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Denkmalstreit um D'Annunzio
Dichter des Faschismus

Ein Denkmal für Gabriele D´Annunzio in Triest verstimmt Kroatien. Der Dichter besetzte 1919 mit gewaltbereiten Freischärlern die Stadt Rijeka und errichtete den Piratenstaat Fiume. Für Osteuropahistoriker Oliver Jens Schmitt ist D´Annunzio "Vordenker einer präfaschistischen Praxis."

Oliver Jens Schmitt im Gespräch mit Anja Reinhardt | 17.09.2019
Eine wichtige Identifikationsfigur für die Faschisten von gestern unter Mussolini und für die Neue Rechte in Italien von heute, ist der Dichter Gabriele D’Annunzio (1863 - 1938). Seine Werke gehören in Italien nach wie vor zur Schullektüre . Er besetzte im September 1919 die Hafenstadt Fiume - heute Rijeka und machte aus ihr ein politisches Versuchslabor. Fiume sollte die Keimzelle einer neuen Gesellschaftsordnung werden. Nach 16 Monaten beendete die italienische Regierung das Experiment, das für Mussolini und die Faschisten aber ein wichtiger Bezugspunkt blieb. In Triest, von Rijeka aus gesehen auf der anderen Seite der Halbinsel Istrien, wurde vergangene Woche, am 100. Jahrestag der Besetzung, ein Denkmal für Gabriele D’Annunzio enthüllt – faschistische Schwarzhemden waren auch vor Ort. Das kroatische Außenamt protