Donnerstag, 25. April 2024

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Soulsänger Andrew Roachford
"Ich bin schon auf die Welt getanzt"

Seit den späten 80er-Jahren zählt der Londoner Andrew Roachford zu den bekanntesten Soul-Stimmen. Jetzt ist mit seinem neuen Album "Encore" auf Deutschland-Tour – und überzeugt vor allem mit den Hits seiner eigenen musikalischen Helden. Ein Gespräch über musikalische Früherziehung, Wandelbarkeit und neue alte Projekte.

Andrew Roachford im Corso-Gespräch Sören Brinkmann | 19.04.2016
    Der britische Musiker Andrew Roachford bei einem Festival in der Kulturarena Jena im Juli 2015
    Andrew Roachford bei einem Festival in der Kulturarena Jena (imago/VIADATA)
    Sören Brinkmann: Andrew Roachford, "Encore" ist ihre neue Platte - aber es ist nicht das "Encore" ihrer Karriere, richtig?
    Andrew Roachford: Ich merke jetzt, dass es wohl eine Sache der Sprache ist. Denn in England bedeutet "Encore" nicht das Ende, sondern vor allem mehr: Zugabe; gib uns mehr. Die Idee für das "Encore"-Album kam auch von den Zugaben, die ich bei meinen Konzerten spiele. Bei der letzten Zugabe spiele ich meist Klavier und mache manchmal eigenwillige Interpretationen von bekannten Stücken. Deshalb meinte mein Manager mal, wir sollten das doch aufgreifen.
    Brinkmann: Es sind viele Coverversionen auf diesem Album: Stücke von Elton John oder Mick Hucknall. John Lennons "Imagine" zum Beispiel auch. Ist es also ein Tribut-Album an Musiker oder an Stücke, die sie mögen?
    Roachford: Irgendwie schon, ja. Als ich aufgewachsen bin, da habe ich so viel Musik gehört und ich wurde inspiriert von so einer großen Bandbreite unterschiedlicher Musik und unterschiedlicher Künstlern. Und irgendwann als Musiker fiel mir dann auf, dass einige meiner musikalischen Helden auch Coverstücke irgendwann im Laufe ihres Lebens gespielt haben. Aber nicht in irgendeiner komischen/schmierigen Karaoke-Version, sondern indem man die Stücke selbst interpretiert und dadurch auch besser versteht.
    "Ich mache mir die Stücke zu eigen"
    Brinkmann: Und was ist da ihre Art der Interpretation?
    Roachford: Nun, meistens schaffe ich es ganz gut, durch meine Interpretation, die Emotion und die Seele eines Stückes und des Künstlers freizulegen. Ich denke, darin bin ich wirklich gut. Wenn ich zum Beispiel ein Stück von den Red Hot Chili Peppers mache, das ja auch auf dem Album ist: "Under The Bridge". Die meisten Leute empfinden es als ein Rockstück. Aber für mich ist da auch Groove und Soul drin; in den Gesangspassagen bringe ich das noch etwas mehr heraus.
    Brinkmann: Wenn wir zum Beispiel über "Under the Bridge" sprechen. Es gibt manche Stücke auf dem Album die näher am Original sind als andere. "Under the Bridge" klingt ziemlich anders bei Ihnen als bei den "Red Hot Chili Peppers". Wie passen Sie die Songs an ihren eigenen Stil an?
    Roachford: Ich denke, sobald ich anfange, ein Stück von anderen Künstlern zu spielen, mache ich es mir automatisch zu Eigen. Das ist wie ein ganz natürliches Verhalten. Ich kann nicht fremde Stücke spielen, ohne sie irgendwie zu erkunden und herauszufinden, wie sie zu mir passen. Und genau das machen wir dann mit dem Produzenten im Studio. Dass wir sagen: okay wir wissen natürlich, dass dieser Song schon perfekt ist bisher, aber was können wir noch hinzufügen und daraus machen.
    Brinkmann: Und haben sie dieses Ziel erreicht, die Songs wirklich zu ihren eigenen Songs zu machen?
    Roachford: Ja. Definitiv habe ich das erreicht. Ich hätte bestimmt kein Stück auf das Album genommen, wenn ich es nicht zu meinem eigenen gemacht hätte. Am schwierigsten war es bei "I don’t know why I love you" von Stevie Wonder. Weil es nicht so ein klarer Song ist – bestehend aus Refrain, Strophe, Refrain, Strophe. Er dreht sich etwas im Kreis. Und daraus etwas Eigenes und nicht eine Stevie-Version zu machen, war schon herausfordernd.
    Brinkmann: Könnten sie jeden Song zu ihrem eigenen umwandeln oder zu einem Soulstück machen?
    Roachford: Absolut. Ich könnte auch eine Soul-Version von Mozart machen oder von Beethovens fünfter Sinfonie. Das ist irgendwie ein Geschenk, das ich in mir habe.
    Brinkmann: Wie würde das klingen?
    Roachford: Es würde großartig klingen. In Beethovens fünfter Sinfonie steckt für mich ohnehin schon sehr viel Soul und es scheint auch irgendwie ein Lieblingsstück von vielen meiner Helden zu sein wie Ray Charles oder Stevie Wonder. Denn sie nehmen daraus immer wieder etwas auf. Die Sache dabei ist, dass viele klassische Musiker das wahrscheinlich gar nicht so wahrnehmen würden. Aber wir hören das. Ich höre das.
