Donnerstag, 18. April 2024

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SPD-Basis
Viel Sympathie für Simone Lange

Das Rumoren über die Große Koalition ist nicht verstummt an der SPD-Basis. Viele Sozialdemokraten fordern weiter Erneuerung und mehr Demokratie - wie sich am Streit um den Parteivorsitz beobachten lässt. Nahles-Herausforderin Simone Lange wird immer mehr zum Sprachrohr der Unzufriedenen in der SPD.

Von Anke Petermann | 05.04.2018
    Porträtbild von Simone Lange (SPD), Oberbürgermeisterin von Flensburg
    Die Flensburger Oberbürgermeisterin Simone Lange kandidiert für den SPD-Vorsitz (picture alliance/ dpa/ Christian Charisius)
    Danke für ihren Mut, danke, dass sie den Parteitagsdelegierten überhaupt eine Wahl ermöglicht – das bekommt Simone Lange schon beim Betreten des etwas düsteren Heidelberger Musik-Clubs "Billy Blues" zu hören. Die Flensburger Oberbürgermeisterin nutzt ihren Osterurlaub und die Wochenenden, um sich gegen Andrea Nahles in Stellung zu bringen, die vom Bundesvorstand nominierte Kandidatin für den Parteivorsitz.
    Jürgen Schweitzer ist aus dem pfälzischen Ludwigshafen angereist und einer derjenigen, die sich bei Lange bedanken:
    "Ja, weil das nicht typisch ist, dass sich jemand aus dem Nichts für den Parteivorsitz bewirbt, und dann noch für die SPD, das find ich schon mutig. Ich find 's auch klasse, dass hier nicht nur der Vorstand irgendjemanden ausklüngelt, sondern dass sich aktive Leute melden, die Verantwortung übernehmen wollen, das finde ich ganz toll."
    Dass der SPD-Bundesvorstand um den kommissarischen Parteichef Olaf Scholz die Gegenkandidatur nicht toll findet, hat der Pfälzer schon mitbekommen.
    "Na klar, die wollen unter sich bleiben, die Basis stört da nur."
    Genau deshalb, weil Simone Lange die Harmonie der Parteibosse "da oben" stört, haben die "da unten" vom SPD-Ortsverein Pfaffengrund die Nahles-Gegenspielerin eingeladen. Und zwar in einen Saal, in dem sich Heidelberger Sozis seit den 1968ern gefetzt und dennoch mehr als 40 Prozent eingefahren haben.
    Lange als Sprachrohr der Unzufriedenen
    "Was uns zusätzlich motiviert hat, war die Tatsache, dass man Simone Lange auf Bundesebene und im Parteivorstand am Anfang so ein bisschen hat links liegen lassen", erzählt Claus Wichmann:
    "Eine Oberbürgermeisterin von Flensburg, die direkt gewählt wurde, die ein direktes Landtagsmandat hatte, die lange in der Kommunalpolitik tätig ist, ist - wenn man eine SPD erneuern will - doch zumindest eine ernstzunehmende Person. Und wenn das vom Parteivorstand zu Anfang nicht kam, da haben wir das schon für notwendig erachtet, dass man sie im Diskussionsprozess zumindest mal zu Wort kommen lässt."
    Kolportiert wird, dass der Bundesvorstand die Osterferien-Tour der Simone Lange äußerst kritisch beäugt. "Schade", wenn es so wäre", kommentiert die geborene Thüringerin bei ihrem siebten bundesweiten Auftritt. Sie spürt – und kalkuliert ein, dass sie mehr und mehr zum Sprachrohr der vielen Unzufriedenen in der SPD wird.
    Die Parteispitze redet von Erneuerung, die sportliche Ex-Polizistin verkörpert sie. In Jeans, Turnschuhen und ärmellosem Shirt stellt sich 41-Jährige mitten unter die hundert Heidelberger Genossen - froh, die Diskussion nicht vom Pult aus führen zu müssen, das liegt ihr nicht. Eine Rebellin? Das müssten andere beurteilen. Ihre Ansicht:
