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Spanische Entwicklungsprobleme
Bevölkerungswüste in der Provinz

In der kastilischen Hochebene gibt es Gegenden, wo nur noch drei Menschen pro Quadratkilometer leben. Öffentliche Dienstleistungen sind schwer aufrecht zu erhalten, etwa die ärztliche Versorgung oder der öffentliche Nahverkehr. 1.500 Dörfer stehen inzwischen zum Verkauf. Doch einige wenige stemmen sich dem Dorfsterben entgegen.

Von Hans-Günter Kellner | 06.10.2015
    Eine Baustelle in Maderuelo, einem alten Dorf in der Provinz Segovia, 120 Kilometer vor Madrid. Manuel García baut mit ein paar Freunden sein Haus. Durch die große Glasfront seines künftigen Wohnzimmers blickt der 42-jährige auf die endlosen Felder des Naturparks Hoces del Riaza.
    "Wir sind hier auf das Land gekommen, weil wir wollten Ruhe. Wir wollten Pollution vermeiden, Stress abbauen. Hätte ich das gewusst, hätte ich diesen Schritt wahrscheinlich 10 Jahre zuvor gemacht."
    Doch Manuel Garcia baut nicht nur sein eigenes Heim. Der Spanier hat in Deutschland und Österreich studiert, hat lange in Madrid gearbeitet, bis er sich 2013 fernab der Hauptstadt selbstständig gemacht hat. Aus der tiefen Provinz will er in die ganze Welt liefern:
    "Wir fertigen Niedrigenergie oder Passivhäuser. Wir können sie exportieren, transportieren in Teile und dort montieren, wo der Kunde ist. Wir haben jetzt ein Aufbauprojekt in Barcelona. Wir sprechen über London, für die Verdichtung der Stadt. Wir haben 2013 begonnen, jetzt haben wir schon vier Leute in die Region gebracht."
    Vier neue Einwohner für die Provinz, die wie García bislang in der Großstadt gelebt haben. Für die Vereinigung "Abraza la Tierra" – zu deutsch: "Umarme das Land" – ist das ein Erfolg. Denn "Raus aufs Land" ist in Spanien kein Trend hoch qualifizierter Akademiker, ganz im Gegenteil. Die Initiative kämpft gegen das langsame Sterben von Spaniens Dörfern, sie hat Manuel García das Bauland vermittelt. Sprecherin Eva González:
    "Dieses ganze Gebiet hat offiziell den Status 'Bevölkerungswüste'. Hier im Nordosten von Segovia haben wir 6,6 Einwohner pro Quadratkilometer. In Soria sind es sogar nur 3,3. 'Bevölkerungswüste' ist ein Begriff aus der offiziellen Statistik, aber er ist fürchterlich. Dieses Dorf hatte 1960 noch mehr als 700 Einwohner. Wir hatten Geschäfte, Kneipen, einen Arzt, einen Pfarrer, viele Werkstätten. Jetzt sind wir noch knapp 300. Der Lebensmittelladen hat geschlossen, ebenso wie die Apotheke, die Metzgerei. Hier lebt man nur noch, weil es billiger ist als in einer größeren Stadt."
    Ländlicher Raum könnte eine Zukunft haben
    Sagt Rafael Fernández, Bürgermeister von Fresno de Cantoespino, ebenfalls in der Provinz Segovia. Ein paar kleinere Siedlungen im Umland sind schon ganz ausgestorben. In anderen Regionen stehen komplette Dörfer zum Verkauf.
    Das Hauptproblem: Es gibt schlicht nichts zu tun.
    "Es gibt hier ein paar Leute, die eine Käserei aufmachen wollen. Andere eine Vogelzucht. Aber das reicht nicht. Wir würden mit Bauland helfen, mit Wohnungen. Wenn diese Unternehmer Arbeitsplätze schaffen würden. Aber es kommen nur welche, die selbst keinen Job haben. Das ist unser Problem. Klar, hier ist es sehr schön, aber es fehlt das Leben. Die paar Jobs, die es hier gibt: Gärten pflegen im Sommer oder Rentner pflegen. Aber es gibt keine Fabriken."
    Architekt Manuel García schlägt dagegen kommunale Gemeinschaftsbüros für Startups vor – wofür allerdings ein schnellerer Netzausbau für den Datenverkehr notwendig wäre. Der ländliche Raum könnte auch in Spanien eine große Zukunft haben, meint García:
    "Wenn junge Leute mit neuen Ideen und Konzepten kommen, wird sich die Wirtschaft total transformieren. Es ist einfach. Hier hast Du viel mehr Freiheit, zu entwickeln und zu testen. Wenn wir eine Idee haben, machen wir es, wir haben Platz. Hier unten bauen wir ein Boot aus Holz. Wir haben die Pläne aus den USA gekauft und wir machen es halt. Das kannst Du in der Stadt nicht machen. Ideen brauchen Platz. Billig, die Kosten müssen runter gehen, in den Großstädten ist es sehr teuer, jede Sache zu verwirklichen."
    Abraza la Tierra will nicht resignieren, weiter um Menschen mit Unternehmergeist wie Manuel García werben: Mit billigen Grundstücken, Büroräumen oder Wohnungen – oder mit Unterstützung bei der Beantragung von Subventionen. Doch zu allererst, betont die Initiative, müsse man wissen, was man selbst für die Region beitragen kann.