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Sozialdemokratie
Sigmar Gabriel und die SPD vor dem Sonderparteitag

Nach der Bundestagswahl ist SPD-Parteichef Sigmar Gabriel mit dem Mitgliedervotum ein Meisterstück gelungen: Er hat die tief verunsicherten Genossen in die Große Koalition geführt. Auf dem vorläufigen Höhepunkt seiner politischen Laufbahn hängt an ihm jetzt mit der Energiewende eines der wichtigsten Projekte der neuen Regierung.

Von Anita Fünffinger | 25.01.2014
    Sigmar Gabriel: "Liebe Genossinnen und Genossen! Vielen Dank für den freundlichen und herzlichen Beifall. Auch wenn wir, glaub' ich, alle miteinander sagen müssen: Ja, wir haben zugelegt, aber wir haben uns mehr erwartet. Keine Frage."
    Damit ist eigentlich alles gesagt. Sigmar Gabriel steht im Atrium des Willy-Brandt-Hauses. Seine Augen blitzen in die Menge, der Parteichef ist nervös. Es ist Sonntag, der 22. September 2013, kurz nach halb Sieben. Die SPD hat die Wahl vergeigt. Der Traum von Rot-Grün ist geplatzt. Noch am Wahlabend beginnt unter den Genossen der Kampf gegen und der Kampf für eine Große Koalition. Gabriel muss sich entscheiden. Wohin will er die Sozialdemokratie führen?
    Einen Tag später, Parlamentarische Gesellschaft. Die Seeheimer, der konservative Flügel der SPD, haben zum Gartenfest eingeladen. Der Termin stand seit Monaten fest. So richtig feiern will heute niemand, trotzdem trinkt so mancher zur Sicherheit gleich mehrere Gläser Bier, man weiß ja nicht, was kommt. Die Genossen fühlen sich elendig. Gabriel spürt das, begrüßt die Anwesenden mit "liebe Freunde, und liebe Gegenfreunde".
    Sigmar Gabriel: "Erstmal vielen Dank für das gute Timing. Ich würde mal sagen, nach dem gestrigen Wechselbad der Gefühle tut's ganz gut, wenn wir ein bisschen feiern können und auch ein bisschen entspannen können. Denn wir werden einen kühlen Verstand, trotzdem ein heißes Herz, aber auch hinreichend Coolness brauchen, um die nächsten Wochen und Monate vernünftig zu gestalten im Sinne der deutschen Sozialdemokratie und der Menschen hier im Lande."
    Und damit hat er sich ziemlich gut selbst beschrieben. Ohne zu ahnen, was auf die SPD in den nächsten Wochen zukommt, sollte er recht behalten. Heißes Herz und kühlen Verstand. Gabriel wird genau das an den Tag legen. Vom Ende her betrachtet, wirkt das, als hätte er bereits am Tag der Bundestagswahl einen Plan gehabt.
    Gabriele Lösekrug-Möller: "Also, mich hat Sigmar Gabriel beeindruckt in den letzten Monaten. Er hat wirklich 'ne breite Debatte erlaubt. Er hat im Grunde genommen sich auch alle angehört. Und das dann so zu wenden und zu sagen, unser Gestaltungswille, unser Anspruch, Gesellschaft zukunftsfähig zu machen, den bringen wir jetzt ein. Auch, wenn wir wissen, wir sind die kleinere Hälfte. Auch wenn wir wissen, wir verhandeln im Verhältnis von acht zu fünf. Aber aus den fünf machen wir was! Und ich finde, das ist ihm gut gelungen."
