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Spanien
Künstler suchen nach einer Existenzgrundlage

Kulturwandel durch Krise, Teil 1: Es ist auch in Spanien die Kultur, die in der Krise als entbehrliches Luxusgut behandelt wird. So hat die Regierung die Mehrwertsteuer auf kulturelle Leistungen nahezu verdreifacht, auf 21 Prozent. In vielen Städten wurden außerdem die Kulturetats zusammengestrichen. Doch die Künstler wehren sich mit Kreativität.

Von Peter B. Schumann | 22.12.2013
    "Microteatro por Dinero", Mikrotheater für Geld, heißt eine neue Attraktion im Zentrum von Madrid. Eine Fleischerei wurde zum Schauplatz theatraler Aktionen. An den Ursprungsort erinnert nur noch ein mächtiger Tresen in dem lang gestreckten Foyer. Die Spielflächen selbst liegen im Untergeschoss, im ehemaligen Kühl- und Lagerbereich. Kellertheater findet hier statt: in fünf kleinen Räumen von jeweils 15 Quadratmetern, für 15 Zuschauer und für Einakter von maximal 15 Minuten Länge, wie zum Beispiel "Red Room" von Adreu Castro, ein Minidrama über Schuld und Sühne.
    Die Mikro-Stücke wollen soziale Missstände kritisieren und oft einfach nur unterhalten. Die Krise ist latent vorhanden, wird jedoch eher selten zum Hauptgegenstand. Wer darin ständig lebt, will sie nicht immer vor Augen haben. Bis zu 20 solcher Einakter werden im Verlauf einer Woche dargeboten. Monatlich wechselt das Programm. Wie ist das möglich? Verónica Larios, Regisseurin und Geschäftsführerin des Mikrotheaters für Geld:
    "Wir veröffentlichen auf unserer Webseite jeden Monat einen Aufruf und bitten darum, uns neue Stücke zu einem relativ allgemeinen Thema einzusenden: über die Liebe, über die Zeit, über den Hass und so weiter. Dadurch erhalten wir zwischen 100 und 150 Texte, und zwar von Anfängern genauso, wie von bekannten Drehbuchautoren oder auch Filmregisseuren, die gern dieses Miniformat ausprobieren wollen."
    Nahezu zwei Dutzend solcher alternativer Spielstätten sind in den letzten Jahren der Krise in Madrid entstanden. Einige gibt es auch in Barcelona und andernorts. Garagen und Dachböden wurden fürs Theater entrümpelt, Wohnungen zweckentfremdet und selbst auf einem Sofa wird gespielt. Künstlern, die kein Engagement finden im reduzierten Angebot von Bühne und Fernsehen, bieten sich hier neue Möglichkeiten.
    "Ich muss dreimal so viel arbeiten wie früher, um das Gleiche und oft nur die Hälfte zu verdienen. Letztes Jahr habe ich deshalb Unterricht als Synchronsprecher genommen, konnte ihn aber wegen der Krise nicht mehr bezahlen. Das alternative Theater hält uns über Wasser."
    Eröffnung einer neuen Galerie in Madrid, genauer gesagt des "Espacio Oculto", des verborgenen Raums. Wirklich geheim ist er nicht, denn jeder kann ihn finden, soll ihn finden, um die spanische Kunst kennenzulernen, die im Verborgenen existiert. Guillermo de Torres, einer der Initiatoren:
    "Wir wollen Synergien zwischen jungen Künstlern herstellen und bieten ihnen deshalb Arbeitsplätze zu erschwinglichen Preisen an. Sie sollen nicht nur an ihren Projekten arbeiten, sondern auch neue schaffen im Gespräch mit ihren Kollegen."
    Co-Working, Zusammenarbeit, heißt das System, das im krisengeschüttelten Spanien und vor allem im kreativen Bereich weit verbreitet ist. Eine Strategie des Überlebens, sagt die Künstlerin Amaya Hernández:
    "Die Arbeitsbedingungen für Künstler sind schlecht. Und das ist keine vorübergehende Angelegenheit, denn sie dürften kaum besser werden. Ein Studio ist neben der Wohnungsmiete für die meisten von uns einfach nicht mehr zu bezahlen. Einen solchen Ort für wenig Geld zu finden, an dem man mit anderen zusammenarbeiten kann, das ist eine sehr gute Idee."
    Barrieren abbauen, Teilnahme fördern, selber aktiv werden sind die aktuellen Stichworte der Kunstszene. José Miguel Medrano vom "Medialab Prado" sieht in diesen Initiativen eine Chance.
    "Inmitten der Krise ist es wichtig, die Beziehung des Künstlers zu seinem Publikum, seinem neuen Förderer, zu überdenken, einem Publikum, das sich erst noch daran gewöhnen muss, für jede künstlerische Aktivität zu zahlen. Das heißt, es ist nötiger denn je, den öffentlichen Raum für die Darstellung von Kunst zu gewinnen."
    Neue Räume haben sich auch die Filmemacher erschlossen, seit das staatliche Filminstitut von den Orgien der Subventionskürzungen besonders betroffen ist und Mühe hat, sich selbst aufrechtzuerhalten. Dokumentarfilme und innovative Projekte fristen seither meist eine Randexistenz. Deshalb hat Diego Rodríguez, der Leiter von "Márgenes", ein Zentrum für dieses marginalisierte Kino gegründet.
    "Bisher war der Filmbereich sehr stark atomisiert: Jeder machte sein eigenes Ding. Jetzt arbeiten dagegen alle zusammen in größtmöglicher Solidarität. Wir haben eine Art Panzer gebildet gegen die Scheiße, die um uns herum dampft. Das lässt hoffen, denn Kooperativen kannten wir früher nicht."
    Mit Hilfe von "Márgenes" wurden neue Formen der Verbreitung für Filme gefunden, die keinen Verleiher und keinen Fernsehsender interessieren: Gegen eine geringe Gebühr sind sie im Internet zu sehen und in einem alternativen Netzwerk kleinerer Spielstätten. Die Regisseure ziehen mit ihren Werken aber auch selbst durchs Land und diskutieren mit dem Publikum die sozialen Probleme, die sie in vielen ihrer Filme behandeln.
    Eine Grundhaltung verbindet die meisten, die Jon Herranz am Schluss seines Dokumentarfilms "Die Plattform" über die Zwangsräumung von Wohnungen zum Ausdruck bringt: die Notwendigkeit solidarischen Handelns, das solche Zwangsmaßnahmen immer wieder verhindert hat. "Sí, se puede, ja, es ist möglich!"