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Sorge vor Falschinformationen
"Die Russen haben begriffen, was man mit Informationsmanipulation machen kann"

Der deutsche Cyber-Sicherheitsexperte Sandro Gaycken hält die Sorge vor Manipulationen im Bundestagswahlkampf für begründet. Gezielte Stimmungs- und Meinungsmache sei eine reale Gefahr, sagte der Direktor des "Digital Society Institute" im DLF. Als Beispiele nannte er das Lancieren gestohlener Geheimdokumente, unechter Studien oder gefälschter Nachrichten.

Sandro Gaycken im Gespräch mit Tobias Armbrüster | 12.12.2016
    Sandro Gaycken, IT-Experte für Cyber Defence der der European School of Management and Technology in Berlin
    Sandro Gaycken, IT-Experte für Cyber Defence der der European School of Management and Technology in Berlin (imago stock&people)
    Ebenso würden in sozialen Netzwerken entsprechende Kommentare verbreitet, sagte Gaycken. So unterhalte etwa Russland hunderte Mitarbeiter in sogenannten "Troll-Fabriken". Auch benutze Moskau gerne Wikileaks zu seinen Zwecken. Dies täten allerdings auch Länder wie die USA, Großbritannien und Frankreich, betonte Gaycken. Deutschland hingegen sei hierfür bislang nicht bekannt.
    "Facebook zwingen"
    Falschmeldungen in sozialen Netzwerken müssten künftig gekennzeichnet werden, forderte Gaycken. So müsse Facebook zumindest hierzulande gezwungen werden, Fakenachrichten als solche zu kennzeichnen. Aus Sicht des IT-Experten hätte auch das US-Unternehmen ein Interesse daran, weil dies Facebooks Glaubwürdigkeit diene.
    Das "Digital Society Institute" wurde im vergangenen Jahr von mehreren Unternehmen gegründet, die unter anderem im Deutschen Aktien Index gelistet sind. Ziel ist, Prozesse der Digitalisierung zu erforschen und Strategien für Wirtschaft, Gesellschaft und Politik zu entwickeln.
    Vorbild US-Wahlkampf
    Politiker mehrerer deutscher Parteien warnen seit geraumer Zeit vor Einflussnahmen aus dem Ausland auf Abstimmungen. Zuletzt hatten US-Dienste Russland verdächtigt, die Präsidentschaftswahl zugunsten von Donald Trump beeinflusst zu haben, indem negative Meldungen über dessen demokratische Konkurrentin Hillary Clinton verbreitet wurden.

    Das Interview in voller Länge:
    Tobias Armbrüster: Es sind schwere Vorwürfe, die da laut werden, Vorwürfe vor allem gegenüber Russland und gegenüber russischen Geheimdiensten. Via Internet und via sozialen Netzwerken sollen sie versuchen, Einfluss zu nehmen auf Wahlkämpfe wie zuletzt etwa in den USA, etwa durch gezielt lancierte Falschmeldungen oder durch geleakte Dokumente. Immer mehr Politiker in Berlin warnen, dass auch wir in Deutschland davon nicht verschont werden bleiben. Das Ziel könnte vor allem der kommende Bundestagswahlkampf sein.
    Am Telefon in Berlin bin ich jetzt verbunden mit Sandro Gaycken. Er ist Experte für Cyber-Sicherheit. Er leitet als Direktor das Digital Society Institute in Berlin und er berät außerdem die NATO in Fragen der IT-Sicherheit. Schönen guten Tag, Herr Gaycken.
    Sandro Gaycken: Hallo!
    Armbrüster: Herr Gaycken, was könnte uns da blühen in den kommenden Monaten?
    Gaycken: Ja so einiges. Wir haben jetzt tatsächlich auch von den Russen, aber auch von vielen anderen Akteuren gesehen, dass die sehr gut begriffen haben, was man mit Information und Informationsmanipulation im Internet machen kann, wenn man gezielt vor kritischen Prozessen in einem genau ausgerechneten Zeitraum zum Beispiel vorher erbeutete Geheimdokumente leakt, die dann so eine halbe Geschichte erzählen und politische Meinungen in eine Richtung treiben, oder wenn man falsche Nachrichten irgendwo aufbaut, gefälschte Studien irgendwo reinschickt in Communitys, die sowieso leicht zu agitieren sind und das stark verbreiten.
