Donnerstag, 25. April 2024

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Spannungen in Cottbus
"Eine Situation, die die Leute verunsichert"

Mit Auseinandersetzungen zwischen Einheimischen und Flüchtlingen sorgte Cottbus für Schlagzeilen. Bettina Friedenberg von der "Lausitzer Rundschau" spricht von einer aufgeheizten Stimmung. Der gewalttätige Umgang und die Behinderung journalistischer Arbeit sei auf keinen Fall akzeptabel, sagte sie im Dlf.

Bettina Friedenberg im Gespräch mit Christine Heuer | 25.01.2018
    Ein Mitarbeiter des Ordnungsamtes und zwei Beamte der Bereitschaftspolizei gehen auf Streife in Cottbus.
    Ein Mitarbeiter des Ordnungsamtes und zwei Beamte der Bereitschaftspolizei gehen auf Streife in Cottbus. (dpa-Bildfunk / Patrick Pleul)
    Christine Heuer: In Cottbus braut sich seit Wochen etwas hoch Entzündliches zusammen. Immer wieder kommt es zu zum Teil sehr bedrohlichen Auseinandersetzungen zwischen Einheimischen und Flüchtlingen in der brandenburgischen Stadt. Junge Syrer haben zum Beispiel Passanten zum Teil mit Messern bedroht. Die AfD ist angerückt, um gegen Flüchtlinge mobil zu machen. Die Bevölkerung ist aufgebracht. Die Landesregierung schickt mehr Polizisten und hat den Flüchtlingszuzug nach Cottbus gestoppt. Heute berät im Landtag der Innenausschuss über die Situation.
    In Cottbus begrüße ich Bettina Friedenberg, die stellvertretende Chefredakteurin der "Lausitzer Rundschau". Guten Tag, Frau Friedenberg.
    Bettina Friedenberg: Guten Tag, Frau Heuer.
    Heuer: Wie erleben Sie die Stimmung in Ihrer Stadt?
    Friedenberg: Na ja. Es ist natürlich schon so, dass unsere Kollegen und Kolleginnen, die in der Stadt recherchieren und sich in der Stadt bewegen, schon was spüren. Ich habe heute Früh gerade mit einer Kollegin aus der Cottbuser Lokalredaktion gesprochen. Die sagt: Ja, sie merkt schon, dass es eine angespannte Stimmung ist, dass die Leute verunsichert sind.
    150 bis 200 eindeutig zu identifizierende Rechtsradikale
    Heuer: Es gibt ja nicht nur Proteste der Bürger; es gibt – wir haben das gerade gehört – auch zum Teil organisierte Demonstrationen. Diejenigen, die da jetzt gegen Flüchtlinge auf die Straße gehen, was sind das denn für Leute, Frau Friedenberg? Ist das alles AfD, Pegida und Co.?
    Friedenberg: Nein, mit Sicherheit nicht. Sie haben es ja auch im Kontext eben schon zu der Tagung heute des Innenausschusses gesagt. Es gibt hier sicherlich ein paar eindeutig zu identifizierende Rechtsradikale. Die Zahl ist auch bekannt, das sind so 150 bis 200 Personen. Und es gibt zum Beispiel auch dieses Bündnis "Zukunft Heimat".
    Der Altmarkt in Cottbus
    Der Altmarkt in Cottbus (Brandenburg) (picture alliance/dpa/Foto: Patrick Pleul)
    Die Leute treffen aber mit so einer Demonstration gerade in diese Verunsicherung. Viele Bürger und Bürgerinnen in Cottbus sind es vielleicht auch nicht gewohnt. Der Zuzug in den letzten Jahren ist doch deutlich gestiegen, verglichen mit den Vorjahren. Das heißt, das ist eine Situation, die die Leute nicht kennen und die sie verunsichert, und es ist dann einfach auch Stadtthema. Auch die "Lausitzer Rundschau" hat in der vergangenen Woche beinahe täglich mit diesem Thema aufgemacht, eben weil es die Leute beschäftigt. Und was da dann auf die Straße geht, das sind nicht alles AfD-Wähler, sondern das sind auch viele verängstigte, unsicherte Bürger.
    Sprunghafter Anstieg von Flüchtlingen
    Heuer: Sie haben erwähnt, dass in der jüngeren Zeit besonders viele Flüchtlinge nach Cottbus gekommen sind. Wie ist das zu erklären? Da muss es ja einen sprunghaften Anstieg gegeben haben.
