues Experiment passieren. Wir können vielleicht nachher wieder reinkommen, aber vielleicht haben wir auch schon einiges gesehen."

    In Garching werden Kernfragen der Fusionsforschung untersucht. Das Wissen soll in den Bau des "Internationalen Thermonuklearen Experimentalreaktors" einfließen. ITER soll 2015 die Sonne auf die Erde holen.

    Bei der heißen Fusion wird ein Plasma aus Deuterium und Tritium in einem magnetischen Käfig eingeschlossen. Erhitzt man dieses Plasma auf 100 Millionen Kelvin, fusionieren die Wasserstoffkerne. Dabei werden Neutronen frei, die die Reaktorwand erwärmen. Diese Wärme wird abgeführt und in nutzbare Energie gewandelt. Abgesehen davon, dass Tritium leicht radioaktiv ist und die Reaktorwand für einige Jahre verstrahlt ist, entsteht kein radioaktiver Abfall.

    Der Aufwand, der für die heiße Fusion betrieben wird, macht deutlich, wie unerhört, ja revolutionär die Behauptung der Chemiker Pons und Fleischmann im März 1989 war. Wenn die beiden Recht haben, würde das bedeuten, dass das in Garching erhoffte Ergebnis auch durch Anlegen einer Spannung an ein Glas Wasser erreicht werden kann. Nach der spektakulären Ankündigung begannen auch am Max-Planck-Institut zwei Gruppen ihre Arbeit an der kalten Fusion. Hans-Stephan Bosch erinnert sich:

    " Wir haben im Wesentlichen versucht, das Pons/Fleischmann-Experiment durchzuführen und die spärlichen Informationen durch unsere Erfahrungen auf kernphysikalischem Gebiet zu ergänzen. Die Aussagen waren ja ständig, dass es irgendwelche Patentansprüche gäbe und man deswegen auch gar nichts erzählen könnte. Die Veröffentlichungen kamen erst Wochen später. Und mit der Veröffentlichung waren dann auch die elementaren Fehler ziemlich schnell klar."

    Nach mehreren Wochen kam die Gruppe in Garching zu dem Schluss:

    " Dass die kernphysikalischen Messungen in dem Papier falsch waren."

    Für die Garchinger Forscher waren die Behauptungen von Pons und Fleischmann damit mehr als zweifelhaft. Seit Veröffentlichung der negativen Ergebnisse Anfang 1990 hat man sich in Garching nicht mehr mit der kalten Fusion beschäftigt, sondern alle Energie in die heiße Kernverschmelzung gesteckt.

    Seit etwa 50 Jahren wird daran geforscht.

    Doch vor 2050 ist nicht mit kommerziellen Fusionskraftwerken zu rechnen.

    Die bisher größte Energieausbeute beträgt 65 Prozent der aufgewendeten Heizleistung.

    Noch nie hat eine heiße Fusion auf der Erde Energie produziert. ITER soll ab 2015 den Durchbruch und 500 Megawatt Leistung bringen.

    Die Investitions- und Betriebskosten innerhalb der nächsten 50 Jahre werden auf 60 bis 80 Milliarden Euro geschätzt.

    Die Forschung zur heißen Fusion hat es daher nicht leicht. Politiker denken nur ungern in so langen Zeiträumen. Ein Gutachten im Auftrag des Bundestags schätzt, dass Fusionskraftwerke kapitalintensive Großprojekte für die zentralisierte Stromerzeugung sein werden - ganz im Gegenteil zur kalten Fusion. Denn sollte die sich realisieren lassen, wäre sie eine dezentrale Energiequelle. Überlandleitungen würden dann der Vergangenheit angehören.


    Kalte Fusion

    Forschungsbeginn:
    1984

    Forschungsziel:
    Realisierung einer kleinen Kernfusionszelle zur Energiegewinnung

    Forschungsstand:
    Berichtet wird die Entstehung von Überschusswärme und des Fusionsproduktes Helium-4. Diese Messungen sind nicht in Einklang mit gängiger Theorie. Skeptische Wissenschaftler sprechen daher von den drei Wundern der kalten Fusion:

    Erstes Wunder:
    Die Deuteronen überwinden die Coulomb-Barriere und fusionieren. Erwartungsgemäß müssten sie sich ohne hinreichende energetische Anregung abstoßen, weil sie positiv geladen sind.