    Meisterstück nach der Wahl
    Gabriele Lösekrug-Möller kennt Sigmar Gabriel seit Jahren. Die zierliche kleine Frau ist grau geworden, ihr Auftreten und ihre Stimme sind immer noch sehr jugendlich. Als Mitglied im SPD-Parteivorstand kann die Niedersächsin vor allem gut beschreiben, wie dem Parteichef in den Wochen nach der Wahl ein Meisterstück gelungen ist. Er hat die tief verunsicherte Partei in eine Große Koalition geführt. Denn sicher war das keineswegs. Beim Parteitag in Leipzig hielt Gabriel zunächst eine sehr ruhige Rede, analysierte die Wahl, was die SPD falsch gemacht hat, und was sie besser machen muss. Das reichte aber nicht, die Stimmung war schlecht. Also stieg Gabriel am letzten Tag des Parteitags noch einmal in die Bütt.
    Sigmar Gabriel: "Wenn wir dann losmarschieren, dann geht es um die Zukunft der Sozialdemokratie in den nächsten zwanzig, dreißig Jahren. Das muss jeder wissen! Das ist keine einfache Entscheidung. Aber jeder muss dann zuhause Verantwortung tragen. Ihr! Nicht wir hier, wir alle sind die Führung der Partei!"
    Mit seiner eigenen politischen Zukunft hat Gabriel den Ausgang des Mitgliedervotums nie verknüpft. Nicht direkt. Aber er machte beim Parteitag ziemlich klar, was bei einem negativen Votum in der SPD-Spitze los ist: nichts mehr! Also setzte er alles auf eine Karte:
    Lömo: "Also, das Wort feige in Zusammenhang mit Sigmar Gabriel passt ja nun überhaupt nicht. Also, wenn er eins nicht ist, dann das. Ich finde, er ist da sehr stark vorangegangen. Ich glaube, für viele Genossinnen und Genossen manchmal auch ein bisschen zu forsch."
    Forsch ist das Stichwort. So begeistert die Genossen von ihm sind, so skeptisch sind sie auch. Gabriel holt sein altes Image ein. Verletzend, unwirsch, sprunghaft - all das reden sie über ihn. Er weiß das, und er weiß vor allem selbst gut genug, wie er sein kann. Immer fair?
    Sigmar Gabriel:"Bestimmt nicht. Ich hab' vielleicht eine Fähigkeit, dass, wenn mir auffällt, dass ich jemanden unanständig behandelt habe, dass ich mich dann auch entschuldigen kann. Manchmal fällt es einem gar nicht auf. Ich bin bestimmt niemand, der nicht auch im Umgang mit anderen Menschen schon Leute ungerecht behandelt hat."
    Sagt er jetzt ganz ruhig in seinem Büro im vierten Stock des Willy-Brandt-Hauses. Eine Tasse schwarzer Kaffee auf dem Tisch, das muss offenbar immer sein. Koffein aber ist es nicht, was seinen Puls steigen lässt. Wenn bei den Regionalkonferenzen ein Zuhörer im Saal fordert, die SPD solle statt mit der Union besser mit der Linken koalieren, kann es passieren, dass sein Satz mit "Jetzt pass ma' auf!" anfängt. Momente, in denen er wirkt wie ein Raufbold:
    Sigmar Gabriel: "Ja, manchmal gehört auch Raufen zur Politik, aber ... mir ging's in den Regionalkonferenzen darum, dass ich nicht Menschen überrede. Ich wollte sie überzeugen."
    In seinem Büro lehnt nicht nur ein zwei Meter großes Foto von Willy-Brandt an der Wand, und in den Regalen stehen Hunderte Bücher, sondern auch eine Skulptur in Form eines Mikrofons. Rednerpreis 2007. Gabriel kann laut und kämpferisch, er kann aber auch ganz leise, gern vermischt mit Ironie. Der SPD-Chef hat schon mehrere Preise dafür bekommen. Bei der Frage, woher er das eigentlich kann, wird er fast verlegen.
    Sigmar Gabriel:"Ach, der eine sagt so, der andere sagt so. Hm. Also ... Ich kann ihnen das nicht sagen… Es ist vielleicht etwas ... Ich glaube, man kann über die Dinge gut reden, die einem nicht nur im Kopf, sondern im Herzen sind. Ich glaube, nur wer ein bisschen auch das, was er tut, mit dem Herzen tut, nur der wird Menschen auch begeistern können. Und nur, wer selbst von etwas begeistert ist, wird andere begeistern können. Das ist vielleicht das Geheimnis guter Redner."
