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"Spannend wird das"

Nach Ansicht des Musikkritikers Klaus Umbach verliert München mit Christian Thielemann einen der fähigsten Dirigenten des Landes. Gleichzeitig sei der Münchner Generalmusikdirektor aber auch ein sehr empfindlicher, eigenbrötlerischer Mensch, eine "dirigentische Mimose".

Klaus Umbach im Gespräch mit Christoph Heinemann | 12.10.2009
    Christoph Heinemann: Anton Bruckner, Christian Thielemann und die Münchner Philharmoniker, dieser Dreiklang stand bislang für die Fülle des Wohllautes. Tempi passati. Beim Fußball würde man von einem Trainerwechsel sprechen, nur dass der Trainer diesmal das Heft des Handelns in die Hand genommen hat. Nach monatelangem Hin und Her wird der Münchner Generalmusikdirektor und Chef der Philharmoniker, Christian Thielemann, der zu den bedeutendsten deutschen Dirigenten zählt, ab 2012 nach Dresden wechseln. Dort wird er die Sächsische Staatskapelle leiten. Die Münchner Philharmoniker hatten verlangt, das Letztentscheidungsrecht für das Engagement von Gastdirigenten und deren Programmplanung auf Intendant Paul Müller zu übertragen. Thielemann sah darin einen Eingriff in seine künstlerische Autorität und lehnte die Vertragsunterzeichnung ab. – Klaus Umbach ist ehemaliger Musikredakteur des Nachrichtenmagazins "Der Spiegel". Guten Tag!

    Klaus Umbach: Ich grüße Sie!

    Heinemann: Herr Umbach, was verliert München und was gewinnt Dresden durch Christian Thielemanns berufliche Veränderung?

    Umbach: Ich würde sagen, München verliert sicher, wie Sie selbst schon haben sagen lassen, einen der fähigsten Dirigenten, die dieses Land derzeit hat. Es verliert aber auch einen sehr eigenwilligen, sehr empfindlichen, auch eigenbrötlerischen Dirigenten und die jetzige Konstellation, dieser Konflikt, ist natürlich auch Ausdruck dieser, sagen wir, dirigentischen Mimose. Und genau das alles gewinnt, wenn man es denn als Gewinn sieht, Dresden.

    Heinemann: Passt Thielemann denn nach Dresden?

    Umbach: Ich denke ja. Das wird er sich wohl überlegt haben. Wenn man sein Repertoire sieht, seine Repertoireschwerpunkte sind ja ganz ohne Zweifel die deutsche Romantik, Spätromantik, Schwerromantik, vor allen Dingen Richard Wagner und Richard Strauß, und da ist natürlich die Sächsische Staatskapelle immer noch das kompetenteste und traditionsreichste Orchester und trägt ja den Namen "Wunderharfe", den Richard Wagner selbst ihm persönlich verliehen hat, heute immer noch stolz vor sich her.

    Heinemann: Herr Umbach, zum Kern des Streites. Sollten Dirigenten alleine über das Programm entscheiden und über die Gastdirigenten, die sie mit ihrem Orchester aufführen wollen, beziehungsweise die sie dort dirigieren lassen?

    Umbach: Ich glaube, die Frage kann man nicht verallgemeinern. Wir wissen alle: je prominenter, je fähiger und je mimosenhafter und stardünkelhafter ein Dirigent ist, umso stärker wird er auch bestimmen wollen, was mit seinem Orchester um ihn herum passiert. Das war bei Karajan so, der jahre-, um nicht zu sagen jahrzehntelang verhindert hat, dass Leonard Bernstein ans Pult der Berliner Philharmoniker kam. Diesen Streit hat es bei vielen namhaften Orchestern gegeben. Ich finde, die Konstellation Dirigent/Orchester ist und bleibt vor allen Dingen in heutiger Zeit problematisch, weil das Orchester nun mal ein Kollektiv ist und der Dirigent, vor allen Dingen vom Status Thielemanns, eine Art Sonnenkönig. Da sind Reibereien eigentlich unvermeidlich.

    Heinemann: Überhaupt mal allgemein gefragt: Wie wichtig ist eigentlich ein Dirigent für die Qualität eines Orchesters?

    Umbach: Wir erleben das gerade auch wieder in München, und zwar nicht bei den Philharmonikern, oder meinethalben auch bei den Philharmonikern. Ich meinte aber jetzt speziell beim Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks, dass dieses Orchester jetzt seit der Berufung von Mariss Jansons eine künstlerische Höhe erreicht, die vorher trotz vieler großer Kollegen lange nicht erreicht worden war. Summa Summarum kann man sagen, dieser Mann hat dieses Orchester mal wieder hochgezogen. Ähnliches gilt sicher auch für die Münchner Philharmoniker, die sicher mit Celibidache und mit James Levine auch ganz große Dirigenten hatten. Dazwischen gab es aber immer doch so kleine Absacker und man sieht an Thielemann: Der hat aus diesem Orchester wieder ein Top-Orchester gemacht.

    Heinemann: Thielemann wird als Chefdirigent und nicht als Generalmusikdirektor nach Dresden gehen. Wir wollen jetzt keine Haare spalten, aber was bedeutet das für seine künftigen Kompetenzen in Dresden an der Elbe?

    Umbach: Da blicke ich ehrlich gesagt auch noch nicht ganz durch und so weit wie ich durchblicke sehe ich da natürlich neuen Zündstoff, denn als Chefdirigent wird er sich natürlich in erster Linie auf das symphonische, also das Konzertrepertoire stürzen. Auf der anderen Seite ist er ein Opernfan und ein sehr opernkundiger Fan und wird natürlich auch die Gelegenheit nutzen, in der Dresdner Semperoper Oper zu machen, vor allen Dingen wahrscheinlich Wagner- und Strauß-Opern. Wie weit er da genügend Termine hat und wahrnehmen wird, wie weit Frau Hessler, die ihn als designierte Intendantin ja da hingelockt hat, auch Rechte für Gastdirigenten geltend machen wird und wie weit die beiden in ewiger Harmonie oder bald in gestörter Harmonie arbeiten werden, das bleibt abzuwarten. Spannend wird das.

    Heinemann: Er bleibt ja noch bis 2011 in München. Jeder Musiker weiß, dass der Chef auf gepackten Koffern sitzt. Ganz kurz zum Schluss: Wie muss man sich dann eine solche Zusammenarbeit noch vorstellen?

    Umbach: Das weiß ich nicht. Thielemann selbst ist ja wohl frohgemut und reist jetzt hin und macht Bruckner. Ich denke, dass die Beziehung abbröckelt bis zum endgültigen Schluss des Vertrages. Die alte Harmonie ist hin und das lässt sich auch wegen der gepackten Koffer nicht mehr halten.

    Heinemann: Der Musikkritiker Klaus Umbach. Danke schön für das Gespräch und auf Wiederhören.