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Deutsche Ratspräsidentschaft
Für Griechenland ein "großes Glück"

Deutschland übernimmt am 1. Juli die EU-Ratspräsidentschaft. Griechenland erhofft sich eine effiziente Führung - die Erwartungen an Deutschland sind auf griechischer Seite besonders groß.

Von Thomas Bormann | 24.06.2020
Die griechische und europäische Fahne wehen am Himmel
"Die kommenden sechs Monate der deutschen Ratspräsidentschaft werden von entscheidender Bedeutung sein", sagte Oppositionsführer Alexis Tsipras in einem Zeitungsinterview. (picture alliance / dpa / Kay Nietfeld)
Die Vorfreude in Griechenland auf die deutsche Ratspräsidentschaft begann schon Mitte Mai, als Kanzlerin Merkel zusammen mit dem französischen Präsidenten Emmanuel Macron den "Wiederaufbau-Plan" vorstellte: 500 Milliarden Euro für diejenigen EU-Staaten, die von der Corona-Krise besonders betroffen sind - 500 Milliarden, und zwar nicht als Kredit, sondern als Zuschuss, der nicht zurückgezahlt werden muss.
Dass die deutsche Kanzlerin so großzügig den Not leidenden Ländern vor allem im Süden Europas helfen will, hat viele Griechen positiv überrascht - auch, dass die EU-Kommission auf den Merkel-Macron-Plan aufbaut und nun 500 Milliarden als Zuschuss sowie 250 Milliarden als Kredit gewähren will. All das stößt in Griechenland auf breite Zustimmung. Die Zeitung Kathimerini schreibt:
"Es handelt sich hier zwar nicht um Euro-Bonds, wie es die süd-europäischen Staaten wünschen. Aber es ist so nah wie möglich dran."
Verzicht auf Euro-Bonds als gelungener Kompromiss
Ein genialer Kompromiss aus griechischer Sicht. Ein Kompromiss, für den Kanzlerin Merkel nun während der deutschen Ratspräsidentschaft alle 27 EU-Staaten gewinnen muss. Griechenland kann gut damit leben, dass es keine Euro-Bonds geben soll. Die Zeitung Kathimerini schreibt weiter:
"Damit wird die Wahrscheinlichkeit geringer, dass die ‚sparsamen Vier‘ aus dem Norden Europas ihr Veto einlegen werden. Getreu ihrer politischen Gepflogenheit führt Bundeskanzlerin Merkel ‚von der Mitte aus‘.
"Südliche Staaten sollten zu Kompromissen bereit sein"
Mit Genugtuung stellen die Griechen fest, dass sich Kanzlerin Merkel nicht auf die Seite des knauserigen Nordens stellt, sondern, dass sie als Brückenbauerin einen Weg der Mitte sucht – zwischen den Süd-Europäern und den "sparsamen Vier", also: Österreich, Dänemark, Schweden und den Niederlanden, die sich gegen das 750-Milliarden-Programm sperren. Die liberal-konservative Athener Zeitung Phileleftheros sieht hier Kanzlerin Merkel gefordert:
"Merkel muss diese Staaten überzeugen, das Rettungspaket so zu akzeptieren wie es jetzt ist, vielleicht mit ein paar Änderungen: zum Beispiel, dass es weniger Zuschüsse und dafür aber mehr Kredite gibt. Sollten die nördlichen Staaten dem zustimmen, dann sollten auch die südlichen Staaten wie Griechenland zu Kompromissen bereit sein. Wahrscheinlich werden die südlichen Länder strengere Kontrollen akzeptieren müssen, wofür sie die Gelder ausgeben wollen. Allerdings dürfen diese Kontrollen nicht so streng sein wie zu Zeiten der Wirtschafts- und Finanzkrise, als Hilfskredite sogar mit zwangsweisen Sparauflagen verbunden waren."
Zeitung: Merkel habe etwas gutzumachen
Massenentlassungen, Rentenkürzungen, Firmenpleiten - viele Griechen meinen bis heute, ihr Land sei kaputtgespart worden. Die Zeitung Phileleftheros glaubt denn auch, die Kanzlerin habe etwas gutzumachen.
"Merkel, deren Amtszeit sich dem Ende neigt, möchte ihre Karriere mit etwas Großem beenden: mit einem Abkommen, das die negativen Eindrücke glätten wird, die die deutsche Politik in den Jahren der Finanz- und Wirtschaftskrise geschaffen hat."
Tsipras: Herzliches Verhältnis zu Merkel
Oppositions-Chef Alexis Tsipras von der griechischen Linkspartei Syriza war bis vor einem Jahr selbst Regierungs-Chef in Athen. Nächtelang hatte er mit Kanzlerin Angela Merkel darüber verhandelt, wie die griechische Schuldenkrise bewältigt werden kann - nicht immer harmonisch, aber mit gutem Ende. Im Zeitungsinterview sagt Tsipras, er habe über die Jahre ein herzliches Verhältnis zu Frau Merkel aufgebaut:
"Frau Merkel hat es in geschickten Verhandlungen geschafft, das Schlimmste für Europa abzuwenden. Jetzt hat sie die Chance, ein positives Erbe zu hinterlassen."
Wirtschaftsminister Georgiadis: "Effiziente Führung nötig"
Alexis Tsipras weiter: "Die kommenden sechs Monate der deutschen Ratspräsidentschaft werden von entscheidender Bedeutung sein. Zum einen muss das Rettungspaket beschlossen werden, das ein Signal für eine Art ‚europäischer Wiedergeburt‘ sein kann. Zum anderen muss der Dublin-Vertrag überarbeitet werden, also das Asyl-System in Europa."
Der griechische Oppositionsführer Alexis Tsipras traut der Kanzlerin zu, diese Aufgaben zu bewältigen. Ähnlich klingt das bei Regierungsmitgliedern der konservativen Partei Nea Demokratia. Wirtschaftsminister Andonis Georgiadis sagte gestern Abend in einer Rede vor der deutsch-griechischen Außenhandelskammer in Athen: Es sei ein großes Glück, dass Deutschland jetzt die Ratspräsidentschaft übernehme, denn in diesen Zeiten sei eine effiziente Führung in Europa nötig. Frau Merkel und die Bundesregierung werden Europa zu einem guten Ergebnis führen, so der griechische Wirtschaftsminister gestern Abend.