    "Wir können unsere Fehler nur selber machen"
    Was er am wenigsten mag an seinen Genossen, ist deren Angst vor Angela Merkel. Die Angst, wieder in einer Großen Koalition unterzugehen. Von diesem Irrglauben will Gabriel die Genossen abbringen.
    Sigmar Gabriel: "Es ist nicht so, dass Angela Merkel die Schwarze Witwe im Netz ist, dann wartet sie, bis die SPD kommt und dann frisst sie sie auf ... Sondern, gemeinhin ist das so, es gibt nur eine Partei, die sich selbst ein Bein stellen kann, und das ist die SPD. Wir können unsere Fehler nur selber machen."
    Der macht uns doch lächerlich, und die Partei dazu! - lautet dennoch das Urteil mancher Genossen. In ein Mikrofon sagen sie das übrigens nicht. In den sozialen Netzwerken verstecken sie sich hinter Pseudonymen. Gabriel, der Einzelgänger, der sich auf Kosten anderer profiliert. Auch so mancher Journalist will das gar nicht bestreiten. Es gibt viele, die schlecht über ihn reden, er allerdings auch über sie. Und so ergeben sich eben Situationen wie in diesem mittlerweile legendären Interview.
    Sigmar Gabriel/ Marietta Slomka: "Nee, weil's ja auch Blödsinn ist." – "Ist das wirklich so ganz einwandfrei demokratisch?" – "Ich kann die Argumente nicht wirklich ernstnehmen." – "Das heißt, wenn man in die Partei eintritt, dann ist man sozusagen ein besserer Wähler'" – "Tun sie mir ´nen Gefallen. Lassen sie uns doch diesen Quatsch beenden."
    Das kann einem aber nicht nur beim ZDF in Mainz, sondern auch in Berlin passieren, wenn der Germanist und ehemalige Lehrer Gabriel an der Frage des Zeitungskollegen Stilkorrekturen vornimmt.
    Sigmar Gabriel: "Das waren mir jetzt zu viele Schachtelsätze. Ich hab's nicht verstanden. Versuchen sie doch einfach mal zu sagen, was sie von mir wissen wollen!"
    Typisch Gabriel. Da blitzt er wieder durch, der Raufbold. Hinter vorgehaltener Hand sagen SPDler: Egomane. Haben sie recht? – All die bösen Worte kommen jedenfalls noch aus Zeiten in Hannover, als Gabriel hochgeflogen und tief gefallen war. Mit 40 Jahren jüngster Ministerpräsident aller Zeiten, gut drei Jahre später gerade noch Popbeauftragter der SPD. Freund wie Feind hatten ihn eigentlich abgeschrieben, als er 2005 Umweltminister im Kabinett Merkel wurde. Vorschusslorbeeren gab es jedenfalls keine. Sein Ruf in Berlin kam früher an als er selbst: hat keine Ahnung von Umweltpolitik und ist ein unzuverlässiger Kerl. Steffen Kampeter kannte all diese Gerüchte. Der CDU-Politiker wurde damals vor allem von Sozialdemokraten gewarnt, Gabriel ja nicht zu sehr zu vertrauen.
    Steffen Kampeter: "Sigmar Gabriel und ich haben eng zusammen gearbeitet, als er Umweltminister und ich Haushaltschef der Union war in der Großen Koalition. Er war kräftig unter Feuer seiner eigenen Genossinnen und Genossen. Und ich hab nichts davon gehalten, ihn hängen zu lassen, nur weil er ein Sozi ist. Sondern ich war interessiert an einem gemeinsamen Erfolg der gemeinsamen Regierung."
