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Später Nietzsche mit neuer Musik

In seiner Oper "Dionysos" nimmt sich Wolfgang Rihm Nietzsches "Dionysos-Dithyramben" vor. Das 2010 in Salzburg uraufgeführte Werk feierte jetzt an der Oper Heidelberg Premiere. Musikalisch ist damit zwar ein Triumph gelungen. Doch als Stück, als Musiktheater, funktioniert "Dionysos" nicht.

Von Jörn Florian Fuchs | 10.02.2013
    Natürlich ist das sehr schade. Da wächst ein relativ kleines Haus über sich hinaus, verausgabt sich bis an die Grenze und doch bleibt alles letztlich irgendwie vergebliche Mühe. Mit der Zweitaufführung von Wolfgang Rihms Opernfantasie "Dionysos" ist dem neuen Heidelberger Operndirektor Heribert Germeshausen zweifellos ein musikalischer Triumph gelungen. Chefdirigent Yordan Kamdzhalov und seine Orchestermusiker folgen jedem noch so komplexen Klanggewirk Rihms und trudeln dabei nie ins Wirre, Unsaubere. Es gibt schöne Raumeffekte, vor allem beim Schlagzeug oder dem manchmal vom Rang aus singenden Chor. Und besser besetzen kann man die Sache wohl auch kaum, etwa mit der phänomenalen Sharleen Joynt, die fast alle Anforderungen Rihms mühelos umsetzt.

    Wunderbar auch Namwon Huh, der kräftig und elegant samtweiche Bögen wie heftige Intervallsprünge bewältigt. Sehr gut auch Holger Falk, er singt die Titelpartie. Auch die Nebenrollen sind hervorragend besetzt, dazu kommt ein kluger Regisseur mit Händchen fürs präzise Erzählen kleiner Geschichten. In gewisser Weise gibt es sogar einen großen Bogen, wir erleben nämlich den Leidensweg eines psychisch arg belasteten Mannes, der mit sich, der Welt und vor allem den Frauen ein Problem hat.

    Ingo Kerkhof erzählt von psychischen Gefährdungen und realer Gewalt, von Angst beziehungsweise Lust vor Weiblichkeit und von religiösem Ringen. In einem herunter gekommenen Raum mit altem Mobiliar, fahlen Luken, zugenagelten Fenstern, einem Klavier, Biertischen und einem leicht plüschigen Bett irrt der im Libretto "N." genannte Mann umher, er begegnet singenden, klingenden Damen, einem Faktotum namens "ein Gast" und den mal nur stumm glotzenden, dann wieder aufbrausend singenden Chormassen. Die Masse Mensch hüllt sich gegen Ende in hoch geschlossene Krägen, was sehr an Claus Guths Regiehandschrift erinnert. N. bespritzt sich kurz vor dem Finale neben einer Marienstatue mit Blut, dann führt uns die Musik galant in ein klangsinnliches Delirium.

    Vermutlich weil im zweiten Teil des Abends vieles so eingängig war und Rihm so manches Zitat eingebaut hat, wurde das Gesamtergebnis vom Publikum heftig und ausdauernd beklatscht. Also alles gut? Leider nein. Denn wir haben ja praktisch noch nichts über den wirklichen Inhalt gesagt. Wolfgang Rihm schrieb das Libretto selbst und stellte es aus späten Nietzsche-Texten, den "Dionysos-Dithyramben" zusammen. In selbigen vermischt Nietzsche auf genuin postmoderne Weise dieses und jenes, Sinnsprüche treffen auf Ariadnes Klage, es wird leicht pornografisch über Euter reflektiert oder schön Wort gespielt, wenn zum Beispiel "Selbstdenker" in "Selbsthenker" übergeht. Der schon halb im Wahnsinn steckende Philosoph hat seine Gedankensplitter der Nachwelt hinterlassen, sie sind ein wirklich perfektes Betätigungsfeld für Uni-Seminare. Doch was hat solch ein Textkonglomerat bitte auf einer Opernbühne zu suchen?

    Bei aller – aufrichtigen – Liebe zu Rihms Musik und seinen immer recht eigenwilligen Sujets, hier muss jetzt einfach mal Schluss sein. "Dionysos" wurde 2010 in Salzburg uraufgeführt, damals verkitschte Pierre Audi die Chose, in einem immerhin hübsch bunten Bühnenbild von Jonathan Meese. Auch der zweite Inszenierungsblick zeigt nun deutlich, das Ding gehört nicht auf die Bühne. Man könnte sich eine Installation mit Tanz vorstellen, eine Videowelt mit Interaktionsmöglichkeiten und manches mehr. Doch als halbwegs "normales" Musiktheater funktioniert "Dionysos" einfach nicht. Und daran können auch die phänomenalen Leistungen aller in Heidelberg Mitwirkenden leider wenig ändern.