Donnerstag, 18. April 2024

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Sozialausgaben für Kommunen
"Wir wurden mit unseren sozialen Belastungen allein gelassen"

Laut einer Studie der Bertelsmann-Stiftung nehmen Sozialausgaben einen immer größeren Teil im Haushalt der Kommunen ein. Bei Spitzenreiter Flensburg sind es sogar fast 60 Prozent. Kämmerer Henning Brüggemann beklagt, Bund und Land beteiligten sich an den Kosten nicht ausreichend. Darunter litten Ausgaben für Bildung und Kultur.

Henning Brüggemann im Gespräch mit Sarah Zerback | 09.06.2015
    Die Agentur für Arbeit in Ahlen.
    Die Arbeitslosigkeit in Flensburg liegt bei zehn Prozent - ein Grund für die hohen Sozialausgaben. (imago/Rüdiger Wölk)
    Sarah Zerback: Wohngeld für Hartz-IV-Empfänger, Unterbringungskosten von Asylbewerbern, Pflegeleistungen für alte, kranke und Menschen mit Behinderung und nicht zuletzt Kita-Plätze - all das sind Aufgaben und Ausgaben, die der Bund beschließt, die dann aber die Kommunen tragen müssen. In manchen Fällen machen die Sozialleistungen nur einen kleinen Teil des städtischen Haushalts aus, in anderen mehr als die Hälfte. Da gibt es ein deutliches Gefälle von gerade mal 17 bis zu 58 Prozent des Etats. Und Spitzenreiter - das wissen wir seit gestern - ist das schleswig-holsteinische Flensburg, so das Ergebnis einer Studie, und das hat nicht nur Experten, sondern auch die Stadt selbst überrascht. Henning Brüggemann ist Bürgermeister und Kämmerer von Flensburg. Ihn begrüße ich jetzt am Telefon. Guten Tag nach Flensburg.
    Henning Brüggemann: Guten Tag! Ich grüße Sie.
    Zerback: Herr Brüggemann, warum sind denn die Sozialausgaben ausgerechnet in Ihrer Stadt so hoch?
    Brüggemann: Grund ist, dass wir durchaus auch eine Sozialstruktur haben, die dann auch durchschlägt und die kommunalen Haushalte belastet. Wir haben eine relativ hohe Arbeitslosigkeit mit rund zehn Prozent. Wir haben aber auch eine sehr hohe Dichte in der Jugendhilfe, wo wir Geld in die Hand nehmen müssen. Das ist ein Grund. Ein anderer Grund ist aber auch, dass das Land über Jahrzehnte hinweg nicht die sozialen Belastungen der kommunalen Ebene, der kreisfreien Städte, der Zentren hier in Schleswig-Holstein entsprechend auch mitfinanziert hat. Das heißt, wir wurden mit unseren sozialen Belastungen auch durchaus allein gelassen seitens des Landes.
    "Wir sind angewiesen auf Zuweisungen des Landes"
    Zerback: Wie kann das denn sein? Ich meine, die Konjunkturprognosen - das hören wir ständig -, die steigen ja, die sind gut.
    Brüggemann: Ja wie kann das sein? - Es ist schon so: Als Zentrum, als kreisfreie Stadt brauchen wir Geld. Teilweise haben wir eigene Steuereinnahmen, aber wir sind auch angewiesen auf Zuweisungen des Landes. Und wenn die nicht in dem Maße kommen, dass auch die sozialen Belastungen mitfinanziert werden können, dann fehlt uns natürlich Geld, um auch eine Entwicklung einer Stadt voranzutreiben, und das zeigt sich letztendlich auch, dass 58 Prozent unseres Haushaltsvolumens für soziale Ausgaben ausgegeben werden, und das Geld fehlt dann natürlich, um auch eine Wirtschaftsstruktur voranzutreiben, um in bildungspolitischen Bereichen voranzugehen, um wirklich auch eine gute Standortpolitik zu betreiben.
    Zerback: Wo fehlt dieses Geld denn am meisten und über wie viel sprechen wir da überhaupt?
    Brüggemann: Als Stadt Flensburg sind wir seit 2000 defizitär. Wir haben Fehlbeträge. Im laufenden Haushalt haben wir einen Fehlbetrag von zwölf Millionen Euro bei einem Haushaltsvolumen von roundabout 300 Millionen. Das heißt, wir geben mehr Geld aus als wir einnehmen, und das fehlt natürlich dann gerade im freiwilligen Selbstaufgabenbereich, und das ist vor allem im Bildungsbereich, das ist in der frühkindlichen Erziehung, das ist bei der Fragestellung, wie kriegen wir Qualität auch in die Kinderbetreuung rein. Da gucken wir, diskutieren wir, auch mit der Politik, wie wir dort zu besseren Lösungen kommen, aber oftmals scheitert es daran, dass wir wirklich beschränkte Budgets nur haben.
