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Sozialer Brennpunkt im Wandel
Langjährige "Gallus"-Bewohner fürchten Gentrifizierung

Jetzt kommen sogar die Banker. In Frankfurt am Main ist der ehemalige soziale Brennpunkt Gallusviertel zum hippen Anziehungspunkt für Kreative und Besserverdienende geworden. Die Bundesregierung beendet nun ihre finanzielle Förderung für die Aufwertung des Viertels - es bleibt die Angst vor steigenden Mieten.

Von Ludger Fittkau | 11.05.2017
    Straßenbahnstelle an der Messe Frankfurt im "Europaviertel" des Stadtteils Gallus
    Straßenbahnstelle an der Messe Frankfurt im "Europaviertel" des Stadtteils Gallus (imago stock&people)
    Eine Trommelgruppe aus dem "Gallus" empfängt Prominenz, die es hier so geballt ganz selten gibt: Bundesbauministerin Barbara Hendricks ist gekommen. Sie bekommt ebenso ein "Gallus"-T-Shirt in die Hand gedrückt wie ihre hessische Amtskollegin Priska Hinz oder der Frankfurter Oberbürgermeister, die sich gemeinsam für die Fotografen aufstellen. Auf der Terrasse des von der Caritas errichteten Quartierspavillons Quäkerwiese. Bis vor ein paar Jahren stand hier noch eine traurige Trinkhalle, an der sich viele Alkoholiker des früher verrufenen Viertels trafen.
    "So hat ein Stadtteil einen Stempel und wer vom Gallus kommt, ist erst einmal auf dem Arbeitsmarkt schwer vermittelbar", sagt Heike Sienel. Sie arbeitet ganz in der Nähe im Familienzentrum "Monikahaus" des Sozialdienstes der katholischen Frauen. Doch sie betont auch: Durch das vom Bund und vom Land unterstützte Projekt "soziale Stadt" im Gallus habe sich im letzten Jahrzehnt vieles zum Positiven verändert.
    "Da hört man, dass viel investiert worden ist und dass Stadtentwicklung möglich ist."
    Mieterinitiative mit Transparent gegen Mietwucher
    Das sehen auch die Mitglieder der Mieterinitiative des Viertels so, die am Rande der Veranstaltung zum bundesweiten "Tag der Städtebauförderung" ein Transparent gegen Mietwucher hochhalten. Denn immer mehr gut verdienende Leute etwa aus der Finanzwirtschaft drängen ins Gallus. Insbesondere im sogenannten "Europaviertel" werden hier gerade viele Neubauten hochgezogen. Karl Bruder von der Gallus-Mieterinitiative befürchtet eine Verdrängung der angestammten Arbeiterfamilien in das Umland - etwa durch Banker, die viel höhere Mieten zahlen können:
    "Und deswegen stehen wir hier und sagen: Wir freuen uns, wir feiern auch gerne mit, ist ja alles ganz toll geworden. Wir wollen nur, dass wir und unsere Kinder in zwei, drei Jahren auch noch hier her kommen können."
    Das "Gallus" könnte in Sachen Stadtentwicklung tatsächlich auf eine Art "Überholspur" geraten: Vom vor kurzem noch stigmatisierenden sozialen Brennpunkt zum hippen Mischviertel mit kleinen Theatern, Clubs und Künstlerateliers. Vor einer "Gentrifizierung des Gallus" warnt auf dem Promi-Spaziergang durch das Viertel Eyup Yilmaz. Er ist Stadtverordneter der Linken im "Römer", dem Rathaus von Frankfurt am Main:
    "Eigentlich hat sich das Gallus seit zehn Jahren so brisant geändert, ein normaler Mensch, ein Normalverdiener kann sich hier keine Wohnung leisten."
    "Die glauben, jeder Quadratmeter sei zu vergolden"
    Eyup Yilmaz spaziert nur wenige Meter hinter dem sozialdemokratischen Oberbürgermeister Peter Feldmann und der Bundesbauministerin durch das Viertel. Er wirft dem Oberbürgermeister vor, zwar verbal für die Sozialmieter im Viertel zu streiten, aber in der Praxis zu wenig für den Erhalt günstiger Mieten in der Stadt zu tun. Der Oberbürgermeister sieht das ganz anders. Man habe jetzt etwa beschlossen, privaten Großinvestoren vorzuschreiben, dass sie 30 bis 40 Prozent Sozialwohnungen bauen müssen, wenn sie eine neue Siedlung hochziehen wollen:
    "Dadurch können wir etwas Einfluss nehmen auf das etwas wild gewordene Marktelement. Auch einen Kontrapunkt setzen gegenüber den Spekulanten, die in der Stadt unterwegs sind. Die glauben, jeder Quadratmeter sei zu vergolden. Das ist ein Treiben, wo die ganze Stadt gesagt hat. Stopp!"
    Die Gruppe der Politiker und Bürger stoppt auf ihrem Rundgang durch das Gallusviertel vor einer Ladenzeile, in der Künstler in leerstehende kleine Ladenlokale eingezogen sind. Eine Galerie ist geöffnet, der kleine Ausstellungsraum des Malers Stefan Reiling füllt sich schnell. Er weiß, dass einige Nachbarn im Viertel Angst davor hatten, dass mit den Künstlern die Gentrifizierung des Gallus vorbereitet werden könnte:
    "Also, ich hoffe nicht. Ich bin jetzt selbst auch Privatmieter hier um die Ecke, von einer Wohnung. Schon aus dem Grund hoffe ich, dass dies hier nicht teuer wird oder sich verändert."
    Die Bundesregierung wird nun keinen Einfluss mehr darauf haben, wie sich das Gallus weiter entwickelt. Nach 15 Jahren Förderung und rund 3 Millionen Euro Zuschüssen aus dem Bundeshaushalt muss Frankfurt am Main nun die weitere Entwicklung des Quartiers eigenständig managen. Das sagt Bundesbauministerin Barbara Hendricks, bevor sie zum Abschluss des Rundgangs noch einen Baum für die Fotografen pflanzt:
    "Frankfurt hat sich aber entschieden, das Quartiersmanagement fortzuführen - auf eigene Kosten. Das ist gut so. Weil damit das bürgerschaftliche Engagement einen Kristallisationspunkt hat."
    Der neue soziale Kristallisationspunkt im Gallus ist allerdings in den Sommermonaten eindeutig der Quartierspavillon Quäkerwiese. Nachdem Prominenz und Trommler weg sind, erobern wieder viele Kinder mit ihren Müttern oder Vätern die Tische auf der Terrasse, die in der wärmenden Frühlingssonne stehen.