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SPD aus Wählersicht
"Es geht immer nur um die Befriedung der Funktionärsbasis"

Nur etwa ein Drittel der Wählerinnen und Wähler trauten der designierten Parteichefin Andrea Nahles eine Erneuerung der SPD zu, sagte Forsa-Chef Manfred Güllner im Dlf. Nahles komme aus dem "Apparat" und sei damit vom Typus her nicht die Person, die die verloren gegangenen SPD-Wähler zurückholen könne.

Manfred Güllner im Gespräch mit Tobias Armbrüster | 13.02.2018
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    Forsa-Geschäftsführer Manfred Güllner: "Diejenigen, die die SPD mal nach vorne geführt haben, die kamen nicht aus dem Apparat." (Deutschlandradio)
    Tobias Armbrüster: Kann die SPD mit diesem Personal wirklich punkten bei Wählern und bei Mitgliedern? Ich habe darüber kurz vor der Sendung mit Manfred Güllner gesprochen, dem Chef des Meinungsforschungsinstituts Forsa. Schönen guten Abend, Herr Güllner.
    Manfred Güllner: Ja, schönen guten Abend.
    Armbrüster: Herr Güllner:!! Sind die Chaostage bei der SPD jetzt beendet?
    Güllner: Die Chaostage mögen beendet sein. Man kann es ja auch nur hoffen für diese Partei, aber auch für das gesamte politische System, denn dem kann es ja nicht recht sein, wenn eine einstmals große Volkspartei elend dahinsiecht. Aber ob die Wähler das so sehen, das müssen wir erst mal abwarten, wie die Meinungsbildungsprozesse in den nächsten Tagen verlaufen.
    Armbrüster: Können wir denn zumindest sagen, die SPD hat heute Abend alles richtig gemacht?
    Güllner: Auch das werden wir sehen, ob sie alles richtig gemacht hat, und die entscheidende Frage ist ja, ob Andrea Nahles wirklich eine Figur ist, die bei den verloren gegangenen Wählern Vertrauen gewinnt und auch diese Wähler zurückholen kann. Denn man darf ja nicht vergessen: Die SPD hat in zwei Jahrzehnten fast elf Millionen Wähler verloren, und da muss sie einen großen Teil zurückgewinnen, um wieder aus diesem Tief, in dem sie sich jetzt befindet, herauszukommen.
    Armbrüster: Was ist denn Ihre Einschätzung? Ist Frau Nahles dafür die richtige Person?
    "Sie ist, wenn man das etwas drastisch formuliert, Apparatschik"
    Güllner: Vom Typus her muss man ein bisschen Zweifel haben, denn sie kommt ja aus dem Apparat. Sie ist, wenn man das etwas drastisch formuliert, Apparatschik und das ist nicht das, was eigentlich auch die verloren gegangenen Wähler der SPD erwarten. Diejenigen, die die SPD mal nach vorne geführt haben, die kamen nicht aus dem Apparat. Wenn Sie an Willy Brandt denken, der war Bürgermeister in Berlin, kam von außen gegen die hauptamtlichen, die verkrusteten Funktionäre in Bonn. Schmidt ebenfalls war Reformer gegen die verkrusteten alten Herren der SPD. Schröder kam von außen, und Nahles kommt von innen. Sie hat ja alles das mitgetragen. Sie hat auch Herrn Schulz mitgetragen und sie hat mit Herrn Schulz das ausgekungelt. Das ist alles typisch für einen Funktionär und nicht für jemanden, dem man zunächst mal die Führung einer großen Partei zutraut.
    Armbrüster: Wurde Andrea Nahles durch dieses Vorgehen der vergangenen Tage denn auch beschädigt?
    Güllner: Wir können ja feststellen, dass die Bürger nicht viel Vertrauen zu ihr haben, wenn es darum geht, die SPD zu erneuern. Das sind nur etwas mehr als 30 Prozent, die uns sagen, Nahles ist in der Lage, die SPD zu erneuern. Das sagen vor allen Dingen auch die Jungen nicht. Es hat ja irgendjemand in der SPD gesagt, das sei ein neues Gesicht, jung und weiblich. Aber die Jungen und die Frauen halten nicht allzu viel von Frau Nahles. Und wir sehen das bei der Kanzlerpräferenz. Wenn wir fragen, wen würde man denn direkt zum Kanzler und zur Kanzlerin wählen, Merkel oder Nahles, dann liegt Merkel weit, weit vorne und Nahles kriegt nicht sehr viel bessere Werte als Herr Schulz.
    Armbrüster: Wen würden sich denn die SPD-Mitglieder, möglicherweise auch die verloren gegangenen Mitglieder oder die verloren gegangenen Wähler als Person wünschen? Können Sie da auch was zu sagen?
