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Spanien
Spagat zwischen Bürgerrechten und Sicherheit

Um Terrorverdächtige besser zu überwachen, hat Spanien im vergangenen Jahr sein Strafrecht und die Strafprozessordnung erneut reformiert. Das reicht einigen Kritikern aber noch nicht aus. Sie wünschen sich eine weitere Verschärfung der Sicherheitsgesetze.

Von Hans-Günter Kellner | 11.08.2016
    Die spanische Polizei eskortiert am 8. Dezember 2015 in Mataro nahe Barcelona einen Marokkaner, der verdächtigt wird, mit der Terrormiliz Islamischer Staat kooperiert zu haben.
    Noch nie haben die spanischen Sicherheitskräfte so viele mutmaßliche Dschihadisten verhaftet wie im letzten Jahr. (picture alliance / dpa / EPA/QUIQUE GARCIA)
    Noch nie haben die spanischen Sicherheitskräfte so viele mutmaßliche Dschihadisten verhaftet wie im letzten Jahr. 75 Menschen sind 2015 unter diesem Vorwurf festgenommen worden, in diesem Jahr waren es bereits 30. Dass die Festnahmen zugenommen haben, hängt auch mit Veränderungen des Strafrechts zusammen. So ist seit letztem Jahr in Spanien schon das Aufrufen von Internetseiten einer Terrororganisation strafbar. Dolores Delgado, Sonderstaatsanwältin für internationalen Terrorismus, begrüßt die Gesetzesänderungen:
    "Die Dschihadisten haben einen sehr bedeutenden Medienapparat. Zum einen ist das ein wichtiges Propagandainstrument, sie verbreiten darüber ihre Weltanschauung. Zum anderen werben sie darüber aber auch neue Mitglieder an, Leute, die später Anschläge verüben sollen. Sie machen das gut, das sind regelrechte Medienprofis."
    Weniger Datenschutz, mehr Sicherheit
    ….die auf diese Weise die Radikalisierung der Täter stark beschleunigen, wie sich auch bei den letzten Anschlägen in Europa gezeigt hat. Die Strafrechtsänderung erleichtert zudem das Abhören von Telefongesprächen und den Zugang zu den Verbindungsdaten. Diese Vorratsdaten werden in Spanien schon lange gespeichert. Das war – anders als etwa in Deutschland – nie in der Diskussion. Allerdings soll die Polizei nun nach richterlicher Genehmigung auch direkt auf diese Daten zugreifen dürfen, ohne einen Antrag beim Netzbetreiber stellen zu müssen. Für Fernando Reinares, Lehrstuhlinhaber für Terrorismusforschung an der Madrider Juan-Carlos Universität, geht das aber nicht weit genug:
    "Da beobachtet die Polizei in Madrid monatelang eine Gruppe von Dschihadisten. Sie beschatten sie, hören sie ab. Aber wenn ein Richter das Abhören in den Wohnungen genehmigen soll, will das niemand unterschreiben. Der Polizei sind dann die Hände gebunden. Die Behörden müssen ihre Entscheidungsprozesse bei der Überwachung verbessern. Es geht um Leute, bei denen es klare Hinweise auf radikale Aktivitäten gibt."
    Reinares berichtet von alltäglicher Polizeiarbeit: Ohne Erlaubnis des Untersuchungsrichters sind die abgehörten Gespräche zudem vor Gericht nicht verwertbar. An dieser Einschränkung hat auch die jüngste Gesetzesänderung nichts geändert. Reinares würde sich das zudem wünschen.
    "In Frankreich gilt die im Polizeiverhör gemachte Aussage eines Angeklagten vor Gericht als belastendes Beweismittel. In Spanien muss der Angeklagte eine vor der Polizei gemachte Aussage vor dem Untersuchungsrichter und in der mündlichen Verhandlung bestätigen. Vor Gericht zieht er seine ursprüngliche Aussage dann oft zurück. Das heißt, was ein nervöser Angeklagter unter dem Druck des Verhörs sagt, ist nichts wert. Es wäre sehr wichtig, das zu ändern."
    Forderung nach europäischer Polizeibehörde
    Allerdings sitzen in Spanien Verdächtige auch in Einzelhaft. Bei Terrorverdacht kann die Polizei Untersuchungshäftlinge bis zu zehn Tage lang verhören, ohne dass sie mit einem Anwalt ihrer Wahl oder einem Angehörigen sprechen könnten. Der Politologe sieht dennoch weitere Defizite:
    "2012, im Jahr der Olympischen Spiele in London, wurde in der Nähe von Gibraltar ein Al-Quaida-Mitglied aus Dagestan verhaftet. Er wollte von einem Türken lernen, mit einem Gleitschirm zu fliegen. Der Türke lebte dort unter falscher Identität. Sie kauften zudem Modellflugzeuge und übten, Pakete an einer bestimmten Stelle abzuwerfen. Dasselbe hatten sie schon in Afghanistan getan. Es gab zig Hinweise darauf, dass es sich um Terroristen handelte. Aber es waren keine Erkenntnisse der Polizei, sondern der Geheimdienste. Sogar das FBI versuchte, daraus gerichtsverwertbare Beweise zu machen. Aber es hat alles nichts genutzt."
    Der Forderungskatalog des Professors geht weiter: Europol sei bei der Terrorbekämpfung praktisch nichts wert, es brauche eine echte europäische Polizeibehörde, die den Informationsaustausch der Sicherheitskräfte auf europäischer Ebene organisiert. Allerdings will Reinares nicht als Scharfmacher missverstanden werden. Er warnt auch vor Panik und Islamophobie in Europa:
    "Die meisten der Opfer des globalen Dschihadismus sind Muslime. In Afghanistan, Syrien, Algerien, Tunesien. Die Dschihadisten nehmen für sich in Anspruch einen Muslim zum Ketzer zu erklären, der vom Glauben abgefallen ist. Das ist ein Todesurteil."