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Soziale Heilung
"Nicht jede Gruppe tut uns automatisch gut"

Soziale Unterstützung werde schon seit Langem als sein positiver Faktor für Gesundheit untersucht, sagte Sozialpsychologe Rolf van Dick im Dlf. Unterstützung einer Gruppe könne zum Beispiel ganz praktisch bei einem Schicksalsschlag oder Krankheit zum Wohlbefinden beitragen. Doch treffe das nicht für jede Gruppe zu.

Rolf van Dick im Gespräch mit Michael Böddeker | 18.09.2018
    Drei Erwachsene und ein Kind halten sich die Hände, sie sind als Schattenriss vor dem dämmernden Himmel zu sehen. (Symbolbild gesellschaftlicher Zusammenhalt)
    Ob wir uns sportlich und gesund verhalten, habe auch viel mit der sozialen Gruppe zu tun, in der wir uns bewegen - so der Sozialpsychologe Rolf van Dick (imago / Ute Grabowsky)
    Michael Böddeker: Sich in der eigenen Gruppe wohlfühlen. Die eigene Identität in der Gruppe finden. Egal, ob im Sportverein, unter Freunden oder unter Kollegen. Das fühlt sich gut an. Aber neben dem Wohlbefinden hat dieses Gefühl der Gruppenzugehörigkeit noch andere positive Effekte. Das zumindest zeigen neue Studien, die gerade auf dem Kongress der Deutschen Gesellschaft für Psychologie (DGPs) diskutiert werden. Bei der Tagung in Frankfurt am Main ist das nämlich dieses Jahr einer der Schwerpunkte.
    Und zuständig für das Schwerpunktthema ist Sozialpsychologe Rolf van Dick von der Goethe-Universität. Ihn habe ich gefragt: Mit dem Titel "The Social Cure" ist das Thema auf der Tagung angekündigt. Also auf Deutsch die "soziale Heilung". Inwiefern kann denn die eigene soziale Gruppe zu einer besseren Gesundheit beitragen?
    Rolf van Dick: Wenn wir uns in Gruppen aufhalten und mit Gruppen identifizieren, dann sind wir auch eher in der Lage, von der sozialen Unterstützung, die uns andere anbieten, zu profitieren. Das weiß man schon seit Langem. Soziale Unterstützung wird schon seit Langem untersucht als ein positiver Faktor, der zu mehr Gesundheit beiträgt. Das kann man sich ganz praktisch vorstellen.
    Wenn man etwas angeschlagen ist gesundheitlich und man arbeitet in einem Team, in dem die Kollegen sagen, dann geh früher nach Hause, wir übernehmen deine Arbeit, dann kann man sich besser auskurieren. Wenn man privat einen Schicksalsschlag zu verdauen hat und man hat Nachbarn oder Familienangehörige, die einen trösten oder auch mal in den Arm nehmen, dann hat das einfach ganz unmittelbare positive Gesundheitsauswirkungen.
    Also, diese soziale Unterstützung ist ein ganz wichtiger Faktor, sowohl praktisch wie auch emotional. Der andere Mechanismus, den wir gut untersucht haben, das ist die sogenannte kollektive Selbstwirksamkeit. Wenn wir uns Problemen ausgesetzt sehen, dann können wir uns immer fragen, kann ich persönlich damit umgehen, habe ich die Ressourcen, habe ich das schon mal erlebt? Traue ich mir zu, dieses Problem anzugehen? Wenn wir aber uns als Gruppenmitglied sehen und identifizieren, dann denken wir automatisch, können wir als Gruppe dieses Problem bewältigen? Und dann kann man sich leicht vorstellen, dass, wenn man sich zu mehreren fühlt, dann werden die Probleme auch kleiner, und man hat eher Zutrauen in die Fähigkeiten der Gruppe, diese Probleme auch zu lösen.
    Gruppen und ihre Normen
    Böddeker: Gilt das auch für das Verhalten, was die Gesundheit angeht? Ich denke an Dinge wie die Ernährung oder Sport oder ob man raucht oder nicht. Haben da auch die Freunde, die eigene Gruppe, hat das einen großen Einfluss?
    van Dick: Nicht jede Gruppe tut uns automatisch gut. Man beobachtet zum Beispiel in Deutschland seit einigen Jahren, dass das Rauchen unter Jugendlichen insgesamt sich nicht verändert, obwohl junge Männer weniger rauchen. Und das liegt daran, dass es unter jungen Frauen und Mädchen scheinbar zunehmend cool wird, zu rauchen. Man weiß auch aus Studien aus den USA, dass Menschen der sozialen Unterschicht sich eher weniger gesund ernähren und weniger bewegen, weil es in diesen Gruppen, in diesen Communities eher cool ist, sich von Fastfood zu ernähren und dick zu sein.