    Das hat gezeigt, dass das schon sehr wesentliche Effekte hat und vor allen Dingen auch zur Radikalisierung von vielen Wählern führen kann kurz vor Wahlen, was dann tatsächlich natürlich auch einen destabilisierenden Effekt für Demokratien hat.
    Armbrüster: Sie haben jetzt schon ganz klar den Finger in Richtung Russland gelegt. Gibt es dafür wirklich eindeutige Belege, dass so etwas von Russland aus geschieht?
    Gaycken: Wir wissen von den Russen ganz sicher, dass die sogenannte Troll-Fabriken unterhalten, wo viele hundert Leute sitzen und tagtäglich positive Meldungen über Putin verbreiten oder negative Meldungen über andere in weltweiten sozialen Medien. Wir wissen auch von den russischen Nachrichtendiensten - das ist auch was, was die deutschen Sicherheitsbehörden immer wieder gesagt haben -, dass die gerne Wikileaks benutzen, um gestohlene Geheimdokumente dort in einem anderen Kontext zu veröffentlichen.
    Und so irgendwie politische Richtungen in irgendeine Diskussion zu treiben. Das sind schon Aktivitäten, die wir von da ganz klar beobachten, aber das machen natürlich auch viele andere Staaten. Das ist jetzt nicht nur Russland, auch Frankreich, auch die USA, auch viele andere sind da durchaus tätig.
    Armbrüster: Auch Deutschland?
    Gaycken: Deutschland nicht. Wir sind wie immer sehr zurückhaltend, gerade auch mit diesen Geschichten. Aber mehr die Großmächte natürlich, oder die, die sich für solche halten.
    Armbrüster: Ist das denn wirklich ein Umstand, den man einem Land zum Vorwurf machen kann, wenn es in diese Form der Medien oder der Mediennutzung eingreift? Ich meine, wir haben schon jetzt natürlich in jedem Land große Pressestellen der einzelnen Regierungen, Presseabteilungen, auch Informationsdienste, Mitarbeiter von regierungsnahen Organisationen, die sich immer darum kümmern, ihr Land in einem möglichst positiven Licht darzustellen.
    Ist das eigentlich etwas, das man einem Land zum Vorwurf machen kann, wenn es in sozialen Netzwerken aktiv ist und dort ein möglichst gutes Bild der eigenen Regierung zeichnet?
    "Sehr stark manipulativ"
    Gaycken: Man muss unterscheiden von offenem Marketing. Wenn man jetzt irgendwie als deutsche Partei zum Beispiel mal Werbung macht im Netz mit seinen Positionen, oder man hat Sprecher, die irgendwas sagen, das ist natürlich völlig legitim auch in sozialen Medien, sollte da auch stattfinden. Aber wenn man natürlich so tut, als wäre man jemand ganz anderes - das ist das, was diese Nachrichtendienste besonders gerne machen, dass sie so tun, als wären sie irgendeine eigene politische Bewegung im Land, als wären sie irgendwelche Aktivisten, als wären sie irgendwelche Whistleblower -, und dann das ganze dazu auch noch dramatisiert und vorher psychologisch aufbaut, um bestimmte Wirkungen zu erzielen, das ist natürlich schon sehr stark manipulativ.
    Da kann man das nicht mehr, gerade weil der Sender so verschwindet und die Interessen des Senders so verschwinden, politisch richtig einordnen und das hat natürlich keine guten Effekte auf einen normalen demokratischen Diskurs.
    Armbrüster: Lässt sich dagegen irgendetwas tun?
    Gaycken: Das ist tatsächlich sehr schwierig. Wir können natürlich den sozialen Medien - und das sollten wir auch machen - redaktionelle Prozesse aufzwingen, dass zumindest das, was da an Falschmeldungen kursiert, nicht mehr als Nachricht kursieren darf. Das ist tatsächlich auch relativ leicht zu machen.
    Armbrüster: Moment! Das heißt, wir sollten Facebook irgendetwas aufzwingen?
