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Spanische Netzgemeinde erobert das Tempelhofer Feld

Die Europäische Kommission hat 48 Busse gechartert, um 2500 Internetaktivisten nach Berlin zu bringen. Sie sitzen an langen Tischreihen, löten, basteln und spielen. Ein spanischer Mobilfunkanbieter sponsert das Vergnügen.

Von Philip Banse | 23.08.2012
    Deborah aus Alicante sitzt an einer langen Tischreihe und spielt ein Computerspiel. 15 Meter über der 23-jährigen Spanierin das Vordach des ehemaligen Tempelhofer Flughafens. Der Blick aufs Rollfeld ist verstellt von Containern. Deborah spielt auf keinem gewöhnlichen Computer:

    "Dieser Computer ist aus recyceltem Material gebaut, etwa aus Papier."

    Der Rechner ist eingebaut in eine lebensgroße Frau, die neben dem Tisch steht, gekleidet in ein buntes Kettenhemd, auf dem Kopf eine Kampfmaske, in der Hand einen Dolch. Deborah hat Wochen an ihrem Computergehäuse gebaut und es in einem Bus nach Berlin gebracht. Sie ist Case Modderin, eine lebendige Szene, die sich dem Bau eigener PC-Gehäuse widmet. Auf der Bühne nebenan beginnt ein Vortrag über Case Modding, Deborah setzt sich dazu.

    "Es ist wie die Auto-Tuning Szene, wo die Leute zusätzliche Lampen anbauen und ihre Autos ansprühen. Die Szene entstand, als sich Computerspieler auf Party von anderen Spielern unterscheiden wollten, aber immer nur die gleichen grauen Kisten in den Läden fanden. Ab da wurde es interessant."

    Unter dem gewaltigen Vordach des ehemaligen Flughafens sind acht Bühnen aufgebaut. Fünf Tage, mehr als 400 Stunden Programm in insgesamt 24 Themenbereichen: Von Astronomie, Biotechnologie und freie Software über Netzwerksicherheit, Social Media, Computerspiele und Robotik. Schriftsteller Paulo Coelho spricht ebenso wie der Erfinder des World Wide Web, Tim Berners-Lee.

    Die Tische und Stuhlreihen vor den Bühnen sind gut gefüllt mit Menschen zwischen 20 und 30 aus aller Welt. Programmierer, Bastler, Blogger, Gamer und Netzaktivisten - die Veranstalter erwarten 10.000 Besucher. Damit wäre die Campus-Party größer als die größten deutschen Internet-Konferenzen zusammen, der Kongress des Chaos Computer Clubs und die Republica.

    Dennoch wird die Campus-Party von der deutschen Netz-Gemeinschaft kaum wahrgenommen. Es gibt kaum personelle Schnittmengen. Die Campus Party wird organisiert von einer spanischen Event-Agentur, erstmals 1997. Sie wurde groß in Spanien und Südamerika. Techniker, Organisatoren und Gäste - Spanisch ist auch unter dem Tempelhofer Flughafen-Vordach die dominierende Sprache.

    Der Sponsor, ein spanischer Mobilfunkkonzern, ist extrem präsent. Sein Logo prangt auf jedem der mehreren hundert Zelte, in denen die Campuseros nächtigen. Eine solche Sponsoren-Präsenz wäre in der deutschen Netz-Community eine Shit-Storm-Garantie. Pressesprecher Klaus Purkart vertritt normalerweise für die Berlinale und erklärt die Distanz zur deutschen Netz-Szene so:

    "Es liegt wirklich daran, dass Berlin schon eine wahnsinnig lange Tradition hat mit Diskussionsrunden und Austausch im Netz. Und das ist jetzt 'ne spanisch-südamerikanische Organisation. Hier gibt es schon eine fertige Szene, es ist alles schon sehr gesetzt und fertig und wenn dann was von außen kommt, dann ist klar, dann wird erstmal skeptisch drauf geguckt."

    Doch die Campus Party bringt neue Leute und frischen Wind in die Berliner Internetszene. Inhaltlich kann die spanische Unternehmung mit republica und CCC-Kongress messen. Die Besucher sitzen in T-Shirts und kurzen Hosen an langen Tischreihen, löten, basteln, spielen.

    "Thanks for coming, this is early, but this is Germany, we can wake up early, not like in Spain."

    Auf einer der kleinen Bühnen platziert Jens Großhans, Student an der TU Berlin ein Modellflugzeug auf dem Tisch, das mal eine Drohne werde soll, ein autonomes Flugzeug. 50 Zuhörer wollen seinen Vortrag hören:

    "Wir zeigen das hier, weil wir uns noch Ideen erhoffen, von Informatikern oder Elektrotechnikern. Denn das Flugzeug haben wir fertig entwickelt, viele Sensoren selbst gebaut. Wir sind jetzt gerade dabei noch mal Software durchzugehen und so was."

    Schräg gegenüber an einer langen Tischreihen sitzen Ole und Christian, zwei Studenten aus Cambridge. Sie basteln leuchtend rote Roboter zusammen, große wie eine Brotdose, drei Räder und etliche Sensoren. Gesteuert wird der Roll-Roboter von einem neuartigen, besonders leicht zu programmierendem Chip, der auf den Namen Raspberry Pie hört, Himbeerkuchen. Christian vertritt die Stiftung, die mit dem Himbeer-Rechner Schülern das Programmieren schmackhaft machen möchte:

    "In unserem Workshop hier werden wir zeigen, wie man den Chip programmiert. Wir hoffen, dass Leute mit neuen Ideen kommen, was man mit der Technik machen kann. Mal sehen, wohin das führt."

    Auf einer der Bühnen im Zentrum der Vorhalle umwirbt Transparency International die Hacker. Die Anti-Korruptions-Vereinigung hat große Datenberge angehäuft: Tausende Korruptionsfälle, Namen, Summen, Organisationen.

    "Ich werde diese Daten mit Euch teilen. Dann könnt ihr damit spielen und sehen, wir wir mehr Leute an der Korruptionsbekämpfung teilhaben lassen können."

    10.000 Leute erwarten die Organisatoren. Die Hälfte davon haben sie selbst nach Berlin gebracht. 2500 hat der Hauptsponsor nach Berlin eingeladen, etwa Martin, einen Schüler aus Bratislawa, der jetzt in einem Sofa sitzt und eine Limo trinkt:

    "Die Organisatoren haben uns E-Mails an die Schule geschickt und uns hierher eingeladen. Sie zahlen die Reise und die Unterkunft. Nur Essen müssen wir selber zahlen."

    Weitere 2500 Konferenzgäste hat die EU nach Berlin bringen lassen, in 48 Bussen. Alels Studierende, die Tweets an die Kommission geschickt hatten mit Vorschlägen für die Digitale Agenda, die große Vision der EU-Kommissarin Neelie Kroes für ein digitales Europa. Auf diesem EU-Ticket ist auch Deborah nach Berlin gekommen, die Case Modderin aus Alicante mit dem Computer in der lebensgroßen Frau. Welchen Vorschlag hat sie denn gewittert? Das zu erklären, dafür reicht ihr Englisch nicht aus.