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Sozialwahl 2017
Eine Wahl im Hintergrund

In diesem Jahr finden viele Wahlen statt, die jede Menge Aufmerksamkeit erhalten. Eine wichtige Wahl steht dagegen sehr im Hintergrund: Die Sozialwahl. Viele der 51 Millionen sozial Versicherten in Deutschland wissen oftmals nicht, worum es dabei überhaupt geht.

Von Philip Banse | 25.04.2017
    Unterlagen für die Sozialwahl 2011.
    Unterlagen für die Sozialwahl 2011 (imago )
    Bei der Sozialwahl werden die Selbstverwaltungen vieler gesetzlicher Renten- und Krankenversicherungsträger gewählt. Was heißt das konkret?
    Die gesetzlichen Krankenkassen und die Rentenversicherung sind keine Behörden, sondern verwalten sich selber. Wer Beiträge in die gesetzliche Rentenversicherung einzahlt oder in eine gesetzliche Krankenkasse, ist dort Mitglied. Mitglieder bekommen im Fall des Falles Leistungen, aber sie dürfen auch mitbestimmen, wer im obersten Gremium ihrer Krankenkasse oder der Rentenversicherung sitzt. Diese sogenannten Vertreterversammlungen haben viel Macht. Sie bestimmen, wer Chef ist, Krankenkassen und Rentensicherung und wie viel die verdienen. Sie bestimmten welche Reha-Maßnahmen eine Unfall- oder Krankenkasse bezahlt - die jetzt zu wählenden Gremien entscheiden auch, wer über Patientenbeschwerden entscheidet, ob also eine Kur oder Reha-Maßnahme zurecht verweigert wurde. Für Bundessozialministerin Andrea Nahles, SPD, ist daher klar, warum alle 51 Millionen Wahlberechtigten in den kommenden Wochen ihren roten Wahl-Brief abschicken sollten:
    "Ich finde, die einfachste Antwort darauf ist: Weil es auf der Welt fast einmalig ist, dass die Beitragszahler bei einer Versicherung direkt mitbestimmen dürfen; dass sie Vertreter und Vertreterinnen wählen, die darüber entscheiden, wofür ihre Gelder verwendet werden."
    Sozialwahl 2011: Wahlbeteiligung bei 30 Prozent
    Dennoch ist die Wahlbeteiligung gering. Bei der letzten Sozialwahl vor sechs Jahren haben nur gut 30 Prozent gewählt. Neben den Gründen, sind auch die Wahlmechanismen vielen unklar. Theoretisch kann zwar jeder gesetzlich Versicherte für das höchste Gremium seiner Krankenkasse kandidieren. Die formalen Hürden sind aber recht hoch und so kandidieren als Vertreter der Versicherten fast nur Gewerkschafter. Sehr oft finde aber gar keine echte Wahl statt, kritisiert der CDU-Bundestagsabgeordnete Kai Whittaker:
    "Meine Kritik an den Sozialwahlen ist, dass sie eigentlich undemokratisch sind. Über 90 Prozent der Positionen in der Selbstverwaltung werden nicht durch freie Wahlen bestimmt, sondern durch so genannte Friedenswahlen, also sie werden bestimmt von den Arbeitgebern und den Arbeitnehmern – ohne, dass es einen Wahlvorgang gibt."
    Friedenswahl meint: Das Gremium hat 30 Plätze, Arbeitnehmer und Arbeitgeber einigen sich auf genau 30 Kandidaten und beschließen, dass es daher keine Abstimmung geben muss. Das ist rechtlich in Ordnung, aber CDU-Mann Whittaker will dieses Gekungel abschaffen.
    Die Große Koalition hatte sich eine Reform der Sozialwahl in den Koalitionsvertrag geschrieben, allein passiert ist nichts. Sozialministerin Andrea Nahles bedauerte das und forderte, online wählen zu können:
    "Es wird so selbstverständlich werden, dass es immer exotischer werden wird, wenn wir nicht auch den Online-Weg eröffnen. Davon bin ich fest überzeugt."
    Eine Online-Wahl alleine werde diese drittgrößte Wahl der Bundesrepublik nicht attraktiver machen, sagte der Politikwissenschaftler Karl-Rudolf Korte:
    "Und unter diesen Rahmenbedingungen kriegen sie on- wie offline keine bildungsbürgerliche Zeitreiche letztlich. Das ist nicht der Ausweg. Der Ausweg ist, die Mobilisierung zu steigern. Wer sich einbringen will, findet einen Weg. Und er muss von der Notwendigkeit überzeugt werden – nicht von dem technischen Instrument."