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Sparpolitik in Brandenburg
Justiz in Not

Verfahren dauern zu lang, Straftaten verjähren, Richter werden wegen Überlastung krank: Der Personalmangel in der Justiz in Brandenburg hat dramatische Ausmaße erreicht. Die Ursache: der rigide Sparkurs der rot-roten Landesregierung. Doch nun regt sich Widerstand.

Von Vanja Budde | 21.07.2017
    Das Wappentier von Brandenburg, ein roter Adler, ziert die Wand hinter dem Tisch des Richters in einem Verhandlungssaal des Landgerichtes in Frankfurt an der Oder in Brandenburg.
    Noch gibt es Richter, aber es werden immer weniger: Leere Stühle in einem Gerichtssaal in Brandenburg. (dpa / Patrick Pleul)
    Ein junger Richter zieht einen Rollkoffer voll mit Prozessakten hinter sich her durch die Flure des Landgerichtes in Potsdam. Der Koffer ist mittlerweile ein unverzichtbares Utensil für Richter und Staatsanwälte in Brandenburg, erzählt Richterin Sabine Dießelhorst, auf dem Weg in ihr kleines Büro im zweiten Stock des Landgerichtes.
    "Wenn Sie hier morgens mal über den Parkplatz laufen und die Kollegen kommen an, dann kommen die ganz oft mit dicken Koffern auf Rollen. Warum? Weil da Akten drin sind, die sie über das Wochenende mit nach Hause nehmen, weil sie eben über die normale Arbeitszeit, die man so kennt, weiter arbeiten müssen."
    Auch Drießelhorsts Fensterbrett im Potsdamer Landgericht ist bedeckt mit aufgeschlagenen, dickleibigen Gesetzestexten, in einem Regal und in mehreren Schichten auf dem Schreibtisch stapeln sich Prozess-Akten. Manche der Pappmappen sind 30 Zentimeter dick, von kräftigen roten Gummibändern zusammengehalten.
    Zu wenig Kollegen, immer mehr Arbeit
    Weil in Brandenburg seit vielen Jahren hunderte Stellen in der Justiz eingespart wurden, habe der einzelne Richter immer mehr Arbeit, seufzt Dießelhorst.
    "Als ich am Landgericht Potsdam als Richterin anfing, das war im Jahr 1991, da hatten wir noch über 70, ich glaube es waren 76, Richterkollegen, die hier arbeiteten. Stand heute sind wir noch 49 Richterkollegen hier am Landgericht Potsdam."
    Wenig Zeit für die Prozess-Vorbereitung
    Und von denen seien einige wegen der Überlastung auch noch dauerhaft krankgeschrieben. Dazu kommt, dass in den nächsten 15 Jahren gut zwei Drittel der noch rund 1.000 Richter und Staatsanwälte in Rente gehen werden. Es müssten dringend junge Kollegen eingestellt werden, um das aufzufangen, fordert Dießelhorst. Die Folgen des Personalmangels lasten ihr auf der Richterinnen-Seele: Es bleibt weniger Zeit für die gründliche Vorbereitung der Prozesse.
    "Ja, im Ergebnis bedeutet es, dass man manchmal schon danach schaut: Wie kriegt man ein Verfahren zeitnah erledigt? Das ist aber eigentlich nicht der Anspruch, den wir an unsere Arbeit haben."
    Weil viele Richter und Staatsanwälte so fühlen, geschieht in Brandenburg derzeit Ungewöhnliches: Die Justiz geht auf die Straße, demonstriert gegen die Sparpläne der rot-roten Landesregierung. An vorderster Front: Claudia Odenbreit, die Landesvorsitzende des Richterbundes.
    "Mittlerweile sind wir in fast allen Bereichen der Justiz deutlich unterbesetzt. Die Staatsanwaltschaften haben mehr als zehn Prozent zu wenig Leute, bei den Verwaltungs- und Sozialgerichten sind die Bestandszahlen durch Hartz-IV-Gesetzgebung und Asylverfahren enorm gestiegen, und in der ordentlichen Gerichtsbarkeit sind wir durch die Stelleneinsparungen der Landesregierung erheblich belastet."
    Rechtsstaat in Gefahr?
    An den drei Brandenburger Verwaltungsgerichten sind mittlerweile mehr als 18.000 Verfahren anhängig – fast dreimal so viel, wie vor fünf Jahren. Für die Bürger habe das schlimme Folgen, sagt Odenbreit:
    "Es ist jetzt schon so, dass in allen Bereichen die Verfahren viel zu lange dauern. Die Bürger haben einen Rechtsgewährungsanspruch, in zumutbarer Zeit eine Entscheidung zu bekommen. Wir befürchten, dass es dort dazu kommen wird, dass entweder Täter gar nicht mehr einem Verfahren zugeführt werden können, weil Straftaten verjähren, oder aber milde Urteile ausgesprochen werden müssen."
    Die CDU im Landtag spricht von einem "Weckruf" an die Adresse der rot-roten Landesregierung. Untersuchungshäftlinge hätten bereits wegen überlanger Verfahrensdauer aus der U-Haft entlassen werden müssen, Pflegebedürftige, Kranke und Rentner warteten teils jahrelang auf gerichtliche Entscheidungen. Wie die CDU fordern auch die ebenfalls oppositionellen Grünen ein Ende des Stellenabbaus. Wer die Justiz kaputtspare, setze den Rechtsstaat aufs Spiel, meint der justizpolitische Sprecher der Grünen Fraktion, Benjamin Raschke.
    Ende des Stellenabbaus in Sicht
    "Ich erinnere mich an diesen Müllskandal in Teltow-Fläming, der wurde letztes Jahr, glaube ich, verhandelt nach vielen, vielen Jahren. Da hat das Justizverfahren so lange gedauert, dass der Richter Strafrabatt anbieten musste und die Leute, die da illegal Müll verklappt haben, mit sehr geringer Strafe und einem Lächeln davongekommen sind. Das wurmt dann auch den Umweltpolitiker."
    Und auch Brandenburgs relativ neuer Justizminister. Stefan Ludwig von den Linken ist seit gut einem Jahr im Amt. Er fordert einen Stopp des Abbaus, will für den neuen Doppelhaushalt und die Folgejahre nicht mehr einsparen, sondern ganz im Gegenteil 30 neue Stellen pro Jahr durchsetzen. Das wäre ein Kurswechsel. Bleibt abzuwarten, ob der Justizminister dafür im Kabinett Unterstützung findet.