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Sparen kann einen "Kranken kränker" werden lassen

Thomas Straubhaar, Direktor des Hamburgischen WeltWirtschaftsInstituts, warnt: Griechenland braucht Zeit, "um überhaupt eine reale Chance zu haben, wirtschaftlich wieder auf die Beine zu kommen". Als Zeitfenster nannte er zehn bis 20 Jahre.

Thomas Straubhaar im Gespräch mit Dirk Müller | 07.06.2011
    Dirk Müller: Politischer Opportunismus zählt mehr als die wirtschaftliche Vernunft. Eine Kritik, die nicht nur in Richtung Atomausstieg die Runde macht, sondern gerade auch im Streit um weitere Milliarden-Hilfen für Griechenland. Die EU-Kommission ist öffentlich zumindest fest davon überzeugt, die Regierung in Athen hat ihre Sparhausaufgaben gemacht. Auch einige Regierungen in der Europäischen Union sehen das so, allen voran die luxemburgische. Dagegen wächst aber die Zahl der Zweifler, auch unter den Abgeordneten in den Mitgliedsstaaten, denn der Schuldenberg der Hellenen ist nicht wirklich kleiner, die Kreditwürdigkeit nicht wirklich besser geworden. Die Erlöse aus den geplanten Privatisierungen werden wohl zudem viel weniger einbringen als erhofft. Und wer muss zahlen? – Wieder einmal der europäische Steuerzahler.

    Die Zeit drängt, die Griechen brauchen frische Milliarden bis zum 1. Juli. Darüber sprechen wollen wir nun mit Professor Thomas Straubhaar, Direktor des Hamburgischen WeltWirtschaftsInstituts. Guten Morgen!

    Thomas Straubhaar: Guten Morgen, Herr Müller.

    Müller: Herr Straubhaar, ist Griechenland ein Fass ohne Boden?

    Straubhaar: Fast scheint es so und ich denke, es kann nur noch darum gehen, die richtigen Maßnahmen zur richtigen Zeit zu treffen, und das geht darum, erstens klar zu machen, dass Griechenland Zeit braucht, um überhaupt eine reale Chance zu haben, wirtschaftlich wieder auf die Beine zu kommen, und dass zweitens bei aller Hilfe, die zu leisten ist an Griechenland, es eben nicht immer nur die Steuerzahler sein können, sondern auch Private mit ins Boot geholt werden müssen.

    Müller: Die Bundesregierung will das jetzt, private Gläubiger, also die Banken, mit reinnehmen. Die wollen aber nicht. Was macht man dann?

    Straubhaar: Dazu ist noch zu sagen, dass das unglaublich schwierig ist, weil letztlich gibt es in der Tat keinen Zwang, dass Private mitmachen müssen bei der sogenannten Umschuldung, die ja wohl anstehen wird und nur noch eine Frage ist, wann sie und wie sie erfolgen soll. Da können Private nicht per staatlichem Dekret dazu gezwungen werden, sondern da geht es nur darum, Privaten Alternativen anzubieten und aufzuzeigen, dass sie, wenn sie freiwillig oder "mehr oder weniger freiwillig" mitmachen, sich immer noch besserstellen, als wenn es zum schlimmsten Fall kommt, nämlich einer Pleite Griechenlands.

    Müller: Wenn Sie jetzt, Herr Straubhaar, einmal Berater der Deutschen Bank wären, würden Sie dann dem Vorstand vorschlagen, sich freiwillig zu beteiligen?

    Straubhaar: Also ich kann für die Deutsche Bank natürlich nicht sprechen, aber so viel ich auch als Außenstehender weiß, haben deutsche Banken – und dazu würde ich auch die Deutsche Bank zählen – im letzten halben Jahr, in den letzten Monaten natürlich begonnen, sich schon bereits aus Griechenland oder griechischen Anleihen oder griechischen Staatspapieren zu verabschieden, sind rausgegangen, sodass sich für viele deutsche Banken, die das konnten, diese Frage eigentlich gar nicht mehr stellt, sondern es sind vor allem noch Versicherungen, es sind Banken, die vor allem auch selber Schwierigkeiten hatten, sich selber refinanzieren zu können und die jetzt noch in Griechenland engagiert sind.

    Müller: Das habe ich jetzt noch nicht ganz verstanden, Herr Straubhaar, müssen Sie uns noch einmal erklären. Was heißt das, die Banken wie auch immer, die Versicherungen sollen sich beteiligen? Was können, was sollen die dann machen?

    Straubhaar: Es ist ja so, dass jetzt noch viele ausländische Gläubiger dem griechischen Staat Geld geliehen haben, indem sie Staatspapiere aus Griechenland halten. Jetzt ist die Frage, wenn diese Papiere zurückbezahlt werden sollen, was in diesem Monat und dann in den Folgemonaten der Fall sein wird, kann der griechische Staat das wirklich bezahlen. Wenn das der Fall ist, ist es gut; wenn das nicht der Fall ist, dann müssen jene, die heute Gläubiger sind, eben fürchten, alles abschreiben zu müssen und irgendwo zwischen einer vollen Rückzahlung, der größten Hoffnung, und einem völligen Ausfall dieser Rückzahlung, dem schlimmsten Fall, wird es irgendeine Lösung zu finden geben, und das können sie nur durch Überzeugung sozusagen tun, weil wenn es die privaten Gläubiger darauf ankommen lassen und sagen, okay, dann riskieren wir mal, dass halt Griechenland nicht zurückzahlt, dann ist Griechenland Pleite und dann ist es wie in einem Insolvenzverfahren, wie ein Privater, der nicht mehr zurückzahlt. Dann kommt ein Automatismus zustande und dann ist wirklich Griechenland Pleite und dann muss der Insolvenzverwalter sagen, was ist jetzt noch da und wer kriegt jetzt noch was.