    Güllner: Es hat sich so recht keiner herausgeschält. Olaf Scholz, der in Hamburg ja Erfolge erzielt hat, der bei den letzten beiden Bürgerschaftswahlen ja verloren gegangene SPD-Wähler wieder zurückgeholt hat, der hat immer mehr Stimmen bei der Bürgerschaftswahl bekommen als die SPD bei der vorausgegangenen Bundestagswahl. Aber er ist bundesweit nicht bekannt. Stephan Weil hat sich durch seinen Wahlsieg ein bisschen bekannter gemacht, aber er hat natürlich auch bundesweit noch kein richtiges Profil. Und dann gibt es nur noch die beiden Ministerpräsidentinnen Dreyer und Schwesig, die aber auch zu wenig bundespolitisches Profil haben. Das ist ein bisschen das Problem der SPD, dass das Personal-Tableau nicht so gut bestückt ist, dass die Menschen sich schon ein Bild davon machen könnten, wer denn eigentlich in der Lage wäre, die Partei aus dem Tief herauszuführen.
    Armbrüster: Herr Güllner, wir haben in den vergangenen Tagen immer viel gehört von "der Parteibasis" bei der SPD. Da soll die Parteibasis ihren Unmut geäußert haben und es soll der Fehler herrschen, dass die SPD-Führung den Kontakt zu ihrer Basis verloren haben soll. Was kann man eigentlich über diese Basis sagen? Wie viele Leute sind das?
    Güllner: Man muss ja auch wieder unterscheiden zwischen den Mitgliedern – das sind ja nur noch um die 460.000 – und der Wählerbasis. Da ist häufig eine Kluft festzustellen, dass die der SPD noch verbliebenen Mitglieder doch anders ticken als die der SPD noch verbliebenen Wähler und erst recht als die früheren SPD-Wähler. Und wenn man von der Basis spricht, oder wenn man nur darauf achtet, den Parteitag hinter sich zu bringen, oder die Mitglieder, dann hat man noch nicht auch die Wähler hinter sich, und das ist, glaube ich, das Problem. Wenn man in der SPD von Basis spricht, denkt man zu kurz und denkt nicht darüber hinaus an die, die man eigentlich ansprechen müsste, nämlich die, die man bei einer Wahl braucht, damit sie die Stimme der SPD geben.
    "Der Wähler möchte keinen Streit, wenn eine Partei in einer Regierung ist"
    Armbrüster: Das heißt, tickt die SPD-Parteibasis tendenziell eher noch weiter links als die Wählerschaft?
    Güllner: Das ist eines der Probleme, dass vor allen Dingen die Funktionäre eher links ticken, der SPD immer raten, ein linkes Profil zu bekommen, und die Wähler sind eher mitteorientiert, sind eher auch konsensorientiert. Wir haben es ja auch gesehen in der Vergangenheit, wenn die SPD Regierung und Opposition gleichzeitig sein wollte. Das hat der Wähler nicht honoriert. Er möchte keinen Streit, wenn eine Partei in einer Regierung ist. Da ist in der Tat eine tiefe Kluft zwischen vor allen Dingen der Funktionärskaste und den Wählern und im Augenblick geht es immer nur um die Befriedung der Funktionärsbasis, oder vielleicht allenfalls der Mitgliederbasis.
    Armbrüster: Wir reden jetzt natürlich die ganze Zeit auch wieder über die SPD, haben das in den vergangenen Tagen auch viel getan. Wie sieht das denn eigentlich bei den anderen Parteien aus? Können die etwas lernen von diesem Streit bei den Sozialdemokraten?
    Güllner: Wir können ja sehen, dass bei der Union die Werte nach unten gehen, nicht durch die Koalitionsvereinbarung an sich, sondern dadurch, dass auch in der Union darüber gestritten wird und lamentiert wird, dass man das Finanzministerium nicht mehr besetzen kann, obwohl es ja zwischen 2005 und 2009 auch schon so war, dass Finanzministerium und Außenministerium in der Hand der SPD waren. Aber es hat der SPD überhaupt nichts genutzt. Dieser Streit innerhalb auch der Funktionärskaste der CDU, der ärgert die Leute, ärgert auch die CDU-Anhänger und führt dazu, dass auch die Werte für die CDU aktuell etwas nach unten gehen.
    Armbrüster: Hier bei uns im Deutschlandfunk war das Manfred Güllner, Chef des Meinungsforschungsinstituts Forsa. Vielen Dank, Herr Güllner, für Ihre Zeit heute Abend.
    Güllner: Bitte schön.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.