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Später Sprachdadaist

Er sei ein "methodischer Magier der Sprache", der ein Werk von "größter Radikalität und Formenvielfalt" geschaffen habe, so begründet die Akademie für deutsche Sprache und Dichtung ihre Entscheidung, den diesjährigen Büchner-Preis an Oskar Pastior zu vergeben. Der in Siebenbürgen geborene Dichter schreibt Poesien, die oft einen schnellen Zugang verweigern und dennoch einen speziellen Zauber verströmen.

Von Gabriele Killert | 14.05.2006
    Die Entscheidung der Darmstädter Akademie ist gut, sie ist richtig und vor allem überraschend insofern, als unser trügerisches Gedächtnis fest behauptete, Pastior habe den Büchner-Preis längst bekommen, bekommen müssen. Letzteres mag stimmen. Zu früh jedenfalls, das kann man sagen, bekommt er ihn nicht, wenn er ihn jetzt bekommt, ein Jahr vor seinem 80. Geburtstag.

    Seit 1968, als es dem im rumänischen Siebenbürgen aufgewachsenen Dichter gelang, der Knute Ceaucescus zu entkommen, lebt und arbeitet Pastior als freier Schriftsteller in der BRD, seit '69 in Berlin. Seit also beinah 40 Jahren betreibt er hier sein oulipotisches Handwerk, und so lang brauchte das Land, um auf diese Entscheidung und diese Dichtung hinzureifen. Ist sie so schwierig? Schwer zu sagen.

    Die Relativitätstheorie ist für manche leicht zu verstehen, für andere nicht. Pastiors Poesien sind viel zugänglicher, aber man muss sich natürlich erst einlesen, besser: einhören. " assa saas blu ulb/ boob obbo gir gri/ kook okko pis pis/ appa paap zur ruz" - lautet die erste Strophe eines "Sonetburgers". Wenn solche Sinn-und Silbenmimikry auf taube oder ungeübte Gehörknöchelchen trifft, kann leicht der Anfangsverdacht eines Unfugsverdachts aufkommen.

    Pastior hält diesen Verdacht bei sich selber übrigens immer wach. Er hat neben dem Sonett noch kompliziertere Gedichtformen wie die Sestine wiederbelebt, die so noch nie belebt waren. Denn, soviel teilt sich doch unmittelbar mit: diese Lautgebilde, denen man die strengen Regeln, nach denen sie generiert sind -denn das bedeutet Oulipo- nicht unbedingt anmerkt, entpuppen sich unter der Lektüre als lebendige Geschöpfe, wie Wesen aus Fleisch und Blut. Da ist ein verspielter Dämonismus am Werk. Es teufelt in diesen Texten. Zum einen aus purem Realismus, denn es wimmelt in der Sprache wie in der Wirklichkeit von Teufeliaden. Jemand wie Oskar Pastior, der viele Jahre den Schikanen realer Dämonen ausgesetzt war, inklusive fünf Jahre Arbeitslager "zum Wiederaufbau der Sowjetunion", bräuchte hierfür keinen siebten Sinn. Er hat aber ein geschärftes Sensorium für alles Quälgeisterhafte bis ins mikrobenhaft Kleine. Und er antwortet mit einem fein abgewogenen, präzise hantierenden Gegenzauber, der an die Kunst des Meisters aus Tula in einer Leskow- Erzählung erinnert, der in der Lage war, einem Floh Hufe unterzuschmieden.

    Schon Pastiors allererstes Gedicht, bestehend aus nur drei Wörtern: " Jalousien aufgemacht, Jalousien zugemacht/ Jalousien aufgemacht, Jalousien zugemacht..." und so fort, übt diese Magie aus. Niemand hat den Pastior'schen Zauber und Gegenzauber vielleicht schöner beschrieben, als Herta Müller am Beispiel eines Gedichtes aus dem frühen Band Der krimgotische Fächer. ( "TAS ILLUSIUN/ statifiziert/ die mengliche/ Schraufe/ läumstens/ kollekt/ aber das/ Eibliche/ urmelt/ wacholder/ wardeinisch/ frontäl-/ Minze Minze/ flaumiran/ Schpektrum...") Dieses Gedicht, schreibt Herta Müller, die selbst ein unverlierbares Erinnerungsgepäck aus derselben traumatisierenden Siebenbürger-Heimat mit sich schleppt, "dies Gedicht war damals und ist heute noch beim Lesen das, was ich gerade bin. Es kann einen Fabriktag genauso beschreiben wie eine Zugfahrt, einen Streit oder einen Supermarkt. Dies Gedicht ist nervös. Das nervöse Gedicht hat mich gelesen, mich durchschaut und taxiert und festgestellt, dass ich, um mich in der Nervosität zu beherrschen, etwas Nervöses brauche. Das Gedicht hat... seine Nervosität an der meinen dosiert. Es blieb an mir hängen, ich hatte da gar keine Wahl."

    Wenn man Pastiors Poesien in der eigenen Ohrmuschel lauscht, in der Hoffnung, dass da mehr rauscht, als der eigene Unverstand, wenn man seine Zeilen, Sprünge, regelhaften Hasard-Spiele mitvollzieht, diese progressiven Entstellungen, Fluchtmanöver, unausdenkliche Silben-und Subjektkreuzungen in der Petri-Schale seines vielsprachig privilegierten inneren Milieus, dann teilt sich diese Nervosität als Übermut mit. Je größer das Pathos, die Trostbedürftigkeit, umso größer der Aufwand an Ironie, an Sich -lustig-machen, um die Wunde abzudecken. Pastiors Ironie ist flächendeckend. Das Demokritische sticht auch bei ihm das Kritische. Wie alle Dichter, die ihm nahestehen, und die er - in einer Hommage- travestierend weitergedichtet oder wunderbar übersetzt hat -Petrarca, Baudelaire, Gellu Naum u.a.- will auch Pastior gegen den Schrecken etwas Schönes schaffen. Wie er das schafft, was er doch bei allem Kalkül nicht kalkulieren kann, da er sich dem Zufall, dem Somnambulismus der Regeln anvertraut, und ob es wegen oder trotz dieser Selbstfesselungskünste gelingt, in einer Art Wirklichkeitshalluzination etwas vom Kribs-Krabs des Ganzen poetisch abzubilden, das bleibt sein Betriebsgeheimnis.