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Spanien vor 40 Jahren
Symbol des politischen Aufbruchs

Am 4. Mai 1976 erschien in Madrid die erste Ausgabe von „El País“, der bedeutendsten spanischen Tageszeitung der „Transición“. Gut sieben Monate nach dem Tod Francos galt die Herausgabe der ersten unabhängigen Zeitung als ein wichtiger Schritt in Richtung Pressefreiheit und Demokratie. In den vier Jahrzehnten ihres Bestehens ist um das Blatt herum der größte spanische Medienkonzern „Prisa“ entstanden.

Von Wolfgang Martin Hamdorf | 04.05.2016
    Ein Exemplar der spanischen Tageszeitung "El País" auf dem Tisch in einem Café
    Zeichen der Pressefreiheit - 40 Jahre "El País" (picture alliance / dpa / Ricardo Ceppi)
    "'El País' ist der erste Versuch, wirklich journalistisch zu arbeiten im traditionellen Sinn: Reportagen zu schreiben, Berichte, Interviews auf der einen Seite, Kommentare und namentlich gezeichnete Meinungsartikel auf der anderen. Das hat alle spanischen Medien beeinflusst. Sowohl die Zeitschriften als auch die Zeitungen, die es schon vorher gab, mussten ihren Stil ändern und sich den neuen Zeiten anpassen."
    Symbol des politischen Aufbruchs
    Für den Journalisten Ramiro Cristóbal und viele seiner Kollegen war die Gründung von "El País" ein Neuanfang nach 40 Jahren Diktatur. Bereits einige Monate vor Francos Tod im November 1975 hatten die Verleger Jesús de Polanco und José Ortega Spottorno geplant, eine unabhängige, liberale Zeitung als Alternative zur gleichgeschalteten, verknöcherten Presse der Franco-Zeit herauszugeben. Mit dabei waren Vertreter der gemäßigten Opposition, aber auch liberalere Vertreter des Regimes. Eine Allianz, die zunächst viele abschreckte, erzählt die Schriftstellerin Fanny Rubio.
    "Der erste Eindruck war noch zwiespältig. Aber schon nach wenigen Monaten sahen wir an den Themen und Schlagzeilen der Zeitung, dass sie wirklich erneuernd und progressiv war. Das war so eindeutig, dass 'El País' bald ins Visier der politischen Rechten geriet. Aber dafür stand hinter der Zeitung die ganz breite Masse junger Menschen, die das Land verändern wollten."
    Schnell wurde die Zeitung zum Symbol des politischen Aufbruchs. Schon die Schlagzeile der ersten Ausgabe am 4. Mai 1976 war programmatisch: "Die Zulassung aller politischen Parteien ist die Grundbedingung für unsere Integration in ein vereinigtes Europa."
    Schriftsteller prägen den Stil der jungen Zeitung
    "El País" begleitete engagiert und leidenschaftlich die Höhen und Tiefen Spaniens auf dem Weg zur Demokratie. Am 6. Dezember 1978 begrüßte die Zeitung euphorisch das Referendum zur Verfassung, am 23. Februar 1981 reagierte sie mit einer Sonderausgabe auf den Putschversuch Oberst Tejeros und titelte: "Staatsstreich – 'El País' steht zur Verfassung!"
    Dem progressiven Image der Zeitung entsprach auch die bunte Mischung der Autoren: Schriftsteller wie Manuel Vázquez Montalbán, Mario Vargas Llosa, Philosophen wie Fernando Savater, alte und junge Politiker des demokratischen Spanien haben sich hier zusammen gefunden.
    "Einige kamen aus dem Exil, andere hatten sich im Kampf der Hochschulen gegen die Diktatur engagiert oder hatten im Untergrund gearbeitet, wieder andere kamen aus einem romantischen Empfinden heraus, dem Empfinden einer neuen Generation um Felipe Gonzáles, die gerade an die Macht kam. Es war ein kollektiver Traum, der sich hier verwirklicht hat."
    Doch mit dem Wahlsieg der sozialistischen Partei 1982 galt die Demokratie als endgültig gefestigt. Das linksliberale Blatt verlor an Prestige, wurde wegen seiner Nähe zur sozialistischen Partei als unkritische Regierungszeitung diffamiert. Das änderte sich erst, als "El País" ab 1998 in den Jahren der konservativen Regierung Aznar wieder Sprachrohr der Opposition wurde. Aber der lebendige Geist kehrte nicht zurück. Mit dem Wirtschaftsboom investierte der Prisa-Verlag, zu dem auch "El País" gehörte, gewaltige Summen in Fernsehkanäle und digitale Plattformen. Die Zeitung wurde zum Anhängsel eines haltlos expandierenden neoliberalen Medienkonzerns.
    Die Wirtschaftskrise hinterlässt auch Spuren bei "El País"
    "'El País' ist an seiner eigentlichen Aufgabe gescheitert: der Schaffung einer wirklich gebildeten Mittelschicht. Erfolgreicher war das Unternehmen in wirtschaftlichen Fusionen, in finanziellen Transaktionen und im Flirt mit der politischen Macht. Es ging immer weniger um Weltanschauung und immer mehr um Wirtschaftsmacht. So hat die Zeitung überlebt."
    Nach dem Tod von Verlagsgründer Jesús de Polanco im Jahre 2007 gerieten der Prisa-Konzern und sein Flaggschiff "El País" in die Strudel der schweren Wirtschafts- und Finanzkrise. Von 2009 bis 2014 sank die verkaufte Auflage von 435.000 Exemplaren auf 290.000. 2012 entließ die Zeitung ein Drittel ihrer Journalisten, darunter viele bekannte Autoren der legendären Gründerzeit. Manche von ihnen versuchen heute auf Internetplattformen zu dem investigativen Qualitätsjournalismus der Anfangsjahre zurückzufinden.