    Zweites Wunder:
    Es entsteht keine Gammastrahlung. Erwartungsgemäß wäre diese so hoch, dass die Experimentatoren daran hätten sterben müssen.

    Drittes Wunder:
    Es entsteht Helium-4. Erwartungsgemäß müsste Helium-3 und Tritium unter Abgabe von Neutronen entstehen.


    Im Keller des physikalischen Instituts der Technischen Universität Berlin erforschen Astrophysiker den Einfluss von Elektronen auf Fusionsprozesse. Dazu beschießen sie verschiedene Metalle mit Deuteronen, bis diese den Metallatomen richtig dicht auf der Pelle sitzen.

    " Also wir sehen im hinteren Bereich einen Linearbeschleuniger, der hier benutzt wurde, um Deuteriumionen von 50 kV bis hinab zu 5 kV zu beschleunigen. Das beginnt zunächst mit der Ionisierung. Danach erfolgt die besagte Beschleunigungsstrecke. Das Ganze geht dann in eine großräumige Target-Kammer, in der sich das Target mit dem zu untersuchenden Material befindet und die Detektoren, die es erlauben, die Ereigniszahlen der bei der Reaktion entstehenden Ejektile und ihre Winkelverteilung aufzuzeichnen."

    Armin Huke ist einer der Praktiker der Berliner Gruppe. Mit der beschriebenen Ausrüstung werden Fusionsereignisse in einem Metall herbeigeführt und deren Häufigkeit aufgezeichnet. Dass der Teilchenbeschleuniger irgendwie betagt aussieht, hat einen einfachen Grund.

    Der größte Teil dieses Equipments hat ein Alter von über 20 Jahren, weil die Zahl der Anschaffungen deutlich gesunken ist, wie die Etats in dem besagten Zeitraum.

    Zurück im Büro erzählt Huke den Hintergrund der Forschung:

    " Die Motivation bezieht sich zunächst einmal aus unserem Interesse für die nukleare Astrophysik, wie weit Plasmen in der Lage sind, Kernreaktionen zu verändern. Die Konsequenzen, die sich ergeben, haben allerdings Tragweite darüber hinaus, die auch gewisse Rückschlüsse auf die Ergebnisse und die Beobachtungen der kalten Fusion zulassen."

    Die Berliner Physiker arbeiten in ihren Experimenten in einem Energiebereich, der zwischen dem der kalten und der heißen Fusion liegt. In diesem Bereich wird eine bestimmte Anzahl von Kernverschmelzungen erwartet.

    Doch die Berliner messen mehr Fusionsprodukte, als es laut Theorie geben dürfte.

    " Die kalte Fusion unterscheidet sich von der heißen Fusion primär, wie der Name schon sagt, in dem Temperaturbereich, in dem das Ganze stattfindet. Und was eben auch von entscheidender Bedeutung ist, die Dichte, die in dem System vorherrscht. Während die heiße Fusion eine äußerst geringe Dichte hat, die im Druckgebiet von Vakuum liegt, ist es bei der kalten Fusion so, dass man die üblichen Dichten des Festkörpers hat, die mehrere Größenordnungen darüber liegen. Man kann es im Prinzip so zusammenfassen: Damit die Fusion stattfinden kann, muss die Energie der Teilchen entweder hoch genug sein, um die Coulomb-Barriere zu überwinden, oder man muss versuchen, die Breite der Coulomb-Barriere so weit zu verkleinern, dass das Tunneln mit erhöhter Wahrscheinlichkeit stattfindet. Und das erfolgt durch die Elektronenabschirmung die in dem dichten Plasma des Metalls wesentlich höher ist."

