Dienstag, 23. April 2024

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Sozialwissenschaftler: Stasi-belasteter Lötzsch-Mitarbeiter sollte sich äußern

"Wir sollten auch dahin schauen, wo ehemalige hohe SED-Funktionäre, die Verantwortung trugen, heute noch aktiv Politik betreiben," sagt Klaus Schröder mit Blick auf den Büroleiter von Gesine Lötzsch (Die Linke), der seinen Wehrdienst Stasi-Wachregiment leistete.

21.01.2011
    Jasper Barenberg: Wege zum Kommunismus wollte Gesine Lötzsch kürzlich in einem Aufsatz erkundigen. Das Reizwort war in der Welt, die Reaktionen waren entsprechend aufgeregt und die Vorsitzende der Linkspartei hat über Tage mit Erklärungen gerungen. Sie habe zwar Kommunismus gesagt, in Wirklichkeit aber den demokratischen Sozialismus gemeint. Jetzt schwillt der Chor der Kritiker abermals an, seit bekannt ist, dass ihr Büroleiter im Bundestag einst drei Jahre lang bei der DDR-Staatssicherheit beschäftigt war. "Skandal!" rufen vor allem Politiker der Union, "Hysterie" erwidern Politiker der Linkspartei. All das wird heute im Bundestag gewiss lebhaft diskutiert werden und debattiert werden in einer Aktuellen Stunde. Wir wollen in den nächsten Minuten mit dem Sozialwissenschaftler Klaus Schröder sprechen. An der Freien Universität in Berlin leitet er den sogenannten Forschungsverbund SED-Staat. Einen schönen guten Morgen, Herr Schröder.

    Klaus Schröder: Schönen guten Morgen!

    Barenberg: Auf den Büroleiter von Gesine Lötzsch wird mit dem Finger gezeigt, weil Klaus Singer nach der Schule seinen dreijährigen Grundwehrdienst im sogenannten Wachregiment Felix Dserschinski geleistet hat, dem Wachregiment des Ministeriums für Staatssicherheit also. Die Unions-Politiker sind erregt. Politiker der Linken sagen, alles völlig unproblematisch. Ist das auch Ihre Sicht auf die Dinge?

    Schröder: Die erste oder die zweite Sicht?

    Barenberg: Sagen Sie uns welche!

    Schröder: Ja. Bei Dserschinski haben Leute ihren Wehrdienst geleistet, die als sehr systemloyal galten, denn das MfS selber hat die Leute ausgewählt. Man konnte sich da nicht bewerben. – Zweitens: Sie haben durchaus Dinge gemacht, die auch die Wehrpflichtigen gemacht haben, aber sie waren auch eingesetzt, potenziell und real, zur Bewachung von Gefängnissen, potenziellen Niederschlagung von Aufständen und so weiter. Aber das betrifft ja alles nicht den Einzelfall. Deshalb wäre es sinnvoll, dass Herr Singer sagt, welche Tätigkeit er ausgeübt hat, und wenn er eine allgemeine Tätigkeit ausgeübt hat, die nicht in das operative Geschäft der Stasi eingebunden war, dann, denke ich, sollte man die Dinge gelassener und ruhiger sehen, zumal Leute, die dort gearbeitet haben und nicht besonders eingesetzt waren, ja im öffentlichen Dienst nicht entlassen werden.

    Barenberg: Klaus Singer war damals – 1978 war das – wohl 19 Jahre alt und nach Informationen der Zeitung "Die Welt" und nach Informationen der Akte über ihn wurde Singer ja auf Vorschlag eines hohen Offiziers der Stasi für den Dienst vorgeschlagen. Sie haben diese Vorgehensweise auch schon erwähnt und beschrieben. Singers Vater war Mitglied im ZK der SED, Singer zu dieser Zeit bereits Kandidat der SED und in allen wichtigen Organisationen der Partei. Unter anderem ein Argument für einen solchen Dienst war ja auch immer, dass man dann einen Studienplatz sicher hat. Was sagt uns all das über die politische Haltung von dieser Person, von Klaus Singer damals?