    Friedenberg: Na ja. Den sprunghaften Anstieg hat es in den letzten zwei Jahren gegeben, mit Beginn der Flüchtlingswelle. Das liegt ja auf der Hand. Natürlich sind da auch viele Flüchtlinge Cottbus zugewiesen worden durch die Erstaufnahmestelle in Eisenhüttenstadt. Dann gibt es natürlich Familien, die da vielleicht auch zugezogen sind, und es ist einfach so, dass, wer einen Aufenthaltsstatus hat, sich ja auch seinen Wohnsitz dann frei wählen kann.
    Heuer: Alles ganz normal. Ich hatte nämlich gelesen, Frau Friedenberg, dass ganz besonders viele Flüchtlinge gezielt nach Cottbus geschickt worden sind, von der Regierung oder von den Behörden. Das stimmt nicht?
    Friedenberg: Diesen Eindruck haben wir hier nicht.
    Heuer: Nun kann man ja sagen, ich würde das auch nicht mögen, wenn mich jemand, dem wir hier Zuflucht gewähren und bieten und das ja auch wollen, wenn der mich mit einem Messer bedroht.
    Friedenberg: Ja, das möchte natürlich niemand. Das kann man auch nicht schönreden. Wir haben natürlich darüber berichtet und es auch dahingehend kommentiert, dass das für uns Straftäter sind, die ganz normal auch bestraft werden müssen. Es ist ja auch so, dass die Tatverdächtigen inzwischen in U-Haft sitzen. Es ist aber im Umkehrschluss nicht so, dass jetzt jeder Syrer – ich sage es mal ein bisschen lax – irgendwie das Messer in der Hosentasche hat.
    Heuer: Eigentlich, sagen Sie, so verstehe ich das, ist die Situation in Cottbus nicht grundlegend anders als in anderen Städten der Republik. Oder ist das doch so?
    Friedenberg: Im Moment ist natürlich Cottbus in den Fokus gerückt und es ist im Moment sicherlich eine aufgeheiztere Stimmung – vielleicht, das kann man subjektiv so sehen -, was mit Sicherheit auch mit den Vorkommnissen der vergangenen und vorvergangenen Woche zu tun hat. Von daher ist es vielleicht im Moment schon anders als in anderen Städten. Aber es ist nicht grundsätzlich anders. Das würde ich so nicht sehen.
    Heuer: Ich habe auch gelesen, dass in Cottbus bei der Bundestagswahl die AfD fast ein Viertel der Stimmen geholt hat.
    Friedenberg: Das stimmt.
    Kein Phänomen ausschließlich in Cottbus
    Heuer: Würden Sie sagen, Cottbus ist eine rechte Hochburg?
    Friedenberg: Das mag nach außen so scheinen. Aber ich möchte das natürlich ungern über Cottbus so sagen. Wie gesagt, es gibt hier einen harten Kern von Rechtsradikalen. Das ist bekannt und das ist auch im Fokus. Es gibt offenbar – wie soll ich sagen – Argumente der AfD, die hier bei einer gewissen Klientel auf einen Nerv treffen und sie abholt. Es ist aber kein Phänomen jetzt ausschließlich in Cottbus. Es gibt auch andere Städte und Gemeinden in Brandenburg, wo die AfD ähnlich gut abgeschnitten hat.
    Heuer: Das ist ja so eine Frage, die müssen wir dann leider immer wieder stellen, Frau Friedenberg. Ich stelle die auch Ihnen heute Mittag. Ist Ostdeutschland besonders anfällig für Fremdenfeindlichkeit?
    Friedenberg: Ja, die Frage wird natürlich oft gestellt. Wir fragen uns das auch. Ich kann Ihnen das nicht bescheinigen. Es scheint so zu sein. Warum es so ist, weiß ich nicht. Es gibt auch verschiedene Ansätze. Das ist inzwischen ja schon beinahe Forschungsgegenstand. Es gibt noch keine eindeutige Erklärung. Es gibt ja verschiedene Erklärungsansätze dafür. Ich glaube, wenn wir genau wüssten, was der Grund ist, könnte man den Hebel auch besser ansetzen, um den Leuten die Angst und vielleicht auch die Fremdenangst zu nehmen.
    Heuer: Gab es denn vor diesen Auseinandersetzungen, wo zum Teil tatsächlich Syrer Einheimische mit Messern bedroht haben, gab es da, haben Sie das gespürt, so etwas wie eine Willkommenskultur in Ihrer Stadt? War die lebendig?
