Freitag, 29. März 2024

Archiv

Spanische Justiz
Laute Kritik am Prozess gegen katalanische Separatisten

In Madrid stehen seit Mitte Februar zwölf führende Vertreter der katalanischen Unabhängigkeitsbewegung vor Gericht. Es ist ein delikates Verfahren, das Kritiker als Schauprozess in einem Unrechtsstaat bezeichnen. Ihr Vorwurf: Die Urteile stünden längst fest.

Von Hans-Günter Kellner | 18.03.2019
Demonstranten zeigen Plakate mit Abbildungen inhaftierter katalanischer Separatistenführer bei einem Protest gegen den gerichtlichen Prozess, der gegen sie geführt wird.
In Madrid demonstrierten viele Menschen gegen den Prozess gegen katalanische Separatisten. (dpa-news / Matthias Oesterle)
"Dieser Prozess ist eine Farce", haben am Wochenende mehrere Zehntausend Anhänger einer katalanischen Unabhängigkeit im Madrider Zentrum gerufen. Sie meinten die mündliche Verhandlung gegen 12 Anführer der katalanischen Unabhängigkeitsbewegung, die derzeit in Madrid vor dem Obersten Gerichtshof stattfindet.
Manuel Marchena ist dort der Vorsitzende Richter, er weiß, er wird beobachtet. Denn das Verfahren wird täglich live im Fernsehen und im Internet übertragen. Da will er die Zügel nicht aus der Hand geben. So etwa beim Verhör des angeklagten Aktivisten Jordi Cuixart durch den Staatsanwalt:
"Wissen Sie, ob sieben Polizisten verletzt wurden?", fragt der Staatsanwalt. Er wisse nur, dass 17 Polizisten wegen des Einsatzes angeklagt seien, antwortet der Aktivist. Die Reaktion stellt den Staatsanwalt nicht zufrieden. Das sei keine Antwort auf seine Frage, wirft er dem Angeklagten vor. Marchena interveniert.
"Herr Staatsanwalt, auch aus dieser Antwort kann das Gericht Schlussfolgerungen ziehen. Aber wir können ihn doch nicht so lange verhören, bis er das gewünschte antwortet."
Es kommt zu einer Diskussion, die der Richter abrupt abbricht: "Stellen Sie die nächste Frage", fordert er den Staatsanwalt ein wenig verärgert auf.
"Ein Verfahren mit politischen Fragen"
Als die Verhandlung Mitte Februar begann, sprachen manche der Angeklagten von einem politischen Schauprozess. Jordi Nieva, Professor für Verfahrensrecht an der Universität von Barcelona, berichtet täglich für die katalanische Tageszeitung "El Periódico" über die Verhandlung. Auch er ist nicht mit allen Entscheidungen des Vorsitzenden Richters einverstanden, aber er meint:
"Das ist kein Militärtribunal und kein Schauprozess. Es ist auch kein politisches Verfahren. Aber es ist ein Verfahren über politische Fragen. Hätte die Politik damals vor dem Referendum nicht versagt, hätte sie uns dieses Verfahren erspart. Eine politische Frage ist zu einer juristischen geworden. Aber es ist kein Schauprozess, den Begriff halte ich nicht für angebracht."
Der Hauptvorwurf gegen neun der 12 Angeklagten lautet Rebellion, dafür soll mancher von ihnen für bis zu 25 Jahre ins Gefängnis. Zahlreiche spanische Juristen hatten schon vor Verhandlungsbeginn Zweifel an den Anschuldigungen angemeldet. Denn für Rebellion sei auch ein hohes Maß an Gewalt notwendig. Diese Zweifel konnten bislang auch im Gerichtssaal nicht ausgeräumt werden:
"Die Staatsanwaltschaft und zuvor der Untersuchungsrichter haben die Theorie entwickelt, nach der es Rebellion ist, wenn man Gesetze verabschiedet, die gegen die Verfassung verstoßen, sie anwendet, auch wenn das Verfassungsgericht sie für nichtig erklärt hat, dass es Rebellion ist, wenn man ein Referendum durchführt, und am Ende die Unabhängigkeit erklärt. Doch die Regionalverwaltung Kataloniens wurde ja später dem Staat übergeben, es gab keine intensive Gewalt. Wir könnten von Nötigung des Staats reden, von öffentlicher Unruhe, aber Rebellion ist der schwerste aller Vorwürfe."
Keine Prognose über Ausgang möglich
Mit großem Interesse sind in Spanien auch die Aussagen der katalanischen Polizei-Führung verfolgt worden. Darin erklärten die leitenden Beamten, sie hätten die katalanische Regionalregierung vor Zusammenstößen zwischen Aktivisten und Polizeibeamten, vor Problemen der öffentlichen Ordnung gewarnt und empfohlen, auf das Unabhängigkeitsreferendum am 1. Oktober 2017 zu verzichten.
"Trapero, der katalanische Polizeichef, hat im Gericht von politischer Unverantwortlichkeit gesprochen. Wenn die Polizei schon sagt, dass ein Vorhaben für die Bevölkerung riskant ist und ein Politiker hält daran fest, dann handelt er verantwortungslos."
Ob das auch strafbar ist, soll das Gericht klären. Prozessbeobachter meinen, der Staatsanwalt könnte am Ende von ihrem ursprünglichen Vorwurf der Rebellion abrücken und nur noch auf Verschwörung zur Rebellion plädieren. Das würde das Strafmaß von 25 auf etwa fünf Jahre reduzieren, schätzt Jordi Nieva. Doch ob es so weit kommt, könne nur ein Blick in die Glaskugel klären. Eine Prognose wagt er nicht.