    Schröder: Na ja, er war überzeugt vom System, und deshalb hat er auch die Arbeit für die Stasi nicht als was Schlimmes angesehen. Man vergisst immer, wenn man von heute schaut, wird gesagt, na ja, wer für die Stasi gearbeitet hat, das war ja was ganz Böses. Tatsächlich aber waren diejenigen, die hauptamtlich oder inoffiziell für die Stasi gearbeitet haben, in den meisten Fällen auch überzeugt vom Sozialismus und vom Schutz des Sozialismus. Das mag man Verblendung nennen, das war aber auch innere Überzeugung. Aber ich sage noch einmal: Entscheidend ist bei uns das individuelle Verhalten. Das muss gewürdigt werden. Wenn es so ausfällt, dass er belastet ist, dann, denke ich, ist er nicht tragbar. Wenn er aber genau den Dienst abgeleistet hat wie die meisten anderen, dann, denke ich, sollte man da ihm keinen Strick draus drehen.

    Barenberg: Nun verlangen CSU-Politiker ja, ein solcher Spitzel sei im Bundestag nicht tragbar. Ist das überzogen?

    Schröder: Nun, er ist ja kein Spitzel. Das wissen wir noch nicht. Er hat bei Dserschinski gedient, damit galt er als hauptamtlicher Mitarbeiter der Stasi. Danach ist er aber nicht wie viele andere hauptamtlicher Mitarbeiter geblieben. Also er hat wahrscheinlich nicht gespitzelt. Wenn doch, dann hat er im Bundestag auch als Mitarbeiter nichts zu suchen. Wenn er aber nicht gespitzelt hat, nicht in das operative Geschäft eingebunden war, dann, denke ich, kann man das auf sich beruhen lassen.

    Barenberg: Nun macht manch ein Kollege von Ihnen Gesine Lötzsch insofern einen Vorwurf, als ihr zur Last gelegt wird, sie würde frühere Kadermitarbeiter quasi aktiv in den Dienst der Linkspartei integrieren. Kann man ihr diesen Vorwurf machen aus Ihrer Sicht?

    Schröder: Ja, nicht nur Frau Lötzsch, sondern insgesamt die Partei, die sich jetzt Die Linke nennt, will im linken Spektrum sehr weit nach links Leute noch mit integrieren in ihre Partei. Das ist ihr Anliegen. Hierzu gehören auch ehemalige Stasi-Leute, aber auch ehemalige hohe SED-Kader. Wir sollten das auch nicht immer nur auf die Stasi reduzieren und die kleinen IMs sozusagen als Sündenbock nehmen, sondern wir sollten auch dahin schauen, wo ehemalige hohe SED-Funktionäre, die Verantwortung trugen, heute noch aktiv Politik betreiben.

    Barenberg: Die Linkspartei lobt sich ja immer sehr für ihre gründliche Aufarbeitung der DDR- und Stasi-Vergangenheit.

    Schröder: Das halte ich für ein Gerücht! Mir ist nicht bekannt, dass sich diese Partei sehr intensiv mit der Vergangenheit, mit ihrer Vergangenheit der Partei der SED beschäftigt hat, sondern sie hat sich von einzelnen Dingen distanziert und hat behauptet, die stalinistische Ära müsse überwunden werden. Sie hat bisher überhaupt noch nicht begriffen, dass sozusagen der Stalinismus eine zwangsläufige Entwicklung auf dem Weg zum Kommunismus war, und nur die Distanz oder Distanzierung vom Stalinismus bedeutet noch lange nicht eine Aufarbeitung der sozialistischen Diktatur in der DDR.

    Barenberg: ... , sagt Klaus Schröder, der Sozialwissenschaftler von der FU Berlin. Dort leitet er den Forschungsverbund SED-Staat. Danke Ihnen für das Gespräch, Herr Schröder.

    Schröder: Ja, bitte schön!