    Und umgekehrt gibt es natürlich die Gruppen, in denen Sport die Norm ist, in denen es die Norm ist, wenig Alkohol zu konsumieren. Denken Sie an die Vegetarier, wo es eine ganz klare Norm gibt, kein Fleisch zu essen und damit sich wahrscheinlich gesünder zu essen. Das heißt, die Frage, ob diese tatsächlichen Handlungen – sich gesund ernähren, wenig rauchen und so weiter – ob die in der Gruppe mehr oder weniger gemacht werden, hängt letztendlich davon ab, was die Gruppe sich selbst für Normen und Standards setzt.
    Böddeker: Das klingt so erst mal alles plausibel und nachvollziehbar. Aber wie kann man das wissenschaftlich möglichst genau auf die Gruppe zurückführen? Ich könnte mir vorstellen, dass Ursache und Wirkung vielleicht nicht immer so ganz einfach zu trennen sind. Dass einerseits die Gruppe sich positiv auf die Gesundheit auswirkt, oder andersherum, dass vielleicht auch Gesunde und Menschen, die von sich aus offen sind und positiv, dass die eher Anschluss an Gruppen finden. Wie kann man das wirklich auf den Einfluss der Gruppe zurückführen?
    van Dick: Hier muss man unterscheiden zwischen sogenannten Feldstudien, das sind zum Teil Befragungen, die man macht in Unternehmen, oder wir führen auch häufiger Befragungen durch mit Studierenden, wo wir dann zum Beispiel am Anfang des Semesters danach fragen, wie gut die Studenten sich sozial eingebettet fühlen in ihren Studiengang.
    Und am Ende des Semesters, meistens dann, wenn die Klausuren sind und die Studierenden Stress haben, fragen wir nach ihrem körperlichen Wohlbefinden und ob sie in letzter Zeit Kopfschmerzen, Magenschmerzen und so weiter hatten. Das ist eine Feldstudie. Hier können wir zwar durch die längsschnittliche Anlage, also dass wir zu zwei unterschiedlichen Zeitpunkten fragen, können wir annehmen, dass sich der Faktor Identifikation auf die später gemessene Gesundheit auswirkt. Aber Sie haben völlig recht, die Wirkungsrichtung könnte auch umgekehrt sein, und Studierende, die schon ganz gesund, weil sie gut erholt aus den Ferien kommen, ins Semester einsteigen, die sind vielleicht auch offener und attraktiver für andere und finden dann vielleicht auch leichter Anschluss. Und deshalb muss man zusätzlich zu dieser Art von Feldstudien Laboruntersuchungen machen.
    Der Trier Social-Stress-Test
    Böddeker: Und wie können solche Experimente aussehen?
    van Dick: Da gibt es mittlerweile eine ganze Reihe von Laboruntersuchungen, in denen Menschen kurzfristig unter Stress gesetzt werden, und das entweder in Situationen, in denen sie gemeinsam eine Gruppenidentität erlebt haben oder nicht. Wir haben zum Beispiel mit Kollegen in Hildesheim zwei solcher Studien gemacht in den letzten Jahren, in denen wir den sogenannten Trier Social-Stress-Test anwenden. Da werden Studierende gebeten, einen kurzen Vortrag für ein Assessment-Center zu halten. Und anschließend sollen sie von der 1043 aus in 17er-Schritten rückwärts zählen. Und dabei werden sie beobachtet von einem Komitee von zwei Personen, die sie relativ streng anschaut. Wenn man das macht, dann ist das sehr anstrengend. Aber allein das Gefühl, wir drei sind eine Gruppe, führt offensichtlich dazu, dass die anstrengende Situation als weniger belastend erlebt wird.
    Böddeker: Welche neuen Forschungsergebnisse gibt es zu diesem Thema jetzt aktuell auf dem Kongress in Frankfurt?
    van Dick: Wir haben alte Keynote-Speaker eingeladen, Alexander Haslam und Kathrin Haslam von der Queensland University in Australien. Die stellen ihre neuen Arbeiten vor, einmal zum Thema Leadership und Gesundheit oder Leadership Identity und Gesundheit. Die können zeigen, dass Führungskräfte, die es schaffen, eine Gruppenidentität aufzubauen, sodass das Team oder die Organisation sich auch tatsächlich als soziales Gefüge wahrnimmt, die tragen auch zu mehr Gesundheit bei. Das ist das eine, was relativ neu ist, was so auch noch nicht publiziert worden ist. Das andere sind Studien von Kathryn Haslam zum Thema Retirement. Man kann sich vorstellen, wenn Menschen in den Ruhestand gehen, dann verliert man ja sozusagen unmittelbar eine ganz wichtige Gruppe, nämlich seine Arbeitsgruppe, seine Kollegen, sein Team. Und hier kann Kathryn Haslam auch zeigen, wenn Menschen im Ruhestand auf andere Gruppen dann rekurrieren können, dann hat das keine negativen Auswirkungen auf ihre Gesundheit. Und das ist vielen Menschen nicht bewusst, dass so was auch ganz aktiv gemanagt werden muss, und dass nicht automatisch alle Gruppen uns gleich guttun, nur weil wir zufällig irgendwo wohnen oder irgendwo arbeiten.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.