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Sonntag aus Licht

Die Veranstalter - vorn an die fürs Südbadische zuständige Landesrundfunkanstalt - hatten "den dritten und abschließenden Teil des Sonntag aus dem Licht-Zyklus" von Stockhausen angekündigt, den das Zentrum für Kunst und Medientechnologie Karlsruhe zusammen mit dem Studio CCMIX Paris und der Kulturstiftung NRW vorfinanziert hat.

Von Frieder Reininghaus | 17.10.2004
    Es war nur ein Appetit-Happen vom "Sonntag", der da gestern verabreicht wurde: Der Schlußteil des zunächst auf sieben Tage ausgelegten Zyklus wird um Engel-Prozessionen, die Kapitel "Lichter - Wasser", "Düfte - Zeichen" sowie "Hoch-Zeiten" für Chor, "Hoch-Zeiten für Orchester" und einen "Sonntags-Abschied (im Foyer)" erweitert, also nach dem Willen des Komponisten um zwei weitere auf neun Tage gestreckt.
    Frisch von der Streckbank wurde den öffentlich-rechtlichen Geldgebern und deren Klientel ein Filetstück serviert, das in 41 kammermusikalischen Minuten gart: Licht-Blicke, die zu "Gottes Licht-Bildern" eskalieren. Vier Dreiecke aus Segeltuch in Orange, Hellgrün, Lila und Blaßblau an der Stirnfront der Donauhalle B. - Auftritt der Akteure in Sonntagmorgenmänteln: Der Trompeter Marco Blaauw in oranger Fantasie-Uniform, der Tenor Hubert Mayer mit einem hochgestimmt freudigen "Lobet GOTT!" und in Blau und Lila die beiden zur tieferen Zone der Familie gehörenden Frauen, die Stockhausens "Licht"-Projekt mit Flöte und Bassetthorn seit einem Viertel Jahrhundert wie einen cantus firmus durchziehen. Sie haben sich gut gehalten.
    Mit dem Einsatz des Interpreten-Quartetts setzt sich auch das Licht-Spiel in Bewegung. Unterm Datum vom Dienstag werden Pflanzen in den Blick genommen - vom Jasmin über die Weintraube bis zum Johanniskraut, mit Mittwoch das Tierreich vom Krokodil über die Ente, den Salamander bis zu Fuchs, Giraffe und Flußpferd: eine sängerische Handbewegung deutet dessen großes gefräßiges Maul an.

    Überhaupt wurden die Stellungen, Körperhaltungen und Bewegungen der Akteure ebenso planmäßig-minutiös auskomponiert wie die Tonhöhen, Tondauern, Mund- und Körper-Geräusche. Das reflektiert auf die vor allem in den 1960er Jahren zum Durchbruch gelangte Erkenntnis, daß alles, was lebendige Musiker präsentieren, per se theatral sei. Und so kommen, außer eben den viergeteilten Projektionen, keine weiteren Mittel hinzu, um das finale Stockhausen-Theater zu verdichten. Gegen das große symphonische Orchester hegt der Komponist seit langem ein tiefes Mißtrauen. Er hat für die resümierende Beschaulichkeit eine Art Kammer-Kantate vorgelegt, deren vier Stimmen sich im mitunter unverbunden wirkenden, weithin aber streng korrespondierenden Nebeneinander und Miteinander von vier solipsistischen Figuren entfalten: ein Gespinst, dessen Lineatur auf klassische kontrapunktische Techniken anspielen mag, jedenfalls auf die Idee der "durchbrochenen Arbeit". Es konstituiert eine Folie von Wohlklang in streng moderierter Bewegung, deren Sinn sich, wenn überhaupt, "rein musikalisch" erschließt.

    Der Komplexionsgrad des Produktionsprozesses, den die Partitur und zusätzlich publizierte Arbeitsmaterialien offenbaren, besagt wenig über Gehalt und Sinn der Komposition oder deren theatraler Wirksamkeit. Vielleicht verhält es sich wie beim Auftauchen großformatiger Barockkunst im Zuge der Gegenreformation: den einen erschien damals die streng begrenzte bunte Fülle als neue Offenbarung, den anderen als ein mit offizieller Macht bereitgestellter und durchgesetzter Kitsch. Was die Theater-Komponente betrifft, so bleibt sie bei Stockhausen - vorsätzlich oder unabsichtlich so geraten - einfach dilettantisch. Aber dergleichen sorgt im Glaubenskampf und Sektenmilieu eher für Zuspruch als für Skepsis.