    Gaycken: Genau. Wir sollten Facebook einfach zwingen, alles was bei denen als Nachricht kommt, auch vorher als solche zu verifizieren.
    Armbrüster: Na viel Glück! - Werden die das machen?
    Gaycken: Die haben schon ein hohes Eigeninteresse, weil die natürlich auch nicht glücklich sind mit dem Ausgang der US-Wahlen, und sind dabei, das irgendwie zu machen. Aber sonst muss man das einfach gesetzlich durchzwingen.
    Armbrüster: Auch hier in Deutschland?
    Gaycken: Auch hier in Deutschland. Ja, gerade hier in Deutschland. Wir haben natürlich wenig Einfluss auf Facebook in den USA, aber hier in Europa und Deutschland kann man schon am ehesten regulieren.
    Armbrüster: Was glauben Sie denn, wenn wir einmal ein Szenario entwerfen? Was könnte hier im Bundestagswahlkampf passieren, wenn, sagen wir mal, Russland tatsächlich eingreifen will und so, wie der Vorwurf ja lautet, zum Beispiel die AfD stärken will?
    Gaycken: Ob sie das machen, weiß man noch nicht. Mit Deutschland gehen sie immer ein bisschen um als mit den USA. Aber wenn sie es machen wollten, könnte ich mir gut vorstellen, dass sie gestohlene Geheimdokumente kurz vor der Wahl, möglichst eine Woche davor irgendwo leaken, damit dann auch keine Zeit mehr bleibt für ein solides Dementi, über Wikileaks zum Beispiel, dass sie vielleicht auch gefälschte Studien reinbringen, dass sie vielleicht auch eine größere Masse von Menschen in sozialen Medien aktivieren oder Aliase aktivieren, die dann auch Kommentarfunktionen belegen und so was, um dann doch mal die Diskussion zu einem bestimmten Thema sehr hart in bestimmte Richtungen zu treiben.
    "Viele unserer Infrastrukturen sind verletzbar"
    Armbrüster: Das gezielte Verbreiten von Informationen, auch von Falschinformationen, das ist ja nur der eine Teil, die eine Seite dieser Medaille. Die andere Seite, das sind die tatsächlichen technischen Details, die Hackerangriffe, wenn Hacker bestimmte Server angreifen und zum Beispiel dort Dinge platzieren oder von dort Dokumente sich holen oder Dokumente stehlen. Wie groß ist die Gefahr für solche Angriffe bei uns in Deutschland?
    Gaycken: Ja, die Gefahr besteht durchaus. Viele unserer Infrastrukturen sind verletzbar. Auch viele Regierungsnetze sind nach wie vor relativ stark angreifbar. Auch der Bundestag ist stark angreifbar. Aber man muss natürlich gucken, an welcher Stelle man da Effekte für eine Wahl verursachen kann. Das meiste wären ja eher Eskalationen oder man kreiert wirtschaftliche Schäden.
    Sicherlich interessanter wären dann Hacks in politischen Gegenden, wo man dann irgendwie versuchen kann, bestimmte Institutionen auf eine Art und Weise vorzuführen und zu demonstrieren, dass die nicht besonders gut sind oder so was. Das haben die Russen in der Ukraine zum Beispiel sehr nachdrücklich gemacht. Aber das sind relativ starke Eskalationen. Und ansonsten die Wahl selber zu hacken, wäre bei uns relativ schwierig, weil das ja doch alles nicht so in dem Maße digitalisiert ist.
    Armbrüster: Wie gut sind denn unsere Sicherheitsbehörden eigentlich auf so was eingestellt?
    Gaycken: Gegen die russischen Nachrichtendienste, muss man sagen, gar nicht. Da können die relativ wenig machen. Das was wir als geheim und streng geheim haben, ist natürlich nach wie vor sehr gut gesichert, weil das auch nicht so richtig digitalisiert ist. Aber alles andere ist nach wie vor zugänglich und auch angreifbar für Angreifer in der Größenordnung.
    "Es wird schwierig Falschmeldungen, wieder abzubauen"
    Armbrüster: ist das nicht erschreckend?