    Müller: Muss das immer falsch sein, Herr Straubhaar, auch in der großen politischen Ökonomie, in der Finanzwirtschaft, dass Staaten wie Griechenland, wie Portugal irgendwann einmal gezwungen werden, in einer bestimmten Situation so zu handeln, wie das private Unternehmen, wenn sie Pleite gehen, auch müssen?

    Straubhaar: Nein, im Gegenteil. Ich denke, das ist jetzt genau die richtige Fragestellung und das, was zu planen und durchzusetzen ist, nämlich – ich kann es nicht anders nennen – ein Insolvenzverfahren für Griechenland, bei dem es darum geht, aus der Insolvenzmasse das, was sozusagen griechisches Volksvermögen, Staatsvermögen in Flughäfen, in Wasserversorgung, in Telekommunikationsanlagen verfügbar ist, wie kann man aus dem sozusagen noch die größte Masse an Liquidität, an Geld erzielen, um damit auch eben heute bestehende Gläubiger entschädigen zu können. Das ist genau die Frage, wie in einem privaten Insolvenzverfahren: Wie können wir das tun? Und das ist eben auch eine wichtige Komponente, wie bei einem Insolvenzverfahren auch, dass man das, was man sozusagen den Griechen selber zutrauen kann, was der griechischen Wirtschaft vielleicht in den nächsten Jahren tatsächlich gelingen kann, dass man das mit in Betracht zieht, dass es gesunde Teile gibt, die noch überleben können und damit dann vielleicht auch Steuern erzielen und damit Geld zurückzahlen können.

    Müller: Ist das die große Umschuldung, von der alle sprechen?

    Straubhaar: Das ist die große Umschuldung, bei der es eben darum geht, letztlich auf eine Zeitachse die einzelnen Maßnahmen so zu setzen, dass es auch realistisch ist, dass die Griechen selber einen Beitrag dazu leisten können. Das ist wie bei einer Insolvenzverwaltung auch. Wenn sie das zu kurzfristig machen und alles geht kaputt, dann können sie nur noch liquidieren und der Schuldner selber kann nichts zu seiner Lösung mehr beitragen. Also wenn wir hier Zeit gewinnen und es gelingt, Griechenland in den nächsten zehn oder 20 Jahren so auch makroökonomisch wieder auf eine etwas bessere Grundlage zu stellen, dass die Griechen auch Steuern bezahlen können, dann haben wir die größere Chance, nicht alles selber auslöffeln zu müssen als deutsche Steuerzahler.

    Müller: Wäre da eine Pause vom Euro für die Griechen gut?

    Straubhaar: Das halte ich für eine völlig unrealistische Möglichkeit, weil das würde ja heißen, dass die alten, heute bestehenden Schulden, die sind ja in Euro notiert, das heißt, wenn die aus dem Euro aussteigen, dann bleiben die alten Schulden in Euro und das werden die Griechen erst recht nicht mehr schultern können, wenn sie eine neue Währung haben. Also das halte ich für die schlechteste Lösung. Zudem würde dadurch auch ein Dominoeffekt auf andere Länder übertragen, die dann ähnlich unter dem Druck von Spekulation stehen würden, dass sie ähnliche Schritte gehen müssten. Das halte ich für die schlechteste Lösung.

    Müller: Reden wir, Herr Straubhaar, noch einmal über die aktuelle Situation. Alle verlangen von den Griechen zu sparen. In vielen Teilen ist das ja zumindest politisch in Teilen jedenfalls umgesetzt. Kann Sparen aber auch kontraproduktiv sein?

    Straubhaar: Ja natürlich, und so sinnvoll diese Forderung grundsätzlich ist, dass die Griechen sparen müssen und mehr Steuern bezahlen sollen. Wenn sie in der größten Krise Griechenlands jetzt zu sparen beginnen, dann ist das nahezu eine Quadratur des Kreises deswegen, weil jetzt ist ja die Arbeitslosigkeit am explodieren, jetzt haben wir mehr als 15 Prozent Arbeitslosigkeit in Griechenland. Griechenland geht jetzt durch eine schwierige Rezession, wo sozusagen auch Beschäftigung und Wachstum daniederliegen, und in dieser Situation heißt ja Sparen nichts anderes, als dass man noch einmal die Situation verschlechtert und damit noch einmal einen Kranken kränker werden lässt und damit die Hoffnung raubt, dass er selber wieder auf die Beine kommt, um selber wieder einen Beitrag leisten zu können.

    Müller: Die Deutschen hatten zwei Konjunkturpakete in der Krise auf den Weg gebracht. Das heißt, wir brauchen ein drittes Konjunkturpaket für Griechenland?

    Straubhaar: Ich denke, es geht nicht um Konjunkturpakete. Es geht darum, jetzt in der Krise in der Tat – das mag etwas makaber klingen – von außen durch halt auch Steuergelder aus Deutschland und den übrigen stärkeren Euro-Ländern Griechenland zu helfen, aus zunächst mal dieser schwierigen makroökonomischen Rezession herauszufinden, um dann in einem strikten Sparkurs und dann in einem strikten Sanierungskurs mit auch erstens überhaupt erhobenen Steuern und zweitens dann eben auch höheren Steuern eine Sanierung zu finanzieren, zu ermöglichen, und das muss auf der Zeitachse klug gemacht werden. Sonst wie bei einem Insolvenzverwalter auch: Wenn man es zu schnell tut, dann werden auch heute vielleicht noch überlebensfähige Teile sterben.

    Müller: Bei uns heute Morgen im Deutschlandfunk Professor Thomas Straubhaar, Direktor des Hamburgischen WeltWirtschaftsInstituts. Vielen Dank für das Gespräch und auf Wiederhören.