    In anderen Worten: Elektronen verringern die Abstoßung der positiv geladenen Kerne und erleichtern ihre Verschmelzung. Womit ganz herkömmliche Astrophysik das erste vermeintliche Wunder der kalten Fusion eher rational erscheinen lässt. Sich auch der anderen beiden Wunder anzunehmen, dafür haben die Berliner kein Geld. Sie haben so ziemlich alles aus ihrer 20 Jahre alten Ausrüstung rausgekitzelt. Doch das Ziel haben sie klar vor Augen:

    " Kurz gesagt, wir wollen die Einzeleffekte untersuchen, um dann am Ende zu einer Aussage gelangen zu können, ob es möglich ist, eine Zelle in der Weise zu bauen, dass sie zur Energieerzeugung in der Lage ist, oder ob man aufgrund dieser Erkenntnisse sagen kann, es wird nicht reichen.

    Sicher ist bislang jedoch nur, dass es bei der niederenergetischen Kernfusion eine Regelabweichung gibt.

    Je langsamer die fusionierenden Kerne sind, desto stärker werden sie durch Elektronen abgeschirmt.

    Diese ungewöhnlichen Ergebnisse werden mittlerweile von Universitäten in Bochum und Japan bestätigt. Doch die Bundesregierung subventioniert lieber die Kohleverbrennung mit Milliardenbeträgen, als die Erforschung einer potentiellen Energiequelle mit ein paar Hunderttausend Euro zu fördern."

    In wissenschaftlichen Fachmagazinen findet sich eine Reihe von Artikeln über die kalte Fusion. Immer wieder berichten Forscher aus aller Welt darin von der Entstehung von Überschusswärme und der Messung von Fusionsprodukten. Doch was ist wirklich dran am Sonnenfeuer im Wasserglas?

    Anfang November 2004 wurde auf der elften "Internationalen Konferenz über Kalte Fusion" im französischen Marseille eine laufende Kalte-Fusions-Zelle präsentiert. Sie ist so klein, dass sie in einen Koffer passt. Jean-Paul Biberian ist Vorsitzender der Fachkonferenz:

    " Wir haben hier zwei identische Zellen in Reihe. Es fließt also der gleiche Strom durch beide Zellen. In der Kontrollzelle sind Platin-Elektroden und leichtes Wasser. In der aktiven Zelle ist eine Platin-Anode, eine Palladium-Kathode und schweres Wasser. Auf beiden Seiten habe ich die Temperatur gemessen, bei der Kontrollzelle 77 Grad und bei der aktiven 74 Grad. Die aktive Zelle ist momentan also kälter. Allerdings ist auch ihre Spannung niedriger: 2,95 Volt verglichen mit 3,29 Volt bei der Kontrollzelle. Wenn man diesen Leistungsunterschied berücksichtigt, haben wir etwas Überschusswärme bei der aktiven Zelle."

    Die Universität Marseille, an der Biberian Physik lehrt, hat kein Problem damit, die kalte Fusion öffentlich zu unterstützen. Warum auch? Die Studenten und Wissenschaftler drängen sich um das Experiment wie das Deuterium im Metallgitter.

    John Dash beobachtet das Treiben etwas aus der Ferne. Der Physikprofessor hat die kalte Fusion 1989 mit als erster wiederholt und ist Entwickler der Fusionszelle, die gerade präsentiert wird - übrigens nicht zum ersten Mal:

    " Auf der letzten Konferenz haben meine Schüler dieses Experiment demonstriert. Sie bekamen 0,9 Watt Überschusswärme. Dann kam ein Italiener und fragte mich, ob ich es seinen Schülern in Asti zeigen könnte. Auch die waren erfolgreich. Ich glaube sie hatten zweieinhalb Watt. Dann entschloss sich eine Lehrerin aus Mailand, es an ihrer Schule zu machen. Die Schüler dort schafften 8 Watt Überschusswärme. Und vor ein paar Wochen machten chinesische Studenten das Experiment, und auch die waren erfolgreich. Sie produzierten 2 Watt Überschusswärme bei zwei aufeinander folgenden Durchläufen. Es sieht aus, als würde es überall auf der Welt klappen."

