Donnerstag, 28. März 2024

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Spanischer Politiker Alonso
"Auch Deutschland braucht ein wohlhabendes Südeuropa"

"Arbeitslosigkeit ist eine tiefe Wunde in Spanien", sagte Matías Alonso, Generalsekretär der spanischen Partei Ciudadanos, im DLF. Auf wirtschaftlicher Ebene müsse außerdem der Zusammenhalt in der EU verbessert werden.

Matias Alonso im Gespräch mit Christoph Heinemann | 22.05.2015
    Nationalflagge Königreich Spanien
    In Spanien werden am Sonntag neue Stadt- und Gemeinderäte sowie 13 der insgesamt 17 Regionalparlamente gewählt. (Deutschlandradio / Ellen Wilke)
    Als großes Problem bezeichnete Alonso vor der Regional- und Kommunalwahlen in Spanien am Sonntag (24.05.2015) die Korruption. Der Kampf dagegen lasse sich nur mit klaren Verabredungen in den Griff bekommen. So sollten nicht nur verurteilte Politiker eine Strafe zahlen, sondern auch deren Parteien. "In den Statuten unserer Partei steht, dass in den Kandidatenlisten keine der Korruption Verdächtigen aufgeführt sein dürfen. Ohne eine solche klare Verabredung ist es unmöglich, die Korruption auszurotten."
    Als "eine Tiefe Wunde in Spanien" bezeichnete Alonso zudem die Arbeitslosigkeit. "Vor allem unsere kleineren und mittleren Betriebe müssen fit gemacht werden", sagte er. Alonso schlägt ein Netz des Technologietransfers vor, durch das auch die Zusammenarbeit zwischen Universitäten und Unternehmen gestärkt werde. In Anbetracht des spanischen Wirtschaftswachstums liege das Land bei der Schaffung von Arbeitsplätzen weit unter seinem Niveau.
    Auf wirtschaftlicher Ebene müsse außerdem der Zusammenhalt in der EU verbessert werden. Alonso: "Auch Deutschland braucht einen wohlhabenden Süden. Denn dieser Süden konsumiert Waren."
    Zu den starken separatistischen Tendenzen in Spanien sagte er: "Ja, es gibt Separatisten. Aber: Keine der separatistischen Bewegungen in Spanien hat die Mehrheit in der jeweiligen Region hinter sich - weder im Baskenland noch in Katalonien."