    "Wettbewerb belebt, und Wettbewerb belebt nicht nur nach außen, sondern vor allem auch nach innen. Und genau das ist es, was die SPD jetzt braucht: Leben."
    Ein Messias wird die SPD nicht erlösen
    "Dass wir uns bewegen und nicht glauben, da kommt irgendwann der Messias und erlöst uns. Das müssen wir schon selbst tun. Ich werbe auch dafür, sich wieder einzumischen und aus dieser gefühlten Entfernung zwischen Basis und Bundesvorstand wieder eine Nähe herzustellen. Und diese Nähe können beide Seiten herstellen: Der Bundesvorstand, der sich mehr hinwendet zur Basis, aber auch die Mitglieder, die kritisch nachfragen und sagen: Wir wollen wissen, was ihr da macht und warum ihr's macht."
    Die SPD aus dem Tief zu holen, scheint ganz einfach, wenn man Langes schnörkellosen Sätzen lauscht. Die SPD fordert Transparenz? Dann muss sie selbst transparent sein. Sie will Demokratie? Dann muss sie innerparteiliche Demokratie praktizieren. Noch haben wir keinen Neustart hingelegt, moniert Lange:
    "Olaf Scholz als amtierender Bundesvorsitzender sagt: Über Hartz IV müssen wir nicht reden. Ich sage: Doch! Und wie!"
    Und zwar mit dem Ziel, Hartz IV abzuschaffen.
    "Deshalb hat da Simone Lange auf jeden Fall meine Sympathien", sagt Andreas Grasser vom Vorstand des Ortsvereins Heidelberg-Altstadt. Der stimmte mehrheitlich gegen die große Koalition – und stellte sich damit quer zur Linie des Bundesvorstands.
    Weg mit Hartz IV – das unterscheidet Lange von Nahles
    Grasser sympathisiert mit Lange statt mit Nahles:
    "Weil eben Andrea Nahles an Hartz IV festhält. Und ich denke, dass das ein Hauptpunkt ist, weshalb die SPD in den vergangenen knapp 15 Jahren an Glaubwürdigkeit verloren hat, und dass das ein Kernbestandteil ist, der geändert werden muss, da sonst die SPD nicht zu alter Stärke zurückkehren kann."
    "Und ich finde eine Ämterteilung an der Spitze sehr sinnvoll", ergänzt die Bonner Sozialdemokratin Beatrix Buttler. Wie soll die SPD zu ihrem Markenkern zurückfinden, wenn Andrea Nahles Bundesvorsitzende wird und als Fraktionschefin gleichzeitig für die Kompromisse der großen Koalition werben muss?
    Das erschließt sich Simone Lange und ihren Anhängerinnen nicht. "Weil gerade wenn aus der Partei wieder irgendwas an Kraft kommen soll, dann muss man das auch zulassen. Und muss dafür einen Raum schaffen", findet Uli Zierl.
    "Traut euch! Hinterfragt das! Empört euch!", hatte Lange ihren Zuhörern mitgegeben.
    Obama-Effekt in der SPD? Vielleicht ein wenig romantisierend
    Das hat auch Noch-Nicht-Genossinnen wie Petra Eggensperger elektrisiert:
    "Ja - also das klingt jetzt vielleicht ein bisschen sehr romantisierend: Aber für mich ist es wie so ein Obama-Effekt. Die Frau nimmt die Leute schon sehr mit und begeistert sie. Für mich ist das Politik, so wie sie sein sollte. Also, dass Demokratie passiert, indem man nicht unbedingt einer Meinung ist, aber indem man diskutiert. Es ist ansteckend, ja: Hey, wir können Dinge bewegen. Hast du ein Ziel? Nenn dein Ziel, wir überlegen, wie man das erreichen kann. Also, das fand ich unglaublich begeisternd, ja."
    Dass Simone Lange am 22. April auf dem Bundesparteitag gegen Andrea Nahles gewinnen kann, glauben die meisten in Heidelberg nicht. Ist auch fast Nebensache. Viel wichtiger: Die Neue gibt der gebeutelten Basis den Glauben an sich selbst zurück. Der Bundesvorstand muss mit mehr Widerspruch rechnen. Erneuerung nur zu verkünden, reicht nicht mehr.