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Spätmittelalter
Sterben nicht mehr gottgewollt

Das Prosawerk "Der Ackermann aus Böhmen" markiert eine Zeitenwende. Es stammt aus dem Spätmittelalter, aus dem Jahr 1401. Erstmals lehnt sich hier ein Mensch gegen die Allmacht des Todes auf. Galt der Tod vorher als Strafe Gottes, wird er in Johannes von Tepls Werk angeklagt wie ein Mörder.

Von Kirsten Serup-Bilfeld | 04.04.2016
    Sensenmann ist am Samstagabend (17.07.2010) im Schlossgarten auf dem Mittelalterlichen Phantasie Spectaculum in Bückeburg zu sehen.
    In der Neuzeit wandelte sich das Bild vom Tod. (picture alliance / dpa / Peter Steffen)
    "Das ist ein zentrales Motiv. Besinnt euch darauf, dass ihr sterblich seid und alles, was ihr hier habt, ist vergeblich. Das Ganze hat eine historische Fundierung; es ist entstanden in Europa im Gefolge der schrecklichen Pest-Ereignisse des Jahres 1348, eine der ersten großen globalen Katastrophen, die die europäische Menschheit erlitten hat. Diese Angst vor der Pest grundiert jahrhundertelang das Bewusstsein der Menschen." Der Altgermanist Gert Kaiser über das düstere Lebensgefühl der Menschen um das Jahr 1400.
    Und doch - an der Schwelle des 15. Jahrhunderts ändert sich etwas ganz Grundlegendes: Am Horizont zeichnen sich die Vorläufer eines neuen Zeitalters - der Renaissance - ab. Mit ihrem wachsenden Interesse an den Wissenschaften werden Zweifel an der uneingeschränkten Herrschaft des Todes deutlich. In seinem Prosawerke "Der Ackermann aus Böhmen" überschüttet Johannes von Tepl seinen Gegenspieler mit einem Zornesausbruch. Und dieser Gegenspieler ist niemand geringeres als der Tod.
    "Furchtbarer Mörder aller Menschen, grimmiger Tilger aller Leute, Ihr Tod, Euch sei geflucht! Gott, Euer Schöpfer hasse Euch. Angst Not und Jammer verlasse Euch nicht, wo immer ihr wandert. Leid, Kummer, Betrübnis geleite Euch allenthalben!"
    Schlagabtausch mit dem Tod
    Der Tod hat Johannes von Tepl seine junge Frau Margarethe entrissen, die im Sommer des Jahres 1400 im Kindbett gestorben ist. Voller Groll und Verbitterung lässt der trauernde Witwer sich nun auf einen literarischen Schlagabtausch mit dem Tod ein:
    "Gehässig, widerwärtig und widerstrebend will ich Euch immer bleiben. Ihr habt meine Wonne, lichte Sommerblume mir aus meines Herzens Anger jämmerlich ausgejätet. Ihr habt mir meines Glückes Halt mit arger List entführt."
    Der Germanist Wolfgang Beitinger: "Das ist eigentlich nicht der Beginn eines Streitgespräches, einer sachlichen oder ernsthaften Kontroverse. Das ist eher eine jähe Anklage gegen einen eben ertappten Mörder im Ton mittelalterlicher Femegerichte. Es ist die jäh ausbrechende Wehklage einer geschändeten Kreatur."
    Und eine kleine Revolution! Denn hier rebelliert erstmals ein Mensch des Spätmittelalters gegen den Tod. Hatten die Menschen im Abendland jahrhundertelang den Tod in seiner grauenhaften Majestät anerkannt, ihn "Herre Tod" genannt, so begehren sie nun gegen ihn auf. Jetzt wollen sie wissen: Warum kann man den Tod nicht schlagen, strafen, besiegen? Und - warum macht ihm eigentlich niemand den Prozess?
    Der Magister Johannes von Tepl, Jurist am kaiserlichen Hof zu Prag beschließt, diesen Prozess zu führen. Er stellt sich als schlichter "Ackermann" vor und will den Tod in Haftung nehmen, ihn sozusagen "regresspflichtig" machen. Dazu Gert Kaiser:
    "Die Idee, den Tod in ein Gerichtsverfahren zu ziehen und ihn so beherrschbar und berechenbar für die Menschheit zu machen, ist einerseits ja eine absurde Idee, will aber auf die quälende Frage Antwort geben: Warum ich, warum meine Frau? Und er beantwortet sie auf eine zeitgemäße Art, in dem Zeitalter nämlich, als die Juristen großgeworden sind, und er meint, dieses allgewaltige Verfahrensmittel der Juristen müsste doch anwendbar sein."
    Und so stehen sich hier Mensch und Tod in einem Wechselgespräch, wie bei einer gelehrten Disputation gegenüber. Der Tod wird angeklagt, ihm wird gedroht:
    "Schamloser Mörder, böser Lasterbalg… Der Henker sei Euer Richter!"
    Naturgesetz vom Werden und Vergehen
    Den Tod ficht das nicht an. Unbeeindruckt von den Verwünschungen des Ackermanns kennt und nennt er alle Vernunftgründe, die für die Notwendigkeit des Sterbens sprechen. Sein Triumph ist die Unanfechtbarkeit des Naturgesetzes von Werden und Vergehen. Zwei wichtige Argumente führt er gegen die Anklage des Ackermannes ins Feld. Er erklärt, dass alle Menschen - auch die stärksten, klügsten und gelehrtesten - sich am Ende ihm ergeben müssen und dass Klagen nutzlos sind.
    Diese kühle Argumentation ist umso erstaunlicher, als sie nicht auf einen moralischen oder theologischen Hintergrund wie Sünde oder Buße abzielt, sondern fast schon neuzeitlich-logisch wirkt. Dabei versucht der Tod sich sogar im Verlauf der äußerst aggressiv geführten Debatte als eine Art therapeutischer Ratgeber:
    "Hättest du dich vordem des Liebens enthalten, so wärest du nun des Leides enthoben. Je größer das Glück die Liebe zu kennen, je größer das Leid, sie zu entbehren. Zu solchem Ende laufen alle menschlichen Dinge."
    Gott entscheidet schließlich zwischen den streitenden Parteien:
    "Der Tod rühmt sich gewaltiger Herrschaft, die er doch allein von uns zum Lehen hat empfangen. Der beklaget, was nicht sein ist; dieser rühmt sich einer Gewalt, die er nicht aus sich selber hat."
    Gert Kaiser: "Der Prozess geht in der Weise aus, dass der Tod eigentlich der Verlierer ist, auch wenn es so nicht unmittelbar formuliert wird. In dem Augenblick, in dem der Tod nicht mehr im Regelwerk christlicher Überzeugung ist, wird er das eigentlich Rätselhafte."