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Sotschi
Getrübte Schönheit

Internationale Schriftsteller fordern in einem offenen Brief mehr Meinungsfreiheit in Russland. Josef Haslinger, Präsident des deutschen PEN, sagte im Deutschlandfunk, dass russische Autoren sehr dankbar seien, dass es diese internationale Solidarität gibt.

Josef Haslinger im Gespräch mit Änne Seidel | 06.02.2014
    Den schönen Schein trüben? Der Eiskunstlauf-Palast in Sotschi
    Den schönen Schein trüben? Der Eiskunstlauf-Palast in Sotschi (picture-alliance / dpa / Christian Charisius)
    Änne Seidel: Kulturstaatsministerin Monika Grütters hatte zwar gestern festgestellt, dass die Berlinale in diesem Jahr so aktuell und politisch sei wie selten zuvor. Die politische Brisanz des Festivals dürfte dann allerdings doch relativ gering bleiben im Vergleich zu einem anderen Großereignis, dessen Eröffnung ebenfalls bevorsteht: die Olympischen Spiele in Sotschi. Morgen geht es offiziell los und die Kritiker des russischen Präsidenten Wladimir Putin gehen schon einmal in Stellung. So zum Beispiel mehr als 200 Schriftsteller aus aller Welt. In einem offenen Brief prangern sie den homosexuellenfeindlichen Kurs Putins an und sie fordern die Wahrung der Meinungsfreiheit in Russland. Zu den Unterzeichnern gehören unter anderem Günter Grass, Elfriede Jelinek, Orhan Pamuk und Jonathan Franzen. Und auch die internationale Schriftstellervereinigung PEN unterstützt den Aufruf an Putin.
    - Vor der Sendung habe ich den Präsidenten des PEN-Zentrums Deutschland, Josef Haslinger, gefragt, ob er denn wirklich meint, dass Putin diesen Brief überhaupt zur Kenntnis nehmen wird.
    Josef Haslinger: Na ja, wäre das ein Brief, der an ihn persönlich geht, und unterzeichnet, sagen wir, von einem unbekannten Sekretär des internationalen PEN, dann wäre gar nichts. Aber dieser Brief lebt ja auch davon, dass er unterzeichnet ist von mehreren Nobelpreisträgern und von einer Fülle von international renommierten Autoren. Es sind Autoren tatsächlich aus der ganzen Welt, die dahinter stehen. Dann ist das etwas, was man nicht missachten kann, auch etwas, was sozusagen das schöne Bild, das gerade von Russland gezeichnet werden soll in Sotschi, etwas trübt.
    Seidel: Das heißt, Sie sind der Überzeugung, dass das Wort großer Schriftsteller auch auf der ganz großen Bühne der Machtpolitik tatsächlich Gewicht haben kann, also auch ganz konkret zum Umdenken bewegen kann?
    Haslinger: Davon bin ich überzeugt, ja. Das ist nicht so, weil es die Schriftsteller sagen, darum tanzen jetzt alle nach ihrer Pfeife. So ist es gewiss nicht. Aber gerade in der russischen Gesellschaft und in der russischen Kultur, wo Schriftsteller einen hohen Stellenwert haben in der Tradition und im Kulturbewusstsein, ist das, was internationale Autoren sagen, das hat Bedeutung. Und es unterstützt natürlich auch diejenigen, die Mühe haben, in Russland selbst die Aufmerksamkeit auf diese Menschenrechtsverletzungen zu lenken.
    Seidel: Ich denke jetzt zum Beispiel auch gerade an so ein Beispiel wie Emile Zola und sein J'accuse, diesen offenen Brief, geschrieben im ausgehenden 19. Jahrhundert, mitten in der Dreyfus-Affäre, adressiert an den damaligen französischen Präsidenten. Und dieser Brief hat damals ja tatsächlich der Dreyfus-Affäre eine entscheidende Wendung gegeben. Sind das Vorbilder auch aus der Geschichte, die Ihnen Hoffnung machen?
    Haslinger: Es gab immer diese Situation, wo das Wort von Autoren plötzlich eine große Bedeutung gewinnen konnte. Freilich: Heute in der Mediengesellschaft kommt hinzu, dass dieses Wort von Autoren auch nur dann Bedeutung gewinnt, wenn die Medienöffentlichkeit mitspielt, wenn die Medienöffentlichkeit sich dieser Sachen annimmt und diese Sache verbreitet. Und das ist bei diesem Aufruf zum Glück der Fall. Und deswegen denke ich doch, dass es nicht ohne Eindruck bleiben wird und zumindest ein Beitrag ist zur innenpolitischen Diskussion in Russland, die ja nicht einfach eine innenpolitische Diskussion ist. Denn wenn es um Menschenrechte geht und um die Freiheit des Wortes geht, dann hat man auch das Recht, von außen sich einzumischen.
    Seidel: Sie kritisieren in dem offenen Brief die russischen Gesetze gegen homosexuelle Propaganda und Blasphemie, die die Unterstützung von Homosexualität verbieten. Und Sie sagen, dass diese Gesetze vor allem russische Schriftsteller in Gefahr bringen. Gibt es da aktuelle Fälle, von denen Sie berichten können?
    Haslinger: Es ist ja so, dass das Thema Homosexualität in Russland derart in eine Tabuzone geraten ist, weil die Leute ja schon Angst haben, sich überhaupt offen dafür zu bekennen und dieses Thema offen anzusprechen. Denn das, was hier als Propagierung oder Propaganda für Homosexualität im Paragrafen gedeutet wird, das ist ja ein Gummiparagraf. Das kann ja gedehnt werden, wie man es gerade haben will. Genauso der Blasphemie-Paragraf. Das sind ja Paragrafen, die überhaupt keine klare definierten Grenzen haben, sondern die sozusagen gedehnt und angewendet werden können, wie es gerade den Mächtigen in den Kram passt oder den jeweiligen Machtstrukturen in den Kram passt. Solange solche Paragrafen existieren, solange es möglich ist, die freie Meinungsäußerung nach Willkür auszulegen und zu verfolgen, solange kann man hier nicht von einer offenen Gesellschaft sprechen.
    Seidel: Trotz allem gehört zu den Unterzeichnern des offenen Briefs ja auch eine russische Schriftstellerin. Ljudmila Ulizkaja heißt sie. Das ist doch für sie, nehme ich an, dann auch nicht ganz ungefährlich, sich dieser öffentlichen Kritik anzuschließen?
    Haslinger: Ja. Wir alle wissen, dass es für russische Schriftsteller und Journalisten bisweilen sehr gefährlich sogar geworden ist und dass es bis zum Morden gegangen ist, ungeklärten Morden gegangen ist und oppositionelle Meinungsträger getroffen hat. Insofern ist das natürlich eine mutige Haltung, sich offen dafür zu bekennen. Diese Autoren sind uns sehr dankbar, dass es diese internationale Solidarität gibt und dass wir sie nicht allein lassen mit ihren etwas mittelalterlichen Strukturen, die da neu aufgesetzt werden.
    Seidel: ... , sagt Josef Haslinger, Präsident des PEN-Zentrums Deutschland, anlässlich des offenen Briefs von über 200 Schriftstellern an Wladimir Putin.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.