    Der Staatssekretär sitzt in seinem Büro im Finanzministerium, den roten Pulli habe er nicht extra wegen des Interviews über Gabriel angezogen, im Herzen sei er ja ein Schwarzer.
    Steffen Kampeter: "Hier geht's ja nicht um Parteibücher, sondern hier geht's um Mentalitäten. Ich bin ähnlich impulsiv wie Gabriel in bestimmten Dingen. Wir sollten uns nicht zusammenhocken, wenn wir beide auf Diät sind. Mir als Christdemokrat, als jemand, der auch das Leben nicht nur aus der parteipolitischen, sondern aus der kulturellen, aus der kulinarischen, auf einer unsachlichen Ebene betrachtet, einem solchen Politikerkollegen wie Sigmar Gabriel, mit dem schließt man dann ja auch so etwas wie Zutrauen zueinander."
    Und schon muss er wieder lachen. Wenn beide über 100 Kilo wiegen, dann müssen sie doch irgendwie zusammenhalten, sagt er. Ihm jedenfalls habe Gabriel mehrmals bewiesen, dass man ihm trauen kann. Wie aus der Pistole geschossen, zählt Steffen Kampeter auf, wodurch sich Gabriel für ihn auszeichnet.
    Steffen Kampeter: "Verlässlichkeit, Verschwiegenheit, Treue und Kreativität und Kraft, nach vorne zu gehen."
    Solche Worte würde manch ein Genosse in Niedersachsen wohl nie in den Mund nehmen. Wer Kritiker von Gabriel hören will, muss nach Hannover fahren, raten freimütig mehrere Sozialdemokraten in Berlin:
    Die Holländische Kakaostube kennt in Hannover wirklich jeder. Vormittags um Elf ist das Café gut besucht, die Torten und Pralinen in den Vitrinen sehen nicht nur verboten lecker aus. Sie schmecken auch so. Sagt zumindest Wolfgang Jüttner. Der 65-jährige Sozialdemokrat mit dem ansteckenden Lachen bestellt sich erst mal eine heiße Schokolade. Am Telefon sagte er noch: "Was Kritisches über Gabriel?!? Da sind sie bei mir genau richtig!" Jetzt hört sich das irgendwie anders an.
    Wolgang Jüttner: "Natürlich muss man schon aufpassen, dass man das eigene Personal nicht regelmäßig diskreditiert. Der Schrank ist nicht so groß, in dem weitere Parteivorsitzende stehen. Aber das macht natürlich auch eine Spitzenpersönlichkeit nicht sakrosankt. Von daher mache ich ja gar keinen Hehl daraus, dass ich auch mit ihm aneinandergeraten bin, dass wir kritische Situationen hatten."
    Eigentlich wollte Jüttner 1999 Ministerpräsident in Niedersachsen werden, doch Gabriel machte ihm einen Strich durch die Rechnung. Er wurde selbst Regierungschef – für sein Umfeld nicht immer leicht zu ertragen:
    Wolfgang Jüttner: "Er hat mehr Ideen als jeweils gerade umsetzbar sind. Und das führt halt manchmal dazu, dass er sein Umfeld irritiert durch die zahlreichen Ideen. Wenn die an die Arbeit gegangen sind, ist er eigentlich schon auf dem nächsten Spielfeld. Das passiert schon. Und das ist natürlich in Spitzenfunktionen nicht immer ganz leicht. Das muss man fairerweise einräumen. Von daher, als Staatssekretär, der ja einen Laden zusammenhält, wäre er denkbar ungeeignet. Als Diplomat wäre er denkbar ungeeignet, weil er der Mann der klaren Worte ist."
    Klare Worte, das ist eine nette Beschreibung Jüttners dafür, was viele aus der Zeit in Niedersachsen erzählen. Klare Worte, das konnte bei Gabriel heißen: brüllen, schreien, beleidigen:
    Wolfgang Jüttner: "Ja, er kann auch unwirsch werden. Ja. Es ist verbürgt, dass er auch ganz laut werden kann und Türen schlagen kann. Das ist ja hinreichend bekannt."
