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Spanische Gemeinden
Der Schock nach dem Kassensturz

Die spanische Wirtschaft erholt sich - die Haushaltslage der öffentlichen Kassen bleibt jedoch angespannt: In manchen Kommunen und Regionen ist die Situation dramatischer als bislang befürchtet. Dies ergab der Kassensturz in Orten, wo sich die Machtverhältnisse nach den Kommunalwahlen Ende Mai geändert haben. So auch im kleinen Dorf Fresnedillas de la Oliva.

Von Hans-Günter Kellner | 01.09.2015
    Auf den ersten Blick scheint die Welt in Fresnedillas de la Oliva in Ordnung. Die Sonne strahlt über den Bergen der Guadarrama, Kinder fahren in Plastikrollern über den Rathausplatz, im Schatten vor einer Bar spielen alte Männer Karten. Doch im mit viel Granit 2009 neu errichteten Rathaus grübelt Bürgermeister José Damián de la Peña über den Finanzen:
    "Um die offenen Rechnungen zu bezahlen, hat das Dorf einen Kredit aufgenommen, der beläuft sich auf etwa eine Million Euro. Unsere Bankkonten sind mit 280.000 Euro in den roten Zahlen. Die Bank von Spanien bewertet uns inzwischen mit dem schlechtesten Bonitätswert, den es gibt. Wir haben unbezahlte Rechnungen in Höhe von 485.000 Euro."
    Am Ende kommt der Bürgermeister auf einen Schuldenstand von mehr als zwei Millionen Euro. Dabei nimmt das 1.400-Seelen-Dorf im Jahr nur rund 500.000 Euro an Steuern und Gebühren ein. Die schlechte Finanzlage hat den 47-Jährigen überrascht. Erst als die Konservativen die Kommunalwahlen Ende Mai verloren hatten und er an der Spitze einer Bürgerliste ins Rathaus eingezogen war, wurde das Desaster öffentlich. Seither rätselt der neue Bürgermeister, wie es überhaupt so weit kommen konnte. Noch 2008 habe das Dorf gerade einmal mit 60.000 Euro in der Kreide gestanden:
    "Hier ist nicht viel gebaut worden. Die wichtigsten Baumaßnahmen, wie etwa einen Parkplatz, hat zu 95 Prozent die Madrider Regionalregierung finanziert. Die Stadt hat ein Grundstück für eine Schule abgegeben. Aber das alles erklärt nicht den hohen Schuldenstand. Allerdings hat sich die Vorgängerregierung 900.000 Euro an Gehältern und Aufwandsentschädigungen genehmigt. Sie haben die Stadt einfach schlecht verwaltet."
    Bisher wurde das Dorf "nach Gutsherrenart" regiert
    Kreditkarten, Diäten und Aufwandsentschädigungen für Kommunalpolitiker sind inzwischen ebenso gestrichen wie das Urlaubsgeld der kommunalen Beschäftigten. Bis Oktober reiche das Geld, dann könnte Fresnedillas de la Oliva sogar der Strom abgestellt werden, scherzt de la Peña - Galgenhumor. Inzwischen helfen die Bewohner selbst, wo sie nur können, etwa im Park:
    "Wir haben diese Rosen geschnitten. Die sahen schon lange furchtbar aus. Und wir haben den Müll aufgesammelt, den der Wind in die Beete weht. 12 Mülltüten waren das. Das werden wir in anderen Parkanlagen wiederholen. Die Stadt hat ja kein Geld. Wenn sie um Hilfe bittet, müssen wir helfen."
    Die rüstige Frau mit dem modischen Kurzhaarschnitt ist angesichts der schlechten Nachrichten außer sich. Eigentlich hatte sie nach dem Machtwechsel nur einen anderen politischen Stil erwartet. Denn bisher, so sagt sie, sei das Dorf eher nach Gutsherrenart regiert worden.
    Eine Erklärung, was mit den zwei Millionen Euro passiert ist, hat auch Andrés Rapaport nicht. Der Argentinier war vor mehr als zehn Jahren ins Dorf gekommen. Im Hauptberuf Klavierstimmer, gibt er auch eine lokale Internetseite über das Dorf heraus: jarandos.com. Er führt in ein Parkhaus, das noch vor den Wahlen eingeweiht worden ist. Bis auf vier städtische Autos und ein paar Elektrofahrräder steht es leer.
    "Wir leben fast alle in kleinen Ein-Familien-Häusern. Die Meisten hier haben eine Garage. Aber niemand stellt da sein Auto rein, sie wird meist als Abstellkammern genutzt. Autos stehen hier auf der Straße. Es ist völlig absurd, ein Parkhaus zur Lösung eines Problems zu bauen, obwohl es das Problem überhaupt nicht gibt."
    Externe Wirtschaftsprüfer engagiert
    Die konservative Volkspartei hat ihre Stadtverordneten inzwischen ausgetauscht, auch der abgelöste Bürgermeister wollte nicht in die Opposition. Unter seinen Nachfolgern hat er allerdings immer noch Anhänger. Der konservative Stadtrat Francisco Javier Domingo verteidigt seine Haushaltspolitik und lobt seine Zuverlässigkeit:
    "Das ist pure Demagogie. In den letzten acht Jahren wurden Gehälter immer bezahlt. Immer ist der Müll abgeholt worden. Aber nur einen Monat nach der Kommunalwahl wird das Urlaubsgeld gestrichen und die Müllabfuhr nicht mehr finanziert. Wir müssen untersuchen, ob die Berichte über die Finanzlage nur Propaganda sind oder ob sie der Wirklichkeit entsprechen."
    Eine solche Untersuchung hat die neue Dorfverwaltung bereits bei einem unabhängigen Wirtschaftsprüfer in Auftrag gegeben. Ähnliche Prüfungen fordern linke Bürgerinitiativen in vielen spanischen Kommunen, sogar die Hauptstadt Madrid hat eine solche Buchprüfung angekündigt. Sie erhoffen sich Hinweise auf illegale Zahlungen, sodass manche Verbindlichkeit vielleicht sogar angefochten werden kann.