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Späte Gesangskarriere eines Südstaaten-Tischlers
Robert Finleys Rock'n'Soul-Gumbo

Der 62-jährige, fast blinde Robert Finley begann seine Soulkarriere erst letztes Jahr dank eines Benefizvereins für alternde Musiker. Jetzt hat ihn Retrospezialist Dan Auerbach von den Black Keys entdeckt und ein zweites Album mit ihm aufgenommen, das so bemerkenswert ist wie die Geschichten, die Finley zu erzählen hat.

Von Bernd Lechler | 09.12.2017
    Robert Finley im seinem zweiten musikalischen Frühling vor einem Felgenlager.
    Robert Finley in seinem zweiten musikalischen Frühling vor einem Felgenlager (Alysse Gafkjen)
    Musik: You Don’t Have To Do Right
    "Man muss sich nicht immer anständig verhalten, wenn einem Unrecht getan wurde", singt Robert Finley in "You Don’t Have To Do Right", und dem mag man nun zustimmen oder nicht - wie bei den anderen Songs dieses Albums hat man jedenfalls das Gefühl, der Sänger erzählt aus seinem Leben - obwohl er keinen der Songs selbst geschrieben hat. Erstes Kompliment also an Produzent und Songwriter Dan Auerbach, und auch Robert Finley erkennt das dankbar an:
    "Bei den meisten dieser Songs wusste ich, dass sie das Publikum erreichen können, weil sie mein Leben berühren, oder das von Brüdern, Freunden. Dass einem Unrecht geschieht, etwa: Das kennt man nach zwei Ehen und zwei Scheidungen! Oder der Song "Get It While You Can", darüber, dass man alles geben muss, wenn man eine Chance bekommt, so wie ich jetzt mit 62: Das ist auch klar, denn es könnte die letzte sein."
    Musik: Get It While You Can
    Er sang ihm die Texte ins Ohr
    Zum Debütalbum, "Age Don't Mean A Thing" von 2016 (mit eigenen Songs), hatte ihm der Verein Musicmaker verholfen, der alternde Bluesmänner unterstützt und Finley entdeckte, als der mit Freunden auf der Straße sang und spielte. Das Album wiederum haute Dan Auerbach aus den Socken - er holte Robert Finley zu seinem gerade gegründeten Label, half Songs schreiben - und sang dem fast blinden Finley die Texte beim Proben Zeile für Zeile ins Ohr.
    "Alles konnte ich behalten - nur seinen Namen nicht. Ich sagte immer ‚Dave’ statt Dan, und er korrigierte mich nie. Bis mal einer der Studioleute fragte: 'Wer ist denn dieser Dave?' Dan meinte: 'Mir egal, wie du mich nennst, sing einfach!'"
    Die Aufnahmen waren der bisherige Höhepunkt in diesem zweiten Frühling seines musikalischen Lebens. Der erste begann Anfang der Sechziger, als der kleine Robert zusammen mit ein paar Freunden zum ersten Mal selbstständig in die Stadt gehen durfte - mit Geld vom Vater, um sich Schuhe zu kaufen.
    "Wir kamen an einem Laden vorbei, mit einer herrlichen roten Gitarre im Fenster. Im Angebot, für 19,95. Meine Freunde sagten: Kauf sie, wir helfen dir Rasenmähen, dann hast du das Geld für die Schuhe schnell wieder drin. Da hab ich dann das erste Mal gelernt, dass einen Freunde auch mal hängen lassen."
    Aber er konnte den Vater besänftigen und legte die Gitarre nicht mehr aus den Hand, kam später während seines Wehrdiensts zum Musikkorps und tourte dann jahrelang mit Militärbands durch europäische Kasernen. Zurück in den USA war ihm die Musik zu unsicher. Robert Finley wurde Tischler wie sein Vater, ließ sich von dessen Brüdern noch als Elektriker und Klempner anlernen und war ein gut beschäftigter Handwerker in Bernice, Louisiana.
    Mit dem Grünen Star kam die Musik zurück
    Bis er am Grünen Star erkrankte und seinen Zollstock nicht mehr ablesen konnte. Was nun? Zur Ablenkung griff er wieder häufiger zur Gitarre, machte Straßenmusik - der Rest ist die Geschichte dieses Albums voller Soul von Memphis bis Detroit -
    Musik: If you forget my love
    - lebensgetränktem Rhythm & Blues -
    Musik: Complications
    - gut gelauntem, aber nie plattem Rock’n’Roll -
    Musik: Honey, Let Me Stay The Night
    - und Produzent Auerbach hat dafür eine mit allen Wassern der Soulgeschichte gewaschene Band zusammengestellt.
    "Die haben für Aretha Franklin gespielt, für Ray Charles, James Brown - immer wenn ich einen Namen fallen ließ, sagte jemand: 'Ach ja, mit dem hab ich 1964 was gemacht ...' Da war ich zehn! Und keiner von ihnen kam mit dem Rollator oder im Rollstuhl; die Musik hat sie in Bewegung gehalten! Ich kenne ja die Energie, die einen packt, wenn das Publikum jubelt, da mache ich Sachen, die ich mich sonst nicht traue, da geh ich beim Tanzen tief runter auf den Boden ... Naja, und dann denk ich, Gott, jetzt häng ich hier - kann mir mal jemand aufhelfen?"
    Retro-Elemente, ohne dass es retro klingen würde
    Robert Finley singt so charismatisch, wie er erzählt; das Album mit seinen ganzen alten Herren klingt erstaunlich sexy. Aber das wichtigste Kunststück, das Dan Auerbach hinbekommen hat, ist, dass die Songs aus lauter Retro-Elementen bestehen und trotzdem nicht richtig retro klingen oder gar altmodisch. Die Gitarren ein bisschen rabiater verzerrt als damals, das Schlagzeug ein bisschen aggressiver komprimiert und was man sonst so an Kunstgriffen im Studio einsetzen kann - Robert Finley selbst denkt an einen klassischen Südstaateneintopf.
    "Wenn man das Album ganz hört, da steckt alles Mögliche drin: Blues, Southern Soul, Rock’n’Roll - es ist wie ein Gumbo. In einem Album alles drin!"