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Spaniens Regierungschef in Erklärungsnot

2009 schlug der Fall hohe Wellen: Der Schatzmeister der Regierungspartei Spaniens sei in zweifelhafte Geschäfte verwickelt, hieß es. Die ganze Partei könnte davon profitiert haben. Nun sitzt der Politiker in Untersuchungshaft und bringt damit auch Regierungschef Mariano Rajoy in Schwierigkeiten.

Von Hans-Günter Kellner | 17.07.2013
    Luis Bárcenas hat in der Volkspartei viele Spitznamen, doch freundlich klingt keiner davon. Bei "Luis el Cabrón" zum Beispiel, zu deutsch etwa "Luis der Scheißkerl", schwingt eher Furcht als Anerkennung mit. Mehr als 20 Jahre lang war er als Geschäftsführer und Schatzmeister der Volkspartei - der mächtige Mann im Hintergrund bei Spaniens Konservativen. Fällt sein Name, wird auch die Generalsekretärin der Volkspartei, María Dolores de Cospedal, schnell nervös. Zum Beispiel, als Zeitungen recherchiert hatten, dass die Partei für Bárcenas noch bis Januar Sozialabgaben abgeführt hat. Dabei hieß es stets, Bárcenas arbeite schon seit drei Jahren nicht mehr für die Partei:

    "Wir hatten eine verzögerte Entschädigung vereinbart. Und als Entschädigung oder als Simulation eines, sagen wir, was früher ein Gehalt war, mussten wir auch die Sozialversicherungsbeiträge dafür abführen. Es wird doch so viel geredet über Zahlungen ohne Sozialversicherungsbeiträge. Wir wollten das richtig machen."

    Aber nicht nur die Beiträge zur Sozialversicherung zahlte ihm die Partei. Der langjährige Geschäftsführer erhielt bis zum Januar ein Monatsgehalt von 21.300 Euro. Das schreibt Ernesto Ekaizer in einem Buch über den Fall Bárcenas. Der spanische Journalist begleitet den Fall intensiv und hat gute Kontakte zu Verfahrensbeteiligten und zu einigen der wenigen Freunde des Politikers. Ekaizer erklärt, warum Bárcenas auch nach 2010 auf der Gehaltsliste der Volkspartei stand:

    "Das vereinbaren Rajoy und Bárcenas 2010. Sie teilen das der Generalsekretärin Cospedal mit, sie hat nichts dagegen. Und entgegen der Behauptung der Volkspartei zahlen sie ihm auch die Kosten seiner Anwälte für die Jahre 2009 bis 2012. Das Arbeitsverhältnis zu Bárcenas endet erst am 31. Januar 2013. Da veröffentlicht El País die Fotokopien.

    Gemeint ist eine handschriftlich geführte Buchführung über Spendenzahlungen von Unternehmen und mutmaßlichen Handgeldern an konservative Spitzenpolitiker. Bárcenas bestritt lange Zeit, solche Kontoblätter geführt zu haben. Doch jetzt bekennt er sich zu den Aufzeichnungen. Er hat dem Untersuchungsrichter sogar einen USB-Stick gegeben, der weitere Details über die Buchhaltung der Volkspartei enthalten soll. Journalist Ekaizer:

    "Bárcenas erklärte, seine ehemaligen Anwälte hätten ihm dazu geraten. Denn hätte er frühzeitig erklärt, er habe die handschriftlichen Bücher geführt, hätte er die Volkspartei in Schwierigkeiten gebracht. Er sagte: 'Sie hätten mich im Stich gelassen.'"

    Seit letzter Woche sitzt Bárcenas in Untersuchungshaft. Er besaß auf Konten in der Schweiz zeitweise 48 Millionen Euro. Jüngste Kontobewegungen ließen auf Vorbereitungen auf eine Flucht ins Ausland schließen, erklären Prozessbeobachter. Offenbar sah sich der langjährige Geschäftsführer jetzt tatsächlich im Stich gelassen von seiner Partei, für die er bisher alles abgestritten hat. Schließlich galt er zumindest bislang als enger Freund von Regierungschef Rajoy:

    "Eigentlich war er als Geschäftsführer eher eine blasse Figur. Das war ihm schon immer ein viel zu kleiner Posten. Darum macht Rajoy ihn 2004 zum Senator. Als Senator kann er gegenüber den Unternehmern ganz anders auftreten, wenn es um Parteispenden geht. Er ist ein Mann Rajoys. Die beiden pflegen ein sehr intensives Verhältnis. Auch das Verhältnis zwischen Rajoy und Bárcenas Frau Rosalía - die Rajoy Rosa nennt - ist sehr innig."

    So erklärt Ekaizer auch die Kurznachrichten, die sich Rajoy und Bárcenas austauschen. Über SMS gibt Bárcenas dem spanischen Regierungschef Empfehlungen über eine Neubesetzung bei den Staatsanwälten, die seinen Fall und auch die Parteispendenaffäre Gürtel bearbeiten, er beschwert sich über die Verteidigungsstrategie der Partei, während Rajoy empfiehlt: "Luis, bleib stark. Morgen rufe ich Dich an." Doch seit März gibt es keinen SMS-Verkehr mehr:

    "Er sieht, dass die Parteispitze um Rajoy ihn zum Sündenbock macht. Sie sagen ja, dass sie von seinem Finanzierungssystem nichts gewusst haben. Rajoy sagte das schon 2010 in einem Rundfunkinterview. Auf die Frage, ob er denn zurücktreten würde, wenn sich bei der Volkspartei eine Parteispendenaffäre beweisen lassen würde, antwortete Rajoy: 'Nein, ich habe das ja nicht gemacht.' Genau das ist der Punkt."

    Tatsächlich belasten die Beweise vor allem Bárcenas selbst. Ihm droht eine Verurteilung wegen Steuerhinterziehung in Millionenhöhe, Geldwäsche und Urkundenfälschung. Stichhaltige Dokumente, die die Mutmaßungen um illegale Machenschaften um Parteispenden bei der Regierungspartei wirklich beweisen würden, gibt es hingegen bislang kaum. Und trotzdem erwarten und fürchten in Spanien viele, Bárcenas könnte nun reinen Tisch machen - und seine Partei und sogar Regierungschef Rajoy damit in große Probleme stürzen.