    Heute ist Jüttner Gabriel nicht mehr gram. Richtig verstanden habe er den Menschen Gabriel ohnehin erst, als der im Sommer zum ersten Mal öffentlich von seiner schwierigen Kindheit mit dem Nazi-Vater erzählt hatte. Jüttner wusste nichts davon, er war ziemlich berührt:
    Wolfgang Jüttner: "Also, was das für 'ne Last ist, die er durchs Leben schleppt, das ist schon irre, wirklich wahr."
    Jüttner holt mit dem Löffel den letzten Rest Sahne aus seiner Tasse heißer Schokolade. Jetzt will er Gabriel ein Kompliment machen. Also, ein halbes.
    Wolfgang Jüttner: "Seine Schnelligkeit ist vielleicht seine größte Stärke und auch seine größte Schwäche. Er ist ganz schnell im Kopf, ganz schnell mit Worten. Aber die Schnelligkeit kann einen auch manchmal an die Grenze bringen."
    Ein paar Wochen später im Willy-Brandt-Haus, wieder in Sigmar Gabriels Büro. Auf Jüttner angesprochen, reagiert der SPD-Chef sehr herzlich. Aber dass im Moment keiner öffentlich über ihn schimpfen will, das überrascht ihn dann doch.
    Sigmar Gabriel: "Das ist erstaunlich. Ich geb' Ihnen mal ein paar Adressen nachher. Dann können sie noch nacharbeiten ..."
    Respekt vor dem Projekt Energiewende
    Denn das ist ihm so klar wie das Amen in der Kirche. So wie jetzt keiner schimpft, werden auch nicht alle bis auf alle Zeiten sein Verhandlungsgeschick loben. An ihm hängt eines der wichtigsten Projekte der neuen Regierung. Die Energiewende. Gabriel hat gewaltigen Respekt davor:
    Sigmar Gabriel: "Das ist eine ganz große Herausforderung. Ich glaube, die größte seit der Wiedervereinigung. Und es ist Unsinn zu glauben, man könne die alleine stemmen. Zu meiner Aufgabe gehört eher dazu, alle zum Mitmachen zu bekommen."
    Die ersten Weichen dafür hat er bereits in seinem Ministerium gestellt. Er behielt den FDP-Staatssekretär Stefan Kapferer von Vorgänger Philipp Rösler und holte sich den Grünen Rainer Baake ins Haus. Eigenwillige, aber geschickte Mischung. Denn am Ende wird entweder eine ganz große Koalition die Energiewende geschafft oder sie in den Sand gesetzt haben. Nicht ganz so experimentierfreudig ist Gabriel auf der Suche nach einer Nachfolgerin für Andrea Nahles. Morgen soll die SPD bei ihrem Sonderparteitag in Berlin Yasmin Fahimi zur Generalsekretärin wählen. Schon wird an der Basis gemotzt: Zu viele Niedersachsen fallen in der SPD nach oben. Aber Gabriel hat offenbar auch hier auf sein Gefühl gehört. Fahimi ist eher links verordnet – wie Nahles auch. – Das Gefühl für die Partei, er konnte es ganz gut deuten. Zu dem Zeitpunkt, als sich während des Mitgliedervotums die Stimmung drehte. Bei den Regionalkonferenzen setzte er zum Ende hin weniger auf Sachargumente, sondern mehr auf gute Laune:
    Voller Erfolg: das Mitgliedervotum
    Sigmar Gabriel: "Das ist eine Koalition der nüchternen Vernunft. Das ist keine Liebesheirat. Ich bin sowieso dagegen, Koalitionen, egal mit wem, zur Liebesheirat zu machen. Also, ich bin ein bisschen älter, ich weiß, mit der Liebe ist das so ´ne Sache. Morgens wachste auf und denkste, Mensch, war gestern noch ganz anders! Deswegen sag ich, Koalitionen sind nie Liebesheiraten, sondern sind immer ... . Also mir isses schon passiert. Oder besser gesagt: Umgekehrt ist es mir passiert. Ich will nur, ich will nur sagen ... Ja, die SPD darf auch mal ein bisschen fröhlich sein, liebe Genossinnen und Genossen. Wisst ihr, altes chinesisches Sprichwort: Wer nicht lächeln kann, soll keinen Laden aufmachen. Man darf auch ein bisschen lachen bei uns."