    Auf der elften Fachkonferenz zur kalten Fusion seit 1989 trafen sich 137 Teilnehmer aus 21 Ländern von fünf Kontinenten. In fast allen Industrieländern, aber auch in Indien und China gibt es Labore, die erfolgreich an der kalten Fusion gearbeitet haben. Doch die größte Aufmerksamkeit und Anerkennung erhielt in Marseille der vielleicht unauffälligste Mann. Roger Stringham hat eine Form der kalten Fusion entwickelt, die der Bläschen-Fusion recht ähnlich ist.


    Sono Fusion

    Forschungsbeginn:
    1989

    Forschungsziel:
    Realisierung einer kleinen Energie- und Wärmequelle

    Forschungsstand:
    Ein Prototyp produziert auf Knopfdruck Wärme, ist aber in der Fachwelt praktisch unbekannt.


    " Ich beschäftige mich seit 15 Jahren mit der Bildung von Dampfbläschen in Flüssigkeiten. Dabei entstehen so hohe Energiedichten, dass es in Metallen zur Kernfusion kommt."

    Die Sono Fusion ist praktisch ein Zwischending aus klassischer kalter Fusion durch Elektrolyse und Bläschen-Fusion. Anders als bei der Bläschen-Fusion nutzt Roger Stringham den Schall wie eine akustische Schleuder, um Deuteronen in ein Metallgitter zu schießen, zum Beispiel in Palladium.


    " Schon mit dem ersten System hatte ich Überschusswärme produziert. Das war vor vielen Jahren am Los Alamos Nationallabor. Wir wollten die zu erwartende Gammastrahlung messen, was ja sehr wichtig für die Gesundheit der Experimentatoren ist. Aber es gibt keine Strahlung. Stattdessen haben wir die Fusionsprodukte Helium-4 und Tritium gemessen. Wir waren also recht erfolgreich."

    Mit 75 Jahren hat Roger Stringham heute ein kleines Labor auf Hawaii. In den 90ern hat er am Stanford Research Institute gearbeitet. Sein damaliger Geldgeber Tom Passell erinnert sich noch genau an die Versuche, die erwarteten Fusionsprodukte zu messen, um den Zweiflern den Wind aus den Segeln zu nehmen. Doch:

    " Alle Tritium- und Neutronen-Messungen waren zu gering, um die Überschusswärme zu erklären. Was immer wir auch hatten, es war nicht die erwartete Deuterium-Fusion, die so lange in der heißen Fusion erforscht worden war."

    Noch heute zweifeln viele Wissenschaftler an der kalten Fusion, weil sie sich anders verhält, als erwartet wird. Nicht wenige haben in den letzten 16 Jahren die Theorie bemüht, um die Messungen für falsch zu erklären. Sollte es in der Forschung nicht umgekehrt sein? Für Wissenschaftler wie Stringham stehen nicht Teilchen oder Strahlung im Vordergrund. Ihm geht es um die Energiegewinnung.

    " Man kann vier dieser kleinen Sono-Fusion-Reaktoren zusammenschalten. Damit kann man etwa 320 Watt produzieren. Von diesen kann man wieder 32 zusammenschalten und damit 10.000 Watt produzieren. Dann kann man langsam von etwas sprechen, das ein kommerzielles Produkt sein könnte. Das Gerät liefert zwar keinen Strom, sondern nur Wärme. Aber die könnte man zur Erwärmung von Wasser oder zur Heizung eines Gebäudes benutzen. Es würde die Heizkosten ganz schön senken. Ich denke, dass verbesserte Reaktoren langfristig das Zeug haben, fossile Brennstoffe zu ersetzen. Wir würden die Rechte an unserer Technologie gerne verkaufen, wollen aber auch die Kontrolle darüber behalten. Ich mache mir aber nichts vor. Diese Sache ist so viel größer als wir. Sie spielt in einer viel größeren Arena."

    Das Problem mit der kalten Fusion ist, dass sie sich nicht sauber von der heißen Kernschmelze trennen lässt. Der Übergang von der heißen Fusion, wo die Reaktionsumgebung keine Rolle spielt, zur kalten Fusion, wo die Umgebung entscheidend ist, ist fließend. Und je nach Versuchsaufbau erhält man andere Fusionsprodukte. Wäre es nicht so folgenschwer, wäre es fast lustig, dass manche Wissenschaftler die einen Ergebnisse akzeptieren, aber die anderen nicht. Warum das so ist? Mit Sicherheit hat es mit der Natur des Menschen zu tun, neue, umwälzende Ereignisse zunächst zu verdrängen. Es gibt aber noch andere Gründe.

