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Spannende Literatur aus Roboterhand

Der "Süddeutsche"-Feuilletonchef Thomas Steinfeld hat unter Pseudonym einen Krimi geschrieben. Und Richard Kämmerlings glaubt, dass der darin ermordete Kritiker FAZ-Herausgeber Frank Schirrmacher nachempfunden sei. Längst hat sich aber die Debatte vom Steinfeldschen Buch wegbewegt zu der Frage: Wozu noch Autoren? So betrachtet es Christian Probst in seiner Glosse.

Von Carsten Probst | 16.08.2012
    Wie oft schon nahmen die Künste den Atem der Geschichte auf, ehe die große Herde etwas von der nahen Zukunft ahnte, die da auf sie zukommt! Wie staunten wir einst über die Zukunftsvisionen der selbstfahrenden Autos und Eisenbahnen, des Roboter-Farming, der elektronischen Haustiere und von Klon-Soldaten geführten Kriege. Heute erscheint uns all das schon realistisch.

    Und hätten wir uns, Hand aufs Herz, vor gar nicht langer Zeit das autorlose Buch vorstellen können? Die Vorzeichen mehren sich, dass auch diese Zukunft unmittelbar bevorsteht. In den USA verfasst ein gut verkauftes Softwareprogramm namens "Stats Monkey" seit zwei Jahren Börsenberichte und Sportreportagen. Der Statistik-Affe, wie "Stats Monkey" übersetzt heißt, wählt unter ungefähr 10.000 geläufigen Phrasen der Sport- und Börsenberichterstattung immer neue Kombinationen aus, die natürlich Sinn ergeben müssen. Und fabriziert per Mausklick Texte in beliebiger Länge. Das funktioniert inzwischen so gut, dass sich zahlreiche Zeitungen und Nachrichtenportale die Autoren sparen. Zusätzliche Programme wandeln diese Texte auf Verlangen auch in Sprachdateien für das Radio um und können diese wiederum mit Fernsehbildern kombinieren.

    Literaturkritiker der New York Times, die selbst von sich behaupten, noch keine "Robo Writers", "Roboter-Autoren", einzusetzen, schätzen das Potenzial dieser Programme inzwischen so hoch ein, dass es nur eine Frage der Zeit sei, bis der Pulitzer Prize an einen von Software produzierten geht. Warum soll schließlich das, was mit Toren, Eckstößen, Anzahl der Ballkontakte, Laufwegen und Bewegungsmustern der Spieler und so weiter als Sportbericht möglich ist, nicht auch mit anderen Texten möglich sein?

    Bei uns in Deutschland mag diese Art banaler Automatisierung vielleicht noch verpönt sein. Dennoch arbeiten auch bei uns schon längst die Avantgardisten unermüdlich an der Zukunft. Sie begnügen sich aufgrund des ungleich höheren Niveaus unserer Kultur gegenüber der amerikanischen natürlich nicht mit Sport- oder Börsenberichten. Sie steigen naturgemäß höher ein, bei der gehobenen Unterhaltungsliteratur, um sich von dort aus langsam in immer höhere Sphären voranzuarbeiten. Ihr Ansatz aber ist dem amerikanischen durchaus vergleichbar, er liegt sozusagen in der Luft: Wozu teure, langsam arbeitende, notorisch ehrpusselige und darüber hinaus oft auch nur begrenzt erfolgreiche Autoren beschäftigen, wenn man Bestseller fast mühelos auch selber fabrizieren kann, in durchaus leidlicher Qualität?

    Ja, in den geheimen Labors unserer literarischen Zukunft arbeiten längst Netzwerke aus Verlagslektoren und professionellen Kritikern daran, den klassischen Autor zu ersetzen. Und nur durch irgendeine Unaufmerksamkeit ist es jetzt investigativen Journalisten wie Richard Kämmerlings gelungen, einige Prototypen dieser Ersatzautoren aufzudecken.

    Thomas Steinfeld, Feuilletonchef der Süddeutschen Zeitung, hat sich bereits öffentlich bekannt: Ja, ich habe versucht, anhand der 10.000 geläufigen Textbausteine für Kriminalromane einen ebensolchen herzustellen. Nicht zugegeben hat er freilich bislang, dass sein Roman nur ein Prototyp für einen Robo Writer für Krimibestseller ist, der in Kürze auf den Markt kommt und es Verlegern und Kritikern erlauben wird, die Texte schreiben zu lassen, die es ihnen erlauben, den Markt ganz neu aufzumischen.

    Im Verdacht stehen noch einige andere, allen voran Jörg Bong, Chef des S. Fischer-Verlags, ein Chefredakteur der "Brigitte" und und und. Schon heißt es hinter vorgehaltener Hand, auch Autoren der in Marktkreisen sogenannten "erfolgsorientierten Bildungsliteratur" wie etwa Daniel Kehlmann hätten ihr Wissen um die am meisten bestsellerverdächtigen Phrasen für eine Datenbank zur Verfügung gestellt, die in naher Zukunft auch jenseits der Krimilektüre neue Robo Writer bestücken soll. Für eine Stellungnahme ist freilich keiner der Beteiligten zu erreichen. Was sollen die Leser denken, die auf Treu und Glauben der romantischen Vorstellung nachhängen, in die intime Gedankenwelt eines echten Autors einzutauchen! Da wirkt das bereitwillige öffentliche Bekenntnis des Thomas Steinfeld fast schon wie ein Akt der Verachtung für seine Leser.