    Gaycken: Das ist einfach so. Wenn die wollten, könnten sie was machen. Im Moment müssen wir damit leben. Es ist natürlich schon erschreckend und schwierig, aber wir haben jetzt keine richtige Alternative.
    Armbrüster: Was müssen denn Medienhäuser beachten, wenn sie zum Beispiel sich mit solchen Informationen, auch mit solchen möglicherweise ungefilterten Informationen beschäftigen, oder auch mit solchen geleakten Dokumenten?
    Gaycken: Den Medien kommt natürlich eine ganz wichtige Rolle dabei zu, denn die Medien müssen natürlich hier aufklären. Gerade wenn solche gefälschten Nachrichten hochkommen, ist es natürlich die Rolle der Medien, da mit redaktionellen Prozessen draufzuschauen und das eventuell zu korrigieren und zu kontrollieren. Da sehe ich sogar noch vor der Politik die Rolle der Medien in der Klärung von solchen Meldungen.
    Armbrüster: Wie zuversichtlich sind Sie da, dass das funktioniert?
    Gaycken: Das ist natürlich schwierig. Die Medien haben natürlich auch viel abgebaut, gerade was investigatives Personal angeht. Da gibt es ja jetzt nur noch so kleinere Rechercheverbünde. Viele haben das nicht mehr so in der Form, in der sie es früher mal hatten, und da wird es natürlich schwierig dann bei etwas besser gebauten Falschmeldungen, die auch in dem entsprechenden Zeitraum wieder abzubauen.
    Man hat auch gesehen, wenn es zu spät erfolgt, wenn es erst einige Tage später erfolgt oder so was, dann ist die Aufmerksamkeit schon wieder woanders im sozialen Netz und dann kriegen das Dementi auch nur relativ wenig Leute überhaupt mit.
    Armbrüster: Wie groß ist denn die Gefahr, dass Medien-Server, Server von Zeitungen oder auch von Rundfunksendern direkt geknackt werden, so dass zum Beispiel Falschmeldungen auf den Internetseiten auftauchen?
    "Das zu erkennen, wird schon sehr schwierig"
    Gaycken: Die Gefahr ist nicht so sehr hoch. Man hat verschiedentlich Schwachstellen in redaktionellen Prozessen gefunden, dass man zum Beispiel von Medienagenturen versuchen kann, Menschen zu übernehmen, Internet-Accounts zu übernehmen und darüber Falschmeldungen abzuschicken. Ein berühmter Hack war mal 2013, als der Twitter-Account von Associated Press gehackt wurde.
    Da gab es dann eine Falschmeldung, dass Obama verletzt wurde bei einer Explosion im Weißen Haus. Da ist der Dow Jones in den Keller gegangen, es gab 136 Milliarden Marktkapital-Verlust in acht Minuten. Das war ein sehr eindrückliches Beispiel, was man machen kann, wenn man auch in diese verschiedenen Vertriebskanäle einfach mal einsteigen kann. Das sind aber sehr kurzfristige Effekte natürlich dann an der Stelle.
    Armbrüster: Insgesamt Ihre Einschätzung, was passiert da in den kommenden Monaten? Müssen wir uns darauf einstellen, dass solche Geschichten häufiger bei uns in den Schlagzeilen landen?
    Gaycken: Ja, wir müssen uns leider darauf einstellen. Man muss tatsächlich viele Sachen sehr sorgfältig prüfen. Man muss auch versuchen, gerade in den sozialen Medien mit dieser Geschwindigkeit klar zu kommen, mit der da Falschmeldungen verbreitet werden, mit der auch Meinungsmache betrieben werden kann, wenn man die entsprechende Masse dahinter drücken kann, was natürlich die Nachrichtendienste tun können.
    Da muss man schon sehr aufmerksam sein, vor allem, weil auch viele der Modelle, wie man das inzwischen macht, sehr, sehr fein geworden sind und sehr effektiv geworden sind. Das zu erkennen, wird schon sehr schwierig.
    Armbrüster: Live hier bei uns in den "Informationen am Mittag" war das Sandro Gaycken, der Experte für Cyber-Sicherheit und Direktor des Digital Society Institute in Berlin. Vielen Dank, Herr Gaycken, für Ihre Zeit.
    Gaycken: Gerne!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.