    Das US-Energieministerium hatte 1989 empfohlen, die kalte Fusion nicht im großen Stil zu erforschen. Viele Labore weltweit haben sich seitdem an diese Empfehlung gehalten. In den USA ist das Phänomen hauptsächlich durch Marine-Labore und das ehemalige Stanford Research Institute erforscht worden. Bis Mitte der 90er Jahre übernahm das Forschungsinstitut der amerikanischen Elektroindustrie unter Leitung von Tom Passell die Finanzierung. Seitdem wird Stanford Research gefördert von der DARPA-Behörde des Pentagons. DARPA hat auch die Erforschung der Bläschen-Fusion gefördert. Die US-Armee verspricht sich kleine, neuartige Batterien für den Einsatz an der Front. Ende letzten Jahres konstatierte das US-Energieministerium dann doch einen Forschungs- und Finanzierungsbedarf und setzte die kalte Fusion nach 16 Jahren der intellektuellen Isolation zurück auf die wissenschaftliche Agenda.

    Es gibt noch eine Episode, ohne deren Schilderung die Geschichte der kalten Fusion unvollständig wäre. Sie ist symptomatisch für die Art und Weise, wie Kritiker 1989 auf die Bekanntmachung reagiert haben. Bereits fünf Wochen danach bezichtigten zwei Heiße-Fusion-Forscher des Massachusetts Institute of Technology Pons und Fleischmann der Schlamperei bis hin zum Betrug. Die Namen der beiden sind Ronald Parker und Ronald Ballinger. Beide wurden 1990 selber Gegenstand eines Betrugsvorwurfs. Mit ihrer Gruppe am MIT hatten sie versucht, die kalte Fusion zu wiederholen. Obwohl ihr Messverfahren so ungenau war, dass die Entstehung von Überschusswärme im Rauschen untergegangen wäre, benutzten sie die Messergebnisse, um die kalte Fusion scheinbar zu widerlegen.

    Ronald Parker arbeitet heute an der Konstruktion des ITER-Reaktors und sitzt im Fachbeirat des Max-Planck-Instituts in Garching.

    Über Ronald Ballinger weiß Geldgeber Tom Passell zu berichten:

    " Ballinger sagte mir 1990, er würde das Überschusswärme-Phänomen gerne erforschen. Tatsächlich waren mehrere Leute, die zur heißen Fusion gehörten, gewillt, Gelder anzunehmen. Zunächst, um die kalte Fusion zu widerlegen. Und als sie sie nicht bestätigen konnten, fingen sie an, sie anzuprangern. Ich glaube, sie taten es unter dem Zwang, die Budgets für die heiße Fusion zu schützen. Gleichzeitig wollten sie aber am Ball sein, falls es doch klappen sollte. Aus eigener Erfahrung wussten wir ja, wie schwer es ist, den Effekt herbeizuführen. Es ist sogar sehr leicht, ihn nicht zu sehen."

    Die Erforschung der kalten Fusion ist von Anfang an geprägt durch Vorurteile, Grabenkämpfe um Forschungsgelder und politische Erwägungen. Aufgrund der zahlreichen positiven Experimente ist die Frage heute nicht mehr, ob die kalte Fusion funktioniert oder ob sie Energie produziert. Die Frage ist, ob sie sich zu einer kommerziellen Energiequelle entwickeln lässt. Dabei gibt es eine einfach Regel: Je mehr Geld in die Forschung fließt, desto eher ist mit Anwendungen zu rechnen. Damit die Forschung beginnen kann, muss allerdings die Mauer der Ablehnung abgerissen werden, die über die Jahre errichtet worden ist. Dass sich das lohnen könnte, liegt auf der Hand: In einem Kubikkilometer Meerwasser schlummert die gleiche Menge Energie wie in den gesamten bekannten Ölreserven.