    "Es werden Regularien geschaffen, die zu dem Aufbau einer Sozialbürokratie führen"
    Zerback: Nun hat der Bund den Kommunen ja schon zusätzliche Mittel zugesagt. Das sind bis 2018 schrittweise fünf Milliarden Euro. Und das sind Mittel, die eigentlich ja für was anderes verwendet werden sollen: für die Eingliederung behinderter Menschen etwa, oder für andere Investitionen. Nun gibt es ja einen Lösungsvorschlag, dieses Geld zu verwenden, um zum Beispiel das Wohngeld für Langzeitarbeitslose zu bezahlen. Was halten Sie denn von diesem Vorschlag?
    Brüggemann: Das was die Bertelsmann-Stiftung empfiehlt, das heißt, dass der Bund zwei Drittel der Kosten für Unterkunft übernehmen soll, ist etwas, was ich teile. Ich begrüße diesen Vorschlag, weil da landet dann das Geld dort, wo auch die sozialen Belastungen sind, weil gerade die KdU-Belastungen (Kosten der Unterkunft, Anm. d. Red.) da auch dort anfallen, wo wir auch hohe Arbeitslosenquoten haben. Das heißt, das begrüße ich. Aber natürlich darf man sich nicht nur die Finanzierungsseite angucken; man muss sich auch angucken, wie entstehen denn die Ausgaben gerade im Pflichtaufgabenbereich, und der Bund ist Gesetzgeber gerade im Sozialbereich und da werden natürlich Standards definiert, wo wir Geld in die Hand nehmen müssen, wo wir gar nicht drum herum kommen. Es werden aber auch Regularien geschaffen, die zu dem Aufbau einer Sozialbürokratie führen, wo wir Geld einfach nur für Verwaltung ausgeben und nicht für soziale Belange, und das ist schon auch ärgerlich. Allein durch die Implementierung oder die Umsetzung des Bildungs- und Teilhabepaketes des Bundes müssen wir als Stadt 200.000 Euro in die Hand nehmen, um einfach nur Verwaltung, Bürokratie zu finanzieren, und das muss nicht sein.
    "Da haben wir natürlich ein Instrumentarium Grundsteuer"
    Zerback: Was ist denn jetzt die Konsequenz aus all dem, um nicht zu sehr ins Minus zu rutschen? Sie sagten gerade, Sie haben schon zwölf Millionen minus. Was tun Sie da jetzt, um nicht zu sehr ins Minus zu rutschen, den Haushalt auszugleichen? Steigen da zukünftig die Steuern, oder müssen Sie dann doch Büchereien schließen? Was ist da das Konzept?
    Brüggemann: Wir müssen diese Diskussion führen, auch mit meinen politischen Vertretern hier vor Ort. Das geht in die Richtung, wie kriegen wir eigene Steuereinnahmen ins System rein. Da haben wir natürlich ein Instrumentarium Grundsteuer, die Diskussion führe ich momentan mit meinen Vertretern. Aber wir müssen natürlich auch gucken, wie wir dort, wo wir Handlungsspielräume haben als Kommunen - das sind die freiwilligen Selbstaufgaben, Selbstverwaltungsaufgaben -, wie kriegt man da letztendlich die Ausgaben gesenkt. Da sind wir im Kulturbereich, da sind wir bei den Bibliotheken, da sind wir bei den Volkshochschulen, da sind wir möglicherweise auch bei der Fragestellung laufende Bauunterhaltung unserer Immobilien, da sind wir bei der Fragestellung, wie kriegt man auch den Straßenunterhalt gekürzt, und das ist letztendlich auch die Konsequenz, wenn auf der einen Seite pflichtig, weil es vorgegeben ist, die Ausgaben steigen, und diese Diskussion wird seit Jahr und Tag hier in Flensburg geführt.
    Zerback: Städte und Gemeinden müssen immer mehr Geld für Sozialleistungen aufwenden. Das ist eines der wichtigen Themen heute auf dem Deutschen Städtetag, der heute in Dresden beginnt. Darüber habe ich gesprochen mit Henning Brüggemann, Bürgermeister und Kämmerer von Flensburg, einer Stadt, die damit besonders zu kämpfen hat. Besten Dank nach Flensburg!
    Brüggemann: Ich bedanke mich auch. Schönen Tag noch.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.