    Das Interview mit Matías Alonso in Original-Fassung (Spanisch) können Sie mindestens sechs Monate nachhören.
    Die deutsche Übersetzung des Interviews in voller Länge:
    Christoph Heinemann: Wenn Finanzminister der Eurozone schlecht schlafen, dann träumen sie von Janis Varoufakis. Wenn sie besonders schlecht schlafen, dann vielleicht, weil als Albdruck auf der Nachtruhe die Aussicht lastet, dass künftig ein zweiter Typ vom Schlage des griechischen Ressortchefs in ihrem Stuhlkreis platznehmen könnte, und zwar ein Spanier, und zwar von Podemos. Podemos heißt "Wir können". Gemeint ist, wir können Politik, und diese selbsterklärten Könner schossen in den vergangenen Wochen in den Umfragen durch die Decke. Tempi passati, denn inzwischen ist auch Podemos zumindest in einem Fall in den Strudel der Korruptionsskandale verwickelt, der die spanische Innenpolitik gegenwärtig in Atem hält.
    2015 ist ein Super-Wahljahr: Im Herbst die entscheidende Parlamentswahl, an diesem Wochenende der Stimmungstest in den Regionen und Kommunen. Eine politische Formation steigt stetig in der Wählergunst: die liberalen "Ciudadanos". Vor dieser Sendung haben wir Matías Alonso erreicht. Ich habe den Generalsekretär von "Ciudadanos" zunächst gefragt, wie seine Bürgerpartei die Korruption bekämpfen möchte.
    Matías Alonso: Dieser Kampf lässt sich nur mit einer klaren Verabredung aller politischen Formationen führen. Wir haben schon vor Jahren einen Programm für Transparenz und gegen Korruption entworfen. Es geht um eine demokratische Erneuerung der Institutionen. Das bedeutet natürlich auch - und das steht in den Statuten unserer Partei - dass in den Kandidaten-Listen keine Korrupten oder der Korruption Verdächtigen aufgeführt sein dürfen. Ohne eine solche klare Verabredung ist es unmöglich, die Korruption auszurotten.
    Heinemann: Pedro Sanchez, der Parteichef der Sozialisten, hat sich verpflichtet, dass jeder korrupte Politiker Geld zurückzahlen muss und mit seinem Privatvermögen haftet. Ist das ein sinnvoller Vorschlag?
    Alonso: Ja, wobei wir sogar weiter gehen: Uns ist klar, dass häufig Leute, die für politische Korruption verurteilt wurden, ungeschoren davon kommen, um es einmal umgangssprachlich auszudrücken. Das heißt, sie zahlen nicht mehr als die Strafe, die ihnen auferlegt wird. Wir sagen, nicht nur das Privatvermögen muss beschlagnahmt werden, sondern, dass in Fällen, in denen diese Haftung nicht übernommen wird, die Parteien, in denen sich der Korruptionsfall ereignet hat, mit ihrem Vermögen haften müssen. In unserem Vorschlag für die demokratische Erneuerung ist dieser Punkt enthalten. Die Parteien sollen verantwortlich sein für die Korruption und als Schuldner für den Betrug ihrer Politiker haften.
    "Wir stehen am unteren Ende in Europa"
    Heinemann: Anderes wichtiges Thema: die Arbeitslosigkeit. Wie kann insbesondere die Beschäftigungslosigkeit junger Menschen verringert werden?
    Alonso: Die Arbeitslosigkeit ist eine tiefe Wunde in Spanien. Wir stehen am unteren Ende in Europa. Unsere kleinen und mittleren Betriebe müssen fit gemacht werden. Sie müssen größer und produktiver werden, einen höheren Mehrwert schöpfen. Dazu gehört, was wir vorschlagen, auf nationaler Ebene ein Netz des Technologietransfers. Die Universitäten müssen direkt mit den kleinen und mittleren Unternehmen verbunden sein und konkret Technologie übertragen können, sodass angewandte Forschung in der Produktion zum Einsatz kommen kann. Es kann doch nicht sein, dass Spanien zwar gegenwärtig zu den Ländern der Europäischen Union mit dem höchstem Wachstum gehört, aber keine Arbeitsplätze geschaffen werden. Wir liegen in der Arbeitslosigkeit immer noch über 20 Prozent und damit deutlich über dem europäischen Niveau. Wir sind weit entfernt von den Möglichkeiten eines Landes mit dem wirtschaftlichen und menschlichen Potential, über das Spanien verfügt.
    Heinemann: Spanien hat eine Schuldenbremse in die Verfassung eingefügt. Das Land soll nicht mehr ausgeben als es einnimmt. Unterstützen Sie diese Entscheidung?
    Alonso: Es ist vernünftig, dass keine öffentliche Verwaltung, auch nicht die höchste, dauerhaft über die Verhältnisse leben kann, durch Defizite, die dann eines Tages Schulden sind. Wir sagen klar: Die öffentliche Verwaltung und die verschiedenen Verwaltungsebenen sind in Spanien zu groß. Es gibt vor allem zu viele politische Amtsträger, die auf Posten in der öffentlichen Verwaltung sitzen, die nur den Zweck erfüllen, die politischen Parteien zu repräsentieren, und die keine Dienste für die Bürgern leisten.
    "Nicht alle Länder bewegen sich Hand in Hand"
    Heinemann: Gibt es in Europa eine übertriebene Sparpolitik?
    Alonso: Mehr als eine übertriebene Sparpolitik haben wir es historisch in Europa mit Störungen im wirtschaftlichen Bereich zu tun. Nicht alle Länder bewegen sich Hand in Hand. Und oft haben die europäischen Institutionen Wirtschaftskrisen zu spät erkannt. Europa hat nicht rechtzeitig reagiert. Der Zusammenhalt in der Europäischen Union muss verbessert werden. Auch Deutschland braucht einen wohlhabenden Süden, denn dieser Süden konsumiert Waren. In der Zukunft benötigen wir in der Europäischen Union eine sehr viel höhere wirtschaftliche Konvergenz als es sie heute gibt.
    Heinemann: Sollte Europa den Reform-Druck auf Griechenland erhöhen?
    Alonso: Wir können es uns nicht erlauben, dass ein Land, das Mitglied eines so ausgewählten Klubs wie der Europäischen Union ist, nicht nach den Spielregeln spielen möchte. Oder diese Regeln unterläuft, indem Dinge verschwiegen und wichtige Reformen nicht durchgeführt werden.
    Heinemann: Also Sie sagen, ja, die müssen Reformen auf den Weg bringen ...
    Alonso: Natürlich. Denn es geht ja nicht, dass das Steuerwesen oder der Aufbau des Staates einfach nicht zum Rest der Europäischen Union passt.
    Heinemann: Kann man mit Griechenland eine Übereinkunft erzielen oder wird das Land aus der Eurozone ausscheiden?
    Alonso: Ich hoffe, dass Syriza und Herr Tsipras die Realität im Europa des 21. Jahrhunderts zur Kenntnis nehmen. Ich glaube, dass die Zukunft Griechenlands in Europa liegt. Den Euro aufgeben, die Drachme einführen - welche Zukunft hätten die Griechen dann? Ich glaube, eine dunkle. Und deshalb hoffe ich, dass sie Reformen durchführen, um in der Union verbleiben zu können.
    "Podemos ist ein Konglomerat aus Linken und extremen Linken"
    Heinemann: Ist die Partei Podemos Syriza auf Spanisch?
    Alonso: Nein. Sie ist ein Konglomerat aus Linken und extremen Linken. Es ist schwierig genau festzulegen, was sie sind, denn in den vergangenen Monaten haben sie ihre Vorschläge verändert. Im Augenblick geben sie sich sozialdemokratisch, um Stimmen aus der Sozialistischen Partei herauszuschneiden. Ich habe Schwierigkeiten zu sagen, wer Podemos eigentlich ist. Das Gesicht von Podemos ist in den verschiedenen Regionen Spaniens vollkommen unterschiedlich.
    Heinemann: Ciudadanos wurde in Barcelona gegründet, ist eine anti-separatistische und verfassungstreue Partei. Wie erklären Sie sich die starken separatistischen Tendenzen in Spanien?
    Alonso: Das Wort stark möchte ich in Anführungszeichen setzen, wenigstens im Fall Spanien. Ja, es gibt Separatisten. Aber schauen wir uns die Realität an: Keine der separatistischen Bewegungen in Spanien hat die Mehrheit in der jeweiligen Region hinter sich. Weder im Baskenland noch in Katalonien. Die Bürger entscheiden jetzt über ihre Zukunft mit ihrer Stimme für die eine oder die andere Richtung.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.