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Spanien
Sephardische Juden können Staatsbürgerschaft bekommen

Vor 500 Jahren wurden sephardische Juden in Spanien vor die Wahl gestellt, den katholischen Glauben anzunehmen oder das Land zu verlassen. Etwa hunderttausend flohen daraufhin nach Nordafrika, nach Italien und vor allem ins Osmanische Reich. Diesen Fehler will die spanische Regierung heute wieder gutmachen - mit der spanischen Staatsbürgerschaft.

Von Hans-Günter Kellner | 12.05.2015
    Ein kunstvoll gefertigter Behälter für Gesetzestafeln der Sephardim. Sephardim werden die Juden genannt, die 1492 Spanien verlassen mussten.
    Ein kunstvoll gefertigter Behälter für Gesetzestafeln der Sephardim. Sephardim werden die Juden genannt, die 1492 Spanien verlassen mussten. (picture-alliance / dpa / Wimmer)
    Mittelalterliche Klänge im Garten des sephardischen Kulturzentrums in der Altstadt von Madrid. Der einwöchige Kongress zur sephardischen Kultur klingt mit einem Konzert langsam aus. Drita Tutunovic aus Belgrad ist zwar schon zum dritten Mal in Spanien, aber immer noch sind diese Besuche für die zierliche Rentnerin etwas Besonderes:
    "Für uns sephardische Juden gibt es zwei wichtige Bezugspunkte: Israel und Spanien. Als ich zum ersten Mal Toledo sah, konnte ich nur weinen - wie eine Verrückte. Unsere Sprache, unsere Lieder sind nur eine Fortsetzung der spanischen Lieder. So sind wir fest mit Spanien verbunden."
    Zum ersten Mal hörte sie ihre Muttersprache - das Spanisch der Sepharden – im Konzentrationslager Bergen-Belsen. Dort kam sie 1944 zur Welt. Ihre Mutter sang ihr in einem sephardischen Wiegenlied von der Sehnsucht nach der iberischen Halbinsel. Ihre Großmutter, Mutter und zwei Geschwister überlebten den Holocaust und gingen nach der Befreiung wie viele Sepharden nach Belgrad. Jetzt will Spanien den spanischstämmigen Juden die Staatsbürgerschaft anbieten. Doch es gibt ein Problem:
    "Die Leute wissen nicht, wie sie das nachweisen sollen. Wer den Holocaust überlebt hat, hat keine Dokumente mehr. Als wir meine Mutter bestatteten, brauchten wir zwei Zeugen, die ihre Identität bescheinigten, weil wir keine Papiere hatten. Heute haben wir natürlich Reisepässe und so weiter. Aber da steht ja nicht drin, dass wir Sepharden sind."
    So kommt es am Rande der Feier an den Stehtischen auch zu Diskussionen. Der Vorwurf steht im Raum, Spanien könnte mit dem Angebot der Staatsbürgerschaft für sephardische Juden nur rein symbolisch eine schwere historische Schuld zu tilgen versuchen. Denn strenge Regeln zur Anerkennung könnten gleichzeitig verhindern, dass zu viele Leute ins Land kommen. Auch Gabriel Elorriaga ist zum Abschlusskonzert ins sephardische Kulturzentrum gekommen. Er ist für die spanische Volkspartei an der Ausarbeitung des Gesetzes im Parlament beteiligt und beschwichtigt:
    "Sie müssen zwei Nachweise erbringen: Sie müssen belegen, Nachfahren der Juden zu sein, die vor mehr als 500 Jahren ausgewiesen wurden. Das geht vor allem über die gegenwärtigen sephardischen Gemeinden im Ausland. Zudem müssen sie die Sprache sprechen oder sephardisches Brauchtum pflegen. Diese anhaltende Verbundenheit zu Spanien unterscheidet ja gerade die sephardischen Gemeinden von anderen."
    Vor 500 Jahren aus dem Land gewiesen

    Denn die aus der ganzen Welt, aus Chile, den USA oder der Türkei angereisten Teilnehmer eint vor allem das etwas altertümliche Spanisch, dass sie in ihren Gemeinden zu Hause noch heute pflegen. Politiker Elorriaga betont, dass sich Spanien für die sephardischen Gemeinde nicht erst seit einigen Monaten interessiert:
    "Wir haben damit schon seit dem Ende des Ersten Weltkriegs begonnen, als Spanien mit dem Schutz der Sepharden im zusammenbrechenden osmanischen Reich beauftragt wurde. Seither gab es zwar auch Brüche im Verhältnis, aber Spanien hat sich diesen Gemeinden immer weiter angenähert. Jetzt wollen wir den letzten Schritt machen zu einem Wiedertreffen mit diesen Menschen, die vor 500 Jahren gehen mussten und die man jetzt wiedergewinnen will."
    Auf rund 100.000 schätzt der konservative Politiker die Zahl der Juden, die damit Spanier werden könnten. Nicht alle wollen in Spanien leben. Drita Tutunovic würde sich über einen spanischen Pass zwar freuen, möchte mit ihrer bescheidenen Rente dann aber doch lieber in Belgrad bleiben. Für junge Mitglieder ihrer Gemeinde sei eine Auswanderung schon interessanter. Spaniens jüdische Gemeinde könnte Zuwachs auf jeden Fall gebrauchen: Sie ist mit nur 45.000 Mitgliedern so klein, dass jüdisches Leben kaum wahrgenommen wird. Ihr Vorsitzender Isaac Querub urteilt:
    "Wir sind zufrieden und den Spaniern sehr dankbar. Wir dürfen nicht verkennen: Sie bieten uns die spanische Staatsbürgerschaft an, ohne dass wir in Spanien leben oder unsere ursprüngliche Staatsbürgerschaft ablegen müssten. Es stimmt aber auch, es gibt Bedingungen, die für manche schwerer als für andere zu erbringen sind. Aber es sind dieselben Bedingungen für alle."