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Spannung, Liebe und viel Humor

Ariel, Pablo und Ezequiel brechen zu einem Schüleraustausch nach Springfield, Illinois, auf. Doch was ein lehrreiches Jahr an der High School werden sollte, wird für die drei Argentinier zu einem turbulenten Abenteuer.

Von Wera Reusch | 20.01.2011
    Sergio Olguín wurde in Deutschland durch Romane über Jugendliche in Buenos Aires bekannt. In "Zurück nach Lanús" und "Die Traummannschaft" bewies er sein überragendes Einfühlungsvermögen in die Welt männlicher Jugendlicher in den Vorstädten: Eine Welt, in der Fußball und Freundschaften eine zentrale Rolle spielen, aber auch Gewalt und krumme Geschäfte. Beide Bücher lebten nicht zuletzt von Olguíns genauer Orts- und Milieukenntnis. Umso erstaunlicher ist, dass der Autor nun eine Fortsetzung seines Romans "Die Traummannschaft" geschrieben hat, die gar nicht in Argentinien spielt - sondern in den USA. Sergio Olguín:

    "Ich habe die drei Figuren aus meinem Roman "Die Traummannschaft" wieder aufgegriffen, habe sie aber in eine völlig andere Umgebung versetzt, nämlich an eine Highschool in den USA. Ich wollte etwas ganz anderes machen. Der Roman "Die Traummannschaft" war in Deutschland sehr erfolgreich und fand viele Leser. Ich wollte mit dem zweiten Band nicht einfach die Erwartungen erfüllen, sondern die Leser herausfordern. In meinem neuen Roman sollte es nicht um die Dinge gehen, die man als charakteristisch für Buenos Aires ansehen könnte, wie die Armut oder die Slums. Denn die argentinische Kultur ist viel mehr als das. Sie umfasst viel mehr als Tango und Maradona. Die Argentinier bleiben bis zwölf Uhr nachts auf, um ein Spiel der amerikanischen Basketball-Liga zu sehen. Amerikanische Traditionen sind ein Teil unserer Kultur - das haben wir übrigens mit den Europäern gemeinsam - und darüber wollte ich schreiben."

    Im Mittelpunkt von "Springfield" stehen drei fünfzehnjährige Jungs aus Buenos Aires, die in die USA geschickt werden, um Englisch zu lernen. Sie kommen zu einer Gastfamilie nach Illinois und erleben an ihrer Schule gleich den ersten Kulturschock:

    "Als wir auf die George Maharis Preparation School kamen, durften wir eine Sportart wählen. Wir verwarfen Baseball, weil wir den winzigen Ball, den sie da herumschleudern, nie fangen würden. American Football, die Idioten-Version des Rugbys, war nichts für uns. Dann gab es noch einen Sport, der Lacrosse hieß und darin bestand, einen kleinen Ball von der Größe eines Tennisballs in einem Schmetterlingsnetz herumzutragen und in Hockeytore zu werfen. Man musste schwachsinnig sein, um diesen Sport zu praktizieren. "Und Fußball gibt es nicht?", fragten wir im Chor. Wir stellten klar, dass wir richtigen Fußball spielen wollten und nicht das, was sie hier Football nennen. "Ja, klar gibt es das. Aber es ist ein Sport für Frauen. Hier spielen nur die Frauen 'Fußball'."

    Der Autor setzt diese Pointe ganz genüsslich, denn der Vorgänger-Roman, "Die Traummannschaft", drehte sich im Wesentlichen um Fußball. Die Geschichte der Austauschschüler nimmt Fahrt auf, als sich zwei der Jungs in dasselbe Mädchen verlieben, der Chemielehrer ermordet wird, die Jugendlichen ins Visier der Polizei geraten und versuchen, über die legendäre Route 66 ihren Verfolgern zu entkommen. "Springfield" ist eine Mischung aus Krimi, Road-Movie und Abenteuerroman. In erster Linie aber eine augenzwinkernde Hommage an die US-amerikanische Populärkultur - an Coca-Cola und McDonalds, an Hot Wheels und Pixar-Monster, an die Simpsons und die Sopranos. Sergio Olguín:

    "Ich wollte mich mit den Dingen beschäftigen, die wir an der nordamerikanischen Kultur gut finden. In den 70er-Jahren hat der chilenische Autor Ariel Dorfman ein Buch geschrieben, in dem er Donald Duck als ein Symbol des Kapitalismus kritisierte. Das war typisch für diese Zeit. Die US-amerikanische Kultur zu mögen, war damals verpönt. Bis heute sind die USA ein Symbol des Kapitalismus, ein Symbol für alles, was uns nicht gefällt, gleichzeitig genießen wir ihre Kultur aber auch sehr. Diese Spannung wird besonders deutlich, wenn wir mit der Realität konfrontiert sind, das gilt auch für die Jugendlichen."

    Die Konfrontation mit der Realität beschert den Jungs aus Buenos Aires einige Überraschungen: In ihrer streng religiösen Gastfamilie ist nicht nur Fluchen verboten, sondern auch Rockmusik. An der Schule werden die Lateinamerikaner von den US-Schülern diskriminiert, gleichzeitig wird jedoch viel Wert auf politische Korrektheit gelegt:

    "Die Schwarzen nannte man "Afroamerikaner". Wir in Argentinien hingegen rufen selbst Blondschöpfe liebevoll Negro, "Schwarzer", und so kam es, dass Pablo in einer unserer ersten Unterrichtsstunden den Riesen Markus fragte: "Hey, Schwarzer, kannst du mir sagen, wie spät es ist?" Der Dunkelhäutige machte ihn fast platt wie eine Austauschschüler-Tortilla. Pablo musste Markus um Entschuldigung bitten, und wo er schon einmal dabei war, gleich auch noch die anderen vier Afroamerikaner im Kurs."

    Sergio Olguín schildert die ambivalenten Erfahrungen der argentinischen Jugendlichen in den USA humorvoll und hintersinnig. Wie in seinen beiden anderen Romanen pflegt der argentinische Schriftsteller auch in "Springfield" einen schnellen und unterhaltsamen Stil. Nur an manchen Stellen wirkt die Geschichte etwas konstruiert und überfrachtet. Der Autor hatte offensichtlich so großen Spaß daran, seine turbulente Story mit Anspielungen auf US-Filme, Fernsehserien und Ähnliches zu versehen, dass er schon fast über das Ziel hinausschoss. Olguíns spielerische Beschäftigung mit amerikanischen Mythen ist in jedem Fall sehr vergnüglich zu lesen - auch wenn sich die Rezensentin für eine weitere Fortsetzung wieder den Schauplatz Buenos Aires wünschen würde!

    Sergio Olguín: Springfield. Aus dem Spanischen von Silke Kleemann. Suhrkamp Verlag, Berlin 2010, 245 Seiten.