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Spanien
Reifen-Großbrand offenbart Behördenversagen

Eigentlich sollte in der spanischen Stadt Seseña eine Recyclinganlage für Reifen entstehen - hunderttausende Reifen wurden in den letzten Jahren hier angehäuft. Nun brennt es seit Tagen auf dem Gelände, die Rauchschwaden gefährden die Anwohner - und die Behörden bekommen die Lage nicht in den Griff. Der Großbrand ist nur ein Fall von Behördenversagen in Spanien.

Von Hans-Günter Kellner | 20.05.2016
    Reifen brennen auf dem Reifenfriedhof in Sesena, Spanien
    Reifen brennen auf dem Reifenfriedhof in Seseña, Spanien (dpa/picture alliance/EFE)
    Seit einer Woche immer wieder dasselbe Bild: Hubschrauber holen in großen Säcken Wasser aus einem See, fliegen über die Deponie und werfen das Wasser über den brennenden Autoreifen ab. Emiliano García-Page, Regierungschef der Region Kastilien-La Mancha erklärt vor Ort:
    "Das Wichtigste ist jetzt, die Bevölkerung zu beruhigen. Seit der ersten Minute dieses Feuers arbeiten alle Behörden zusammen. Wir wollen diese Situation so schnell wie möglich lösen, aber das Wichtigste ist jetzt Ruhe. Wir haben nur in Einzelfällen Meldungen von Atembeschwerden bekommen, die werden behandelt."
    Dabei weht der Wind die tiefschwarzen Rauchwolken von der brennenden Müllkippe zeitweise genau auf eine nur 400 Meter entfernte Wohnsiedlung zu, in der rund 6.000 Menschen leben. Für spanische Umweltschützer ist die brennende Müllkippe in Seseña aus mehreren Gründen geradezu ein Lehrstück. Auch in Sachen schlechter Kommunikationspolitik, meint Julio Barea von Greenpeace:
    "Natürlich gibt es kaum akute Beschwerden. Aber mittel- und langfristig kann es zu schweren Schädigungen kommen, denn diese krebserregenden Substanzen reichern sich im Körper an. Aber leider reagieren die spanischen Behörden immer gleich: Sie wollen die Bevölkerung beruhigen und spielen das Ausmaß solcher Katastrophen herunter. Am Ende verstören sie die Leute damit aber noch viel mehr."
    Behörden reagieren immer wieder konfus
    Kein Wunder, bekommen die Anwohner doch widersprüchliche Informationen. Als das Feuer vor einer Woche ausbrach, hieß es, es herrsche keine Gefahr, aber die Menschen sollten zur Sicherheit Fenster und Türen geschlossen halten und ihre Wohnungen nicht verlassen. Später wurde das Wohngebiet dann doch evakuiert - um einen Tag später die Menschen doch wieder nach Hause zu schicken. Und jetzt heißt es erneut: Türen und Fenster zu.
    Schwarzer Rauch zieht über eine Straße hinweg.
    Der Rauch des Großbrandes zieht in die benachbarten Wohngebiete. (dpa/picture alliance/EFE)
    So konfus reagieren Behörden in Spanien bei Umweltkatastrophen immer wieder. Auch als 2002 vor der galicischen Küste der Tanker "Prestige" eine Havarie meldete, erklärten die Politiker, sie hätten alles unter Kontrolle. Am Ende wurde daraus das schwerste Tankerunglück in der spanischen Geschichte. Alodia Pérez von der Organisation "Freunde der Erde":
    "Die Prioritäten sind immer dieselben: Die Politiker wollen auf keinen Fall Wähler verlieren. Darum wollen sie die Bevölkerung auf keinen Fall beunruhigen. So treffen sie natürlich nicht die richtigen Entscheidungen. Natürlich muss man Panik vermeiden, aber dennoch haben die Menschen ein Recht darauf, umfassend informiert zu werden, auch wenn ein Politiker dabei seinen Posten riskiert und Fehler zugibt. Es geht hier um die Gesundheit der Menschen."
    Die Polizei ermittelt wegen Brandstiftung
    Ursprünglich sollte in Seseña eine Recycling-Anlage für Autoreifen entstehen, doch dazu kam es nie. Stattdessen ließen die Regierungen zweier Regionen und das Umweltministerium zu, dass immer mehr Reifen angehäuft wurden - zuletzt 100.000 Tonnen auf zwölf Hektar. Später verschwand der Betreiber. Erst vor wenigen Tagen einigten sich die Behörden darauf, dass eine öffentliche Firma die Reifen recycelt. Kurze Zeit später brach das Feuer aus. Die Polizei ermittelt wegen Brandstiftung. Seither berichten die Zeitungen von ähnlichen Altreifendeponien in zahlreichen weiteren spanischen Städten. Julio Barrea von Greenpeace dazu:
    "Jetzt erfahren wir plötzlich: Mein Gott, wir haben ja überall Reifen rumliegen. Es gibt in Spanien mindestens 15 ähnliche Reifenfriedhöfe. Bei uns werden ja jedes Jahr mehr als 300.000 Autoreifen verkauft. Die meisten Altreifen sind inzwischen im Wertstoffkreislauf, aber viele werden halt auch irgendwo hingeworfen. Außerdem haben wir ja nicht nur ein Problem mit Altreifen: Spanien ist vor wenigen Wochen vom Europäischen Gerichtshof wegen mehr als 30 illegaler Müllkippen verurteilt worden. Dort wird alles Mögliche entsorgt, nicht nur Haushaltsmüll. Wir haben ein echtes Müllproblem."
    Altreifen werden inzwischen zum größten Teil verbrannt - in Zementwerken, mit dem Plazet der Europäischen Union. In Seseña hat die Feuerwehr den Brand unterdessen zwar unter Kontrolle, doch giftiger Rauch steigt immer noch aus den Reifenbergen empor.