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Sozialisten in Frankreich
"Spaltung der Partei war schon vor dem Wahlkampf zu besichtigen"

"Faire battre le coeur de la France" hatte der Sozialist Benoît Hamon seine Kampagne überschrieben: Das Herz Frankreichs wollte er wieder zum Schlagen bringen. Stattdessen steht die Sozialistische Partei nun kurz vor dem Infarkt. Die ehemalige Frankreich-Korrespondentin Ursula Welter analysiert die Gründe.

Ursula Welter im Gespräch mit Anne Raith | 25.04.2017
    Der französische Präsidentschaftskandidat Benoît Hamon
    Die Sozialisten haben bei der ersten Runde der Präsidentenwahl das schlechteste Ergebnis seit 1969 verzeichnet, nur knapp über sechs Prozent der Wähler haben sich für Hamon entschieden. (picture alliance / dpa / Sophia Kembowski)
    Diese Niederlage war sicherlich eine der schmerzlichsten. Die Sozialisten haben bei der ersten Runde der Präsidentenwahl das schlechteste Ergebnis seit 1969 verzeichnet, nur knapp über sechs Prozent der Wähler haben sich für Hamon entschieden. Viel abzuwarten oder schön zu reden gab es nicht, und so war Benoît Hamon einer der ersten, der am Wahlabend an die Öffentlichkeit getreten ist und unter dem Protest seiner Anhänger seine Niederlage eingeräumt hat.
    Die Wähler hätten die Sozialistische Partei zu Recht abgestraft, glaubt Benoît Hamon. Und er habe diese sich abzeichnende Katastrophe nicht aufhalten können. Eine Katastrophe, die sich in den vergangenen Monaten, wenn nicht Jahren abgezeichnet hat und nun nicht nur Thema in der Parteizentrale in Paris ist.
    Anne Raith: Ursula Welter, welche Verantwortung trägt Hamon? Wäre ein anderer Kandidat nach fünf Jahren sozialistischer Regierung glückreicher gewesen?
    Ursula Welter: Nicht zwingend, aber diese Schlappe war schon bemerkenswert. Man kann sich erinnern, Hamon war ja der Außenseiter, als er sich im Januar bei den Vorwahlen der Sozialisten durchgesetzt hat als Präsidentschaftskandidat des Parti Socialiste. Er war der Mann vom linken Flügel der Partei, es gab andere Mitbewerber, auch vom linken Flügel, wie Arnaud Montebourg, aber gewonnen hat mit Hamon der stillere Typ.
    Allerdings war er doch einer, der rebelliert hatte gegen die - aus seiner Sicht - zu sozialdemokratische Linie des Staatspräsidenten François Hollande. Er war einer, der früh auf die Barrikaden gegangen ist und deswegen im August 2014 das Kabinett verlassen musste. Er war also ein Überraschungssieger bei den Vorwahlen der Sozialisten, einer, der sich mit Themen wie Grundeinkommen, Dieselverbot einen Namen gemacht hat, aber ab da wurde der Weg für ihn steinig.
    "Natürlich hat auch Marine le Pen den Sozialisten gebremst"
    Programmatisch, er hat seinen Wahlkampf links außen geführt, die Grünen haben ihn unterstützt, aber da war auch schon der wortgewaltige Jean-Luc Mélenchon, der dem Sozialisten ein gutes Stück Butter vom Brot genommen hat und der zur Zusammenarbeit nicht bereit war, Hamon hätte sich das gewünscht.
    Und natürlich hat auch Marine le Pen, die Chefin des Front National, die jetzt im zweiten Wahlgang sein wird, den Sozialisten gebremst, denn Frankreichs extreme Rechte hat gepunktet bei der ländlichen Bevölkerung, an den Stadträndern, bei den Arbeitern, also bei den "einfachen" Leuten…
    Hinzu kam, dass Hamon zusehen musste, wie sich Schwergewichte seiner eigenen Partei, der sozialistischen Partei, schon vor der Wahl von ihm abgewendet haben und Macron, also den parteilosen Kandidaten, unterstützt haben. Man konnte also die Spaltung der französischen Linken schon vor den Wahlen besichtigen.
    Raith: Eine Spaltung, die auch der ehemalige Premierminister Manuel Valls bebildert, der sich auch einmal Hoffnungen gemacht hatte, für die Sozialisten in den Wahlkampf zu ziehen, sprach vom "Ende einer Geschichte" für seinen Parti Socialiste. Ein Ende, das 1992 mit dem Referendum über den Maastricht-Vertrag begonnen habe. Was meint er damit?
    Welter: Nun man kann sagen und darauf zielt Valls ab, dass die Sozialisten ihren Frieden mit den Verträgen von Maastricht, also mit den Verträgen, die zur Währungsunion geführt haben, zum Euro, niemals recht gemacht haben, oder anders gesagt, das Thema spaltet bis heute.