    Brinkmann: Beim Hören des Albums fand ich das Stück "Ain't no sunshine" von ihnen sehr interessant. Es ist nicht so wie im Original eine langsame Soul-Version, sondern es geht ziemlich vorwärts.
    Roachford: Ja, wir hatten sehr viel Spaß damit. Ich habe es im Original-Stil gesungen. Aber wir haben dann gesagt: oh nein, wir müssen etwas anderes daraus machen. Und der Produzent war sehr offen Auszug etwas Neues aus sich was anderes auszuprobieren ein bisschen etwas Verrücktes reinzubringen und das hat funktioniert. Dieser Song ist so gut dass er alles übersteht. Wahrscheinlich könnte man ihn auch in einer Punk Arena bringen und der Song würde es überstehen. Das zeigt, wie stark dieser Song ist.
    "Ich bin sozusagen schon auf die Welt getanzt"
    Brinkmann: Wie gesagt: Es sind hauptsächlich Coversongs auf ihrem Album. Haben Sie also Ihre eigenen Ideen aufgespart für zukünftige/kommende Projekte?
    Roachford: Ja, genau das ist die Idee. Natürlich sind die Leute immer etwas irritiert, wenn man ein Coveralbum macht. Sogar manche Fans könnten wohl denken, dass man jetzt nicht mehr selbst Stücke schreibt. Aber natürlich hört ein echter Künstler niemals auf. Und wissen Sie, es war auch gut einen eigenen Song mit auf das Album zu nehmen als kleinen Hinweis: "Hey, ihr könnt mehr von mir erwarten. Ich mache noch was Eigenes."
    Brinkmann: Sie sind schon sehr früh mit der Musik in Kontakt gekommen. Durch ihre Familie, speziell durch ihren Onkel. Und dabei haben sie zunächst Klavier spielen gelernt. War das die richtige Herangehensweise für Sie?
    Roachford: Ja. Wenn man in eine Musikerfamilie hineingeboren wird, ist man immer von Musik umgeben. Sogar schon vor der Geburt als Fötus im Mutterleib wird man bombardiert mit Harmonien, die eindringen. Ich bin sozusagen schon auf die Welt getanzt. Und es war ja auch ein hoher musikalischer Standard. Mein Onkel ist professioneller Jazzmusiker, und es ist wirklich so: als ich mit meinem Onkel und den Leuten aus seiner Band angefangen habe, da bin ich einfach ins kalte Wasser geworfen worden.
    Brinkmann: Bedeutet das auch, dass man schneller erwachsen wird?
    Roachford: Oh ja, absolut. Ich stand dann ja schon früh auf der Bühne, als ich noch zur Schule ging. Ich war 14 Jahre alt damals und meine Freunde hatten keine Ahnung von meinem geheimen Nachtleben, als ich mit meinem Onkel auftrat. Da wird man wirklich schnell erwachsen und auch meine musikalische Persönlichkeit war dann schon recht erwachsen geprägt. Ich bin viel zu schnell aufgewachsen und irgendwie habe ich deshalb meine restliche Lebenszeit damit zugebracht, wieder jünger zu werden.
    "Wir sind Künstler. Wir wollen immer etwas Neues machen"
    Brinkmann: Und dennoch hatten Sie zu dieser Zeit ja auch Angst vor einem großen Publikum zu stehen.
    Roachford: Ja. Ich denke, es ist weil die Musik immer so persönlich war und dann fühlte ich mich immer so besonders verwundbar und nackt. Gerade wenn man vor vielen Menschen steht. Sogar als ich meinen ersten Plattenvertrag hatte und meine ersten Konzerte gab. Damals hatte ich drei Keyboards auf der Bühne, so dass man mich kaum sehen konnte. Die Plattenfirma kam irgendwann und meinte: "Oh nein. Wir wollen, dass du der Star bist. Da musst du ein paar Keyboards loswerden."
    Brinkmann: Also haben sie sich versteckt?
    Roachford: Ja. Ich habe mich hinter den Keyboards versteckt. Man konnte nur meine Hände sehen, meine Hände waren berühmt. Schließlich wurde es weniger bis schließlich nur noch ein Keyboard da war. Aber es dauerte eine Zeit bis ich mit dem Mikrofon auf der Bühne herumlaufen konnte. Es fühlte sich sehr fremd an und eigentlich wollte ich gar nicht so sein. Ich war eher so der Alicia Keys Typ. Heute bin ich aber sehr glücklich auf der Bühne frei herumlaufen zu können. Es fühlt sich ganz natürlich an.
    Brinkmann: Kürzlich haben sie ihre Tourdaten für das kommende Jahr veröffentlicht mit "Mike and the mechanics". Freuen Sie sich schon darauf oder sind Sie erstmal konzentriert auf das, was Sie jetzt machen?
    Roachford: Nun ganz sicher ist diese Roachford-Sache jetzt gerade wichtig für mich. Aber dann arbeiten wir ja auch mit den "Mechanics" an einem neuen Album, und es ist natürlich eine schöne Sache, in unterschiedlichen Projekten drin zu sein. Wir sind Künstler. Wir wollen immer was Neues machen.