Freitag, 19. April 2024

Archiv

Spanische Identitäten (4/5)
"Der Flamenco gehört dem spanischen Volk"

Der Flamenco ist fester Bestandteil der spanischen Kultur. Nicht umsonst hat Diktator Franco versucht, ihn als Propagandamittel zu missbrauchen. Doch der Flamenco lässt sich schlecht in den Dienst der Unterdrückung stellen, sagt Sängerin Carmen Linares und singt noch heute von der Freiheit.

Von Hans-Günter Kellner | 22.11.2018
    Die spanische Flamenco-Sängerin Carmen Linares bei einem Auftritt in Segovia
    Die spanische Flamenco-Sängerin Carmen Linares (AFP/ Pierre-Philippe Marcou)
    Soundcheck. In Jeans und rotem Pulli steht Carmen Linares auf der Bühne des Theaters der andalusischen Kleinstadt Baeza. Singt ein paar Takte, beschwert sich über den Klang auf der Bühne. Routine, sie hat das alles schon unzählige Male gemacht. Schon 1970, 19 Jahre war sie damals alt, hat sie ihre erste Platte aufgenommen. Die Musiker auf der Bühne spielen sich weiter ein, die "cantaora", wie Flamencosängerinnen genannt werden möchten, geht hinter die Bühne.
    "Meine erste CD habe ich mit dem berühmten Gitarristen Juan Habichuela aufgenommen. Die Produktion übernahm der Sänger Fosforito. Er animierte mich auch, überhaupt eine Aufnahme zu machen. Sie haben Vorschläge gemacht, ich konnte sagen, was mir gefällt, aber ich hatte die Produktion nicht so in der Hand wie heute."
    Die Flamenco-Sängerin Carmen Linares mit Musikern auf der Bühne des Theaters der andalusischen Kleinstadt Baeza
    Die Flamenco-Sängerin Carmen Linares mit Musikern auf der Bühne des Theaters der andalusischen Kleinstadt Baeza (Deutschlandradio/ Hans-Günter Kellner)
    Spanien als Land der starken Frauen
    Sie streicht sich die hinten zusammengebundenen Haare zurecht. Doch ein wenig spielt sie ihren eigenen Kampf um einen Platz in der Welt des Flamenco herunter. Harte Jahre liegen hinter ihr. Sie begann schon als Teenagerin in den Flamenco-Bars mit ihrem Gesang die Tänzer zu begleiten, Auftritte im Hintergrund für ein Handgeld. Doch diese Zeit hat sie abgehakt.
    Im Hintergrund gestikuliert die Roadmanagerin, doch Carmen Linares winkt ab. Es sind noch mehr als zwei Stunden bis zum Auftritt. Trotz des Machismo sei Spanien immer schon ein Land starker Frauen gewesen, betont Carmen Linares nicht ohne Stolz. Zum Weltfrauentag haben jüngst in Madrid eine Million Frauen für Geleichberechtigung demonstriert, soviel wie nirgendwo sonst an diesem Tag:
    "Das erstaunt mich gar nicht. Die jungen Frauen sind heute viel informierter als wir es waren. Die jungen Leute müssen bei den sozialen Kämpfen an der vordersten Front stehen. Wir haben auch gekämpft. Aber jeder an seinem Platz. Ich habe in meinem Beruf darum gekämpft, dass Künstlerinnen anerkannt werden. Vielleicht war mir nicht klar, dass das auch Feminismus ist, ich fand, es ist eine Frage der Gerechtigkeit."
    Propaganda mit Flamenco
    Dabei missbrauchte Ex-Diktator Francisco Franco in den Jahren seiner Herrschaft zwischen 1949 und 1975 den Flamenco als Propagandainstrument. Doch der Flamenco lässt sich schlecht in den Dienst der Unterdrückung stellen:
    "Der Flamenco stellt soziale Forderungen auf, weil er aus dem Volk kommt. Im Flamenco wird über Leute mit Hunger gesungen, die im Gefängnis sind, aber auch über die Liebe und die Fiestas. Über das Leben. Wir wollen eine lebendige Kunst sein. So haben Leute wie José Menesse oder Enrique Morente auch früh gegen die Unterdrückung während des Franco-Regimes gesungen. Ich war nie so wirklich politisch, aber mit der Ernsthaftigkeit meiner Arbeit habe ich sicher auch meinen Beitrag dazu geleistet."
    Jetzt mischt sich Ehemann Miguel ein und erinnert an Zeilen von ihrer zweiten Platte, die sie in den frühen 1970er-Jahren veröffentlicht hat:
    "Volk, das Du so viel gelitten hast. Ausgeblutet bist. Du hast das Recht, zu sagen, was Du fühlst und das Recht auf Deine Freiheit. Das habe ich für meine zweite Platte gesungen".
    Flamenco ist fester Bestandteil der spanischen Identität
    Linares spricht vom spanischen Volk, aber das Wort Nation verwendet sie an keiner Stelle. Der Begriff bereitet ihr Schwierigkeiten. Ein Volk zeichne sich durch seine Kultur aus, überlegt sie, und sie sei nun mal im Flamenco zu Hause:
    "Ich fühle mich schon alleine durch meine Arbeit als echte Spanierin. Der Flamenco gehört dem spanischen Volk. Ich finde das wunderbar. Er ist eine der besten musikalischen Stilrichtungen der Welt. So reich an Nuancen, an Möglichkeiten. Dass diese Musik mit Spanien identifiziert wird, macht mich stolz. Ich fühle mich als Spaniern aus vielen Gründen, aber gerade wegen des Flamencos, der Poesie, der Kunst."
    Aus der Seele direkt ins Herz
    Unterdessen füllt sich auch der Zuschauerraum des Theaters in Beaza. Mancher hier besteht zwar darauf, dass der Flamenco eher der andalusischen als der spanischen Volksseele entspricht, aber die meisten halten das für zweitrangig. Diese Besucherin meint, wichtig sei, dass er überhaupt aus der Seele komme, und da hat sie bei Carmen Linares keine Zweifel:
    "Das ist schwer zu erklären. Beim Flamenco wird ein Gefühl übertragen. Nicht jeder, der auf der Bühne steht, kann das. Und Du sitzt im Publikum und empfängst diese intensiven Emotionen direkt aus dem Herzen. In den Liedern geht es um Kämpfer, Arbeiter, die mit großer Freude gelebt haben, glückliche Menschen trotz aller Schwierigkeiten. Ich denke, wir Spanier sind noch heute glückliche Menschen. Vor allem ab Madrid in Richtung Süden. Wo sich das Leben auf der Straße abspielt."
    Nach einem kurzen Intro der Musiker betritt Carmen Linares die Bühne. Sie hat sich zurückhaltend geschminkt, trägt jetzt ein schwarzes Kleid und einen roten Umhang lässig über den Schultern. Sie bewegt sich kaum, ihre wenigen Gesten unterstützen die Liedtexte, und doch zieht sie das Publikum sofort in ihrem Bann.