    Damals hat der sozialistische Staatspräsident Mitterand den Parti Socialiste auf Europa noch eingeschworen, auf die Währungsunion, es ist ihm gelungen. Aber obwohl es eine knappe Mehrheit in Frankreich gab, musste Mitterrand erleben, mussten die Sozialisten erleben, dass ihm das "Volk der Linken", das ihn 1981 an die Macht gebracht hatte, dass dieses "Volk der Linken" nicht mehr gefolgt ist.
    Also dass der Riss einerseits durch die Partei ging, aber dass es auch einen Riss gab, der die Parteispitze von der Basis getrennt hat und das ist ein Riss, den man bis heute besichtigen kann, wenn bei den Sozialisten gestritten wird, und das wurde es auch in den vergangenen Jahren, über die Schuldenvorgaben der Währungsunion, über den Fiskalpakt, über Europa.
    "Es geht ein Riss durch diese Partei"
    Da ist ein linker Flügel, zu dem eben auch Benoît Hamon gehört, und da ist ein eher sozialdemokratischer Flügel, nach unserem Verständnis. Und dieser sozialistische, linke Flügel ist in den vergangenen Jahren bitter enttäuscht worden, von einem Staatspräsidenten Hollande, der ja mal angetreten war - und dafür gewählt worden ist - dass er die Finanzwelt zu seinem Feind erklärt hat, dass er die Reichen zur Kasse bitten wollte, und dass er auch den Fiskalpakt neu verhandeln wollte mit der Europäischen Union, nur, dass er seine Versprechen nicht halten konnte und entsprechend hat die Partei Hollandes verloren und für diese Partei stand Hamon. Die Ironie der Geschichte ist, dass Hamon eigentlich ein Kritiker Hollandes ist.
    Raith: Wie einschneidend ist die jetzige Niederlage für diese traditionsreiche Partei? Wie kann es weitergehen? In wenigen Wochen stehen ja bereits die nächsten Wahlen, die Parlamentswahlen an…
    Welter: Die sehr wichtig werden und sehr kompliziert für wer auch immer dann der Staatspräsident Frankreichs sein wird. Sicher ist, dass eine Partei wie der Parti Socialiste nicht einfach so von der politischen Landkarte verschwinden wird, aber es wird sich zweifellos vieles ändern.
    Die mehr als 200 Abgeordneten im Parlament müssen um ihre Zukunft bangen. Viele werden nun versuchen, ihre Haut, ihr Mandat zu retten. Einige sind ja schon in das Lager des parteilosen Jung-Stars Macron übergelaufen. Aber nicht jeder wird sich das Schild "En Marche", also der Bewegung Macrons, im Wahlkreis so ohne weiteres umhängen können und wollen. Das bedeutet aber auch, dass die verschiedenen Flügel nicht mehr unter dem Dach des PS zueinander finden werden. Es könnte gut sein, dass sich auf der äußersten Linken etwas formiert, für das auch Hamon steht, also der jetzt unterlegene Sozialist, ein Teil der Grünen vielleicht, Jean-Luc Mélenchon, der ein radikels, linkes Programm vertritt, dazu. Wie weit sich das allerdings bis zu den Parlamentswahlen im Juni sortiert haben wird, muss man abwarten. Die äußere Linke hätte aber aus meiner Sicht dann eine Chance, wenn sie sich zu einem Wahlbündnis zusammenschließen würde, sie hätte eine Chance auf eine kräftige Oppositionsrolle. Und einen würde sie nicht zuletzt die Kritik an der Europäischen Union und an der Währungsunion.
    Das gesamte Gespräch können sie sechs Monate in unserer Mediathek nachhören.
    Ursula Welter
    Ursula Welter, Jahrgang 1962, geboren in Kierspe, westliches Sauerland. Diplom-Studium für Volkswirtschaft und Politikwissenschaften an der Albertus-Magnus-Universität Köln, berufsbegleitendes Studium der Wirtschaftsethik an der Fernuniversität Hagen. Volontariat beim Deutschlandfunk, dort Redakteurin seit 1988. In den frühen neunziger Jahren DLF-Korrespondentin in Bonn, 2007-2011 Redaktionsleiterin Europa- und Außenpolitik DLF, 2011-2016 Frankreich-Korrespondentin für Deutschlandradio in Paris. Seither Abteilungsleiterin Hintergrund im Deutschlandfunk.
    Anne Raith
    Anne Raith, Jahrgang 1981, studierte Romanistik, Anglistik und Neuere Geschichte in Bonn und Aix-en-Provence. Nach ihrem Volontariat beim Deutschlandradio arbeitete sie zunächst als Redakteurin im Zeitfunk, bevor sie 2013 in die Abteilung Hintergrund wechselte, wo sie unter anderem die Sendung "Europa heute" moderiert. Anne Raith ist Arthur F. Burns Fellow.