    Friedenberg: Ja! Es ist schon auch so, dass zum Beispiel wir etwas haben, das heißt bei uns Freiwilligenagentur. Das ist ein Bündnis, die sich für Integration einsetzen, die gerade auch mit einem Toleranzpreis ausgezeichnet worden sind. Es passiert unheimlich viel, es gibt viele Menschen, die sich hier engagieren, um den Flüchtlingen im Alltag zu helfen, um ihnen zu helfen, die Sprache zu lernen, und um die Integration auch zu erleichtern. Das gibt es genauso.
    "Kein Stimmungswandel bei den Unterstützern"
    Heuer: Wie ist denn deren Stimmung jetzt nach diesen Auseinandersetzungen und nachdem Cottbus so in den Fokus gerückt ist?
    Friedenberg: Wie meinen Sie die Frage?
    Heuer: Diejenigen, die helfen, die die Willkommenskultur lebendig haben werden lassen. Wie geht es denen jetzt nach diesen Auseinandersetzungen, wo sie jeden Tag in der Zeitung lesen müssen, was passiert in ihrer Stadt, wo sie vielleicht auch selber erleben, dass es da bedrohliche Situationen gibt?
    Friedenberg: Ja. Aber das sind ja Leute, die jeden Tag mit Geflüchteten zu tun haben, und die Geflüchteten sind ja in erster Linie aus Syrien. Die kennen ja die Leute. Ich glaube, dass es da keinen Stimmungswandel gibt. Es ist natürlich so: Die Übergriffe, die gab es. Das waren in der Regel junge Männer, muss man auch sagen. Man kann es nicht schönreden, da gibt es nichts zu entschuldigen. Ich kenne im Einzelnen die Motive der jeweiligen Täter nicht. Aber man kann es ja nicht verallgemeinern. Deswegen wird es dort auch keinen Stimmungswandel bei denjenigen geben, die die Flüchtlinge unterstützen.
    Zuweisungen aus Eisenhüttenstadt gestoppt
    Heuer: Nun ist wegen der angespannten Situation in Ihrer Stadt der Zuzug von Flüchtlingen nach Cottbus jetzt erst einmal gestoppt worden. Frau Friedenberg, ist das nicht eigentlich das genau falsche Signal, nämlich wenn man laut genug protestiert, wenn man oft genug sagt, wir wollen diese Menschen hier nicht, dann bekommt man was man will, keine Flüchtlinge mehr?
    Friedenberg: Es wird von Zuzugsstopp gesprochen, aber ganz so ist es ja nicht. Es ist so, dass die Zuweisungen aus der Erstaufnahmestelle in Eisenhüttenstadt gestoppt sind. Das heißt, wenn aus Eisenhüttenstadt Flüchtlinge verteilt werden sollen aufs Land, werden sie erst mal nicht nach Cottbus geschickt. Aber umgekehrt ist es natürlich so, wie ich es auch schon gesagt habe: Wer hier im Lande schon ist und einen genehmigten Aufenthaltsstatus hat, der kann sich seinen Wohnsitz frei wählen und der kann auch weiterhin nach Cottbus ziehen. Das werden sicherlich auch nach wie vor einige tun, weil es gibt schon so eine kleine syrische Community. Es gibt auch erste Supermärkte und das werden Sie nicht verhindern können. Das sehe ich genauso wie Sie: Es wäre auch das falsche Signal.
    Heuer: Frau Friedenberg, was wünschen Sie sich für Ihre Stadt vor allem?
    Friedenberg: Ich wünsche mir für unsere Stadt, dass ein bisschen Ruhe einkehrt. Es ist tatsächlich so: Was nicht akzeptabel ist, ist der gewalttätige Umgang untereinander. Das ist wirklich nie akzeptabel, egal aus welcher Seite die Aggressoren kommen. Es ist auch nicht akzeptabel, dass Journalisten in ihrer Arbeit behindert werden, wie es ja jüngst bei dieser Demonstration am vergangenen Wochenende auch geschehen ist. Das geht auch gar nicht. Es ist ein Grundrecht und so wie ich das gesehen habe, berichten alle wirklich sehr neutral und es wird nichts unter den Teppich gekehrt, was ja gerne vorgeworfen wird. Von daher wünsche ich mir, dass alle mal ein bisschen durchatmen und wieder versuchen, zur Besinnung zu kommen.
    Heuer: Bettina Friedenberg, die stellvertretende Chefredakteurin der Lausitzer Rundschau. Frau Friedenberg, haben Sie vielen Dank für das Gespräch heute Mittag hier im Deutschlandfunk. Schönen Tag für Sie.
    Friedenberg: Sehr gerne! – Ihnen auch. Danke! - Tschüss
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.