    Die Koalition der nüchternen Vernunft wird Wirklichkeit und die SPD darf lachen und feiern. Davon konnte er am Ende auch die Genossen überzeugen. Am 14. Dezember steht fest: Die Basis hat den Koalitionsvertrag abgenickt:
    Das Mitgliedervotum ist ein voller Erfolg. Sein Erfolg. 76 Prozent Zustimmung, Gabriel kann seinen Stolz nicht verbergen, will er in diesem Moment auch nicht.
    Sigmar Gabriel: "So politisch engagiert habe ich meine Partei noch nicht erlebt. Eine lebendige diskutierende Volkspartei."
    Meine Partei. Gabriel hat seine Wortwahl geändert. In den Jahren zuvor hatte er von der SPD gesprochen, jetzt ist es seine Partei. Findet auch CDU-Mann Steffen Kampeter.
    Steffen Kampeter: "Sigmar Gabriel ist aus meiner privat-politischen Sicht einer der erfolgreicheren SPD-Vorsitzenden, die ich in über 20 Jahren Parlament erleben durfte."
    Vorgezeichnet war sein Weg übrigens keineswegs: zerstrittenes Elterhaus, der Vater ein Nazi, die Mutter alleinerziehend. Sie hatte nicht viel Geld und trotzdem ermöglichte sie ihm mehr als Eltern anderer Jungs.
    Sigmar Gabriel:"Bei den anderen war das so, da hieß es, nach neun Jahren muss Geld ins Haus kommen, neun Jahre Volksschule nannte man das, dann ist es genug. Dass ich dann später meiner Mutter zu verdanken habe, dass ich auch noch Abitur machen konnte, das ist schon ein großes Geschenk gewesen. Viele andere haben einen viel härteren Bildungsweg machen müssen, mit Abendschule und späterer Ausbildung oder haben gar nicht die Chance gehabt. Ich bin mir schon dessen bewusst, dass nicht alle Menschen auf der Sonnenseite des Lebens geboren werden."
    Aus seiner Herkunft macht er kein Geheimnis, im Gegenteil - er will sie nie vergessen oder schlimmer noch, verraten. Er legt Wert auf Normalität. Deswegen wohnt er auch am Stadtrand von Goslar und nicht im Moloch Berlin. Deswegen freut er sich auf die Nachmittage mit seiner jüngsten Tochter und auf seine Frau. Die Zahnärztin ist ganz offensichtlich diejenige, die für Bodenhaftung sorgt:
    Sigmar Gabriel: "Meine Frau macht das morgens immer, wenn ich sozusagen Bedeutungsschwanger nach Berlin will, dann sagt sie: Na, gehst Du wieder mit den Großen spielen? Also, die hat eine humorvolle Distanz zu dem, was ich mache und findet manchmal es gar nicht so sehr bedeutend, was wir machen, sondern eher ein bisschen kindisch. Das sagt sie dann auch."
    Sigmar Gabriel hat auf der Regierungsbank Platz genommen, zum zweiten Mal in seinem Leben. Diesmal aber ganz vorn, gleich neben der Kanzlerin. Er wirkt zufrieden, wie so oft in solchen Momenten spielt er an seinem Ehering herum. Er sitzt da - was mag er wohl denken? Auf dem Höhepunkt seiner politischen Laufbahn' Kann da noch was kommen?
    Sigmar Gabriel: "Das Schönste in meinem Leben sind meine beiden Töchter. Also, da kann eigentlich kaum was Schöneres kommen."