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Späte Annäherung zwischen Kolumbien und den FARC-Rebellen

Seit fast 50 Jahren hält der Kampf gegen die FARC, die älteste Rebellenorganisation, Kolumbien im Würgegriff. Der Konflikt kostete in den vergangenen Jahrzehnten rund 20.000 Menschen das Leben. Der Präsident des Landes Manuel Santos hat nun verkündet, direkte Verhandlungen mit den Rebellen aufzunehmen.

Von Julio Segador | 01.09.2012
    Seit 30 Jahren arbeitet Martín Carillo als Schuhputzer in Kolumbiens Hauptstadt Bogotá. Seit wenigen Tagen schöpft er Hoffung, dass Gewalt und Hass in seinem Land ein Ende finden.

    "Mein größter Wunsch ist, dass meine Enkel diesen Frieden erleben, den wir so sehr herbeisehnen. Es kann doch nicht sein, dass es Kinder gibt, die groß werden ohne den ersehnten Frieden zu kennen."

    Wie den 76-jährigen Martín Carillo geht es Millionen von Menschen in Kolumbien. Die Ankündigung von Präsident Juan Manuel Santos, dass es schon bald zu Friedensgesprächen mit den marxistischen FARC-Rebellen kommen wird, hat viele elektrisiert. Nach Jahrzehnten des Terrors, dem tausende zum Opfer fielen, scheinen die Chancen für einen realistischen Friedensprozess so gut zu stehen wie selten zuvor. Kolumbiens Ex-Präsident Ernesto Samper ist optimistisch, dass es beide Seiten ernst meinen, auch, weil frühere Hindernisse nicht mehr bestehen.
    "Die rechtsgerichteten Paramilitärs spielen als Gegenpart der Guerilla keine Rolle mehr, verschiedene Opfergesetze und auch das Gesetz zur Landverteilung haben für ein günstiges Verhandlungsklima gesorgt. Mein Gefühl sagt mir, dass die Sterne für den Friedensprozess und für die nationale Aussöhnung so günstig stehen, wie noch nie."

    Seit fast 50 Jahren hält der Kampf gegen den Terror Kolumbien im Würgegriff. Einige Vorgänger von Juan Manuel Santos im Amt des Präsidenten hatten zwar ebenfalls einen Friedensprozess angestoßen, scheiterten aber, weil beide Seiten nicht ehrlich waren. Andere – so wie Alvaro Uribe, der von 2002 bis 2010 Präsident war - setzten auf die militärische Karte. In Kolumbien nennen die Menschen die Auseinandersetzung gegen die FARC den "Krieg der Verlierer". Es gibt in fünf Jahrzehnten keine Gewinner, das dürfte das Hauptmotiv gewesen sein, dass Santos nun den Friedensprozess ernsthaft angeht. Dazu kommt, dass die Revolutionären Streitkräfte Kolumbiens – wofür die Abkürzung FARC steht, geschwächt sind, wie niemals zuvor. Uribe und Santos haben die komplette Führungsspitze der Guerilla ausgeschaltet. Die historischen Guerillaführer sind tot, jene die überlebten, hinter Schloss und Riegel. Und: Die FARC genießen in der Bevölkerung keinerlei Rückhalt mehr.

    Aus der marxistisch-politischen Guerilla, ist eine gewöhnliche Mörderbande geworden, die sich aus Drogengeldern finanziert. Präsident Santos kann den Friedensprozess aus einer Position der Stärke angehen.

    "Wir müssen aus den Fehlern der Vergangenheit lernen, um sie nicht zu wiederholen. Zweitens: Jeder Prozess muss zwingend das Ziel haben, den Konflikt zu beenden, er darf ihn nicht verlängern. Und klar ist auch, dass wir die militärische Präsenz auf jedem Zentimeter unseres Terrotoriums beibehalten."

    Unter den ehemals Entführten ist der Friedensprozess umstritten. Manche Opfer wie Luis Eladio Perez begrüßen die Ankündigung der Regierung. Perez, der zwischen 2001 und 2008 sieben Jahre in der Hand der FARC war, glaubt nicht, dass die Waffen am Ende den Frieden bringen.

    "Der Frieden ist eine ungemein schwierige Anstrengung, ein Opfer. Aber dieses Ziel wird die Aussöhnung zwischen den Kolumbianern herbeiführen."

    Andere wie Fernando Vargas sind skeptisch. Vargas steht dem Verband der FARC-Opfer vor. Er kann sich nicht vorstellen, dass nach dem Friedensprozess einfach alle wieder zur Tagesordnung übergehen. Für ihn sind die Wunden des Entführens und Mordens zu tief.

    "Wir sind drei Millionen Menschen, alles Opfer der Guerilla in Kolumbien, Mütter, Väter, Kinder, Großeltern. Und jene, die unsere Familien massakriert haben, die sollen nun nicht mehr zur Rechenschaft gezogen werden? Sollen ihnen diese Verbrechen wirklich verziehen werden? Und zuletzt hieß es, sie könnten sogar für den Kongress kandidieren."

    In der Tat ist umstrittenen, wie nach einem möglicherweise erfolgreichen Friedensprozess mit den Guerillamitgliedern verfahren wird. Sollen sie vor Gericht gestellt werden? Oder wird es Amnestiegesetze geben? Das sind nur einige der Fragen, die bei den Friedensgesprächen ab 5. Oktober zunächst in Norwegen und dann auf Kuba eine Rolle spielen werden. Ob die rechtsgerichtete, paramilitärische "Nationale Befreiungsarmee" kurz ELN ebenfalls an den Verhandlungen teilnimmt, ist noch unklar. Juan Manuel Santos hat eine Einladung ausgesprochen, eine Antwort gab es bisher nicht. Doch davon lässt sich der populäre kolumbianische Präsident nicht entmutigen. Er verfolgt seinen Traum. Ein Kolumbien in Frieden.