Donnerstag, 28. März 2024

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Sophiensäle Berlin
Zukunft des Theaters

Wenn von der Zukunft des Theaters die Rede ist, dann wird meist über Geld gesprochen – über Geld, das fehlt. Bühnen müssen um ihr Überleben kämpfen. In den Berliner Sophiensälen wird jetzt die "Theatermaschine" vorgestellt – "ein modularer Abend zur Zukunft des Theaters".

Von Oliver Kranz | 29.11.2013
    "Guten Abend, ich bin Schauspieler. Und ich glaube an die Unsterblichkeit des Theaters. Das steht jedenfalls so in meinem Text…"
    … doch in Michael Meichßners Gesicht steht etwas anderes. Er trägt ein Narrenkostüm und scheint mit seiner Rolle, nicht besonders glücklich zu sein. Er verkörpert das traditionelle Theater.
    "Habe nun, ach, Philosophie, Juristerei und Medizin, und leider auch die Theologie durchaus studiert mit heißem Bemühen. Hier stehe ich nun ich am Markt vor und bin so klug als wie zuvor…"
    Der Faust-Monolog muss als Chiffre für inhaltsleeren Klassikerkult herhalten – ein Theater, das man in Zukunft nicht mehr sehen will. Die Gruppe Interrobang hat mit Hilfe eines Theatrofons Zuschauermeinungen zusammengetragen, einer telefonähnlichen Apparatur mit Aufnahmefunktion…
    "Im Theater der Zukunft werden die Theatermacher der freien Szene sich zu Genossenschaften oder zu größeren Einheiten zusammenschließen…
    Im Theater der Zukunft wird die große Spanne zwischen denen die Theater machen und denen, die Theater kucken, endlich verringert…
    Im Theater der Zukunft muss wieder Moral und Anstand stattfinden und nicht nur pure Unterhaltung…"
    Die Gruppe Interrrobang hat die aufgesprochenen Wünsche zusammengefasst und bringt sie bei der Aufführung in Berlin zur Abstimmung…
    "Das Theater als Arbeitsort muss meines Erachtens die Vielfalt der Gesellschaft wiederspiegeln. D.h. ich fordere Theaterstrukturen jenseits des mitteleuropäischen, weiß-männlich-bürgerlichen Habitus'. Ganz konkret: ich fordere, die Einführung einer Frauenquote, einer Migrationshintergrundsquote. Ich möchte eine kollektiv organisierte Intendanz, Kinderbetreuung selbstverständlich. Das Theater der Zukunft ist neu-demokratisch organisiert. Gelb."
    Gelb ist die Farbe des Stimmzettels, den die Zuschauer hochhalten sollen, die diese Position teilen. Alternativ werden eine neo-darwinistische und eine durch Lotterie bestimmte Struktur angeboten – mit teils so witzigen Argumenten, dass beim gestrigen Probedurchlauf das darwinistische Modell das Rennen machte.
    "Das erzählt auch viel darüber, wie Demokratie funktioniert. Welche Auswahlmöglichkeiten habe ich? Welche Worthülsen wähle ich? Wie frei bin ich in den Entscheidungen die ich treffe?"
    … erklärt Nina Tecklenburg von der Gruppe Interrobang. Zum eigentlichen Thema des Abends kann das Spiel allerdings nur wenig beitragen. Zukunftskonzepte, über die das Publikum abstimmt, werden viel zu hektisch präsentiert. Hochinteressante Vorschläge rauschen vorbei, weil sie nur in Stichpunkten skizziert werden.
    Die Zukunftsvision der Gruppe Copy & Waste hingegen hakt sich fest. Das Theater muss pornografischer werden, verkünden die Akteure und zeigen zum Beweis einen Film.
    "… wenn man eine Form suchen möchte, die viele Zuschauer findet … ist das vielleicht eine Form, auf die die Menschen heiß und geil sind – also ein Porno."
    … fragt Wilma Renfordt von der Gruppe Copy & Waste. Die Tendenz des Gegenwartstheaters immer nach dem Authentischen zu suchen, hat ihrer Meinung nach etwas Pornografisches…
    "…das ist das, was wir da zuspitzen wollten. Und auch dieses auf die eigenen Arbeitsbedingungen gerichtete Moment von: In was begeben wir uns herein, wenn wir freies Theater machen? Sind wir frei oder macht jeder einen Job, der an seinen eigentlichen Zielen oder Wünschen vorbei geht?"
    "Nee, die Arbeit ist toll. Ehrlich. Wo sonst hat man noch die Chance seinen Beruf zum Hobby zu machen…"
    … dieser leicht zynische Satz kommt schon nicht mehr von Copy & Waste, sondern von Michael Meichßner, Schauspieler dem im Narrenkostüm. Er ist am Deutschen Theater Göttingen engagiert und kann sich im Gegensatz zu seinen Kollegen aus der freien Szene über ein festes Gehalt freuen. Trotzdem muss er oft arbeiten bis zum Umfallen. Das Projekt Theatermaschine in den Berliner Sophiensälen nimmt die Vor- und Nachteile verschiedener Produktions- und Spielweisen unter die Lupe. Die Frage, wie das Theater der Zukunft aussehen wird, wird zwar nicht beantwortet, aber einen Eindruck von der Vielfalt und Vitalität der Szene bekommt man schon.