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Sparsames Grün

Der Traklpark in Innsbruck ist eine kleine Grünfläche am Inn mit Sandkiste und Klettergerüst. Der deutsche Schriftsteller Mirko Bonné entdeckte ihn bei seinen Besuchen am nahe gelegenen Grab des expressionistischen Dichters Georg Trakel - und benannte nach ihm seinen eigenen Gedichtband mit rund 70 Gedichten aus 25 Jahren.

Von Matthias Kußmann | 13.06.2013
    Levkojen

    Wo ich gestern erst ankam, lebendig
    vor Neugier, riss man den Bahnhof ab,
    Trümmer hinter Zaun,

    und im Nieselregen stand unter Birken
    ein Glasflachbau für einen Supermarkt
    mit Kranzfachhandel.

    Die freundliche Trauerfloristin trug Grün,
    ähnelte einer Blume und hatte ein Gespür
    für Unwirklichkeit,

    bis ich mir sicher war, sie durchdachte
    beim Binden von Kränzen aus Levkojen
    mein Begräbnis.

    Ein Gedicht aus dem neuen Band "Traklpark" von Mirko Bonné. Bei Lesungen liest er es immer zuerst, und es passt auch hier an den Anfang. Es zeigt sehr schön die Kunst des Autors: Er braucht nur wenige Verse und sparsame Bilder, um eine intensive Stimmung zu erzeugen. Zudem erweist er zwei seltsamen, aber klangstarken Wörtern die Ehre, endlich mal in einem Gedicht aufzutauchen: "Glasflachbau" und "Kranzfachhandel" - und ein Wortspiel, nämlich die "Trauerfloristin", gibt es noch dazu. So entsteht ein überzeugendes, in sich rundes Gedicht, das obendrein eine ironische Pointe hat: Das Lyrische Ich kommt "lebendig vor Neugier" an einen Ort, wird da aber nur von Öde empfangen, man reißt auch noch den Bahnhof ab, eine Rückkehr scheint schwierig - und am Schluss geht es gar um sein Begräbnis ... "Traklpark": Der Titel des Buchs verweist auf den expressionistischen Dichter Georg Trakl. Bonné entdeckte ihn mit 18 und war wie elektrisiert:
    "Ich bin dann in den nächsten Jahren immer wieder auf die Spur von Trakl-Büchern gegangen, habe viel gelesen und auch sehr viel imitiert damals, bin dann 1986 zum ersten Mal nach Innsbruck gefahren, um Trakls Grab zu besuchen. Und bin dort auf dem Weg vom Bahnhof zum Trakl-Grab an diesem Traklpark vorbeigekommen, den ich bis dahin nicht kannte. Direkt am Inn gelegen, eine kleine, fast verwaiste Grünfläche, ein sehr stiller Park. Seit diesem Sommer '86 bin ich immer wieder in Innsbruck gewesen und gehe immer, wenn ich dort bin, in den Traklpark. Das ist eine Art Rückzugsort für mich geworden, an dem ich über meine eigene Laufbahn, meine Gedichte nachdenke, den Sinn hinter dem ganzen. Das ist für mich ein ganz wichtiger Ort."

    "Traklpark" umfasst rund 70 Gedichte. Die Hälfte davon ist neu und stammt aus den letzten fünf Jahren. Die andre Hälfte aber, so Bonné im Nachwort, sind unveröffentlichte Texte aus rund 25 Jahren, die er neu bearbeitet hat. Das ist für einen Autor, der grade mal 48 ist, eher ungewöhnlich, doch es entspricht seiner Arbeitsweise. Bonné:

    "Wenn ich Gedichte schreibe, ist es so, dass ich immer wieder alte Gedichte, unveröffentlichte Gedichte, teilweise auch veröffentlichte Gedichte hervor nehme und überarbeite, ändere, die mir in bestimmten Passagen nicht mehr gültig erscheinen. Ich hab das allerdings noch nie in den Gedichtbänden, die ich bisher publiziert habe, zum Thema gemacht."

    Bonné geht es um Selbstvergewisserung: Wie hat sich seine Arbeit in den letzten Jahren und Jahrzehnten verändert, wie hat er sich selbst verändert, und wie ist das gekommen? Viele Gedichte handeln von Reiseeindrücken, Lektüreerfahrungen, und immer wieder von der Kindheit. In einem Text begegnet das Lyrische Ich als Kind einem Mann, in dem der Leser den Autor Günter Eich erkennt. Dazu muss man wissen, dass Bonné am bayrischen Tegernsee aufwuchs. Nur einen Steinwurf entfernt, in Großgmain, lebte der von ihm heute verehrte Lyriker Günter Eich. Das wusste er als Kind natürlich nicht, doch im Gedicht ist eine erste prägende Begegnung möglich.

    Ein Sommersonntag
    1972, im Freibad Marzoll,
    Bad Reichenhall. Ich stand,
    ein siebenjähriges Hemd,
    hoch oben im Föhnwind
    auf der Messerklinge des
    Siebeneinhalbmeterbretts
    und blickte über die Grenze,
    bis Großgmain in Österreich.

    "Spring!", riefen mein Bruder
    und Onkel Walter. "Spring!",
    rief die ganze hellblaue Welt
    weit unten, wo alles gut war.

    Bloß ein sonnenverbrannter
    Alter mit faltigem Brustkorb,
    weißem Spinnennetzbart
    und Mütze auf der Glatze
    rief mir zu: "Spring nicht!
    Bleib oben! Was willst du
    denn hier unten?" Danke,
    lieber Günter Eich, danke.


    Im Nachwort zitiert Bonné Georg Trakl, der einmal schrieb, sich andern mitzuteilen sei eigentlich unmöglich. Bonnés eigene Gedichte aber sind dialogisch, auf einen Leser, auf Verständnis gerichtet, auch wenn es um vielleicht Unverständliches geht, um Landschaft, Tiere oder Dinge:

    "Weil auch für mich vieles, was nicht menschlich ist, Ansprechpartner ist, ich mir es herausnehme, auch mit Toten zu sprechen in den Gedichten. Das bedeutet allerdings nicht, dass ich der Meinung bin, es liegt alles offen und verständlich da. Es ist glaub ich eher so, dass das Gedicht erst diese scheinbare Wirklichkeit schafft, die es vorher gar nicht gibt, die erst fassbar wird durch einen Vers oder einen Satz, mit dem man etwas "anfangen" kann, im besten Wortsinn."

    Viele Gedichte in "Traklpark" hat Mirko Bonné Freunden gewidmet. Auch wenn sie keine Idyllen zeigen, sind sie Teil eines Gesprächs, das weiter geführt werden soll. Wie das Gedicht "Fäden" für den Literaturwissenschaftler Sven Meyer - mit einem Anklang an Gottfried Benns Verse "Kommt, reden wir zusammen / wer redet, ist nicht tot":

    Die Goldpollen, die überall
    in Fäden auf dem Boden liegen,
    Sommerabend. Ein sanftes rotes
    Licht, ein Mauersegler. Bleib nicht
    allein. Und du bleib doch noch da.
    Geht unter Bäumen eine Weile
    mürrisch durch die Juliluft.

    Da kommt die Nacht, gelber
    Schein. Das letzte, kalte Glas.
    Sommernacht, mit überraschend
    Regen. Die Trauerweiden rasseln,
    und jemand ruft noch an, spät, der
    gleich vorbeikommt, reden. Trinken.
    Liegen zwischen goldenen Fäden.


    Mirko Bonné: Traklpark. Gedichte.
    Schöffling Verlag, 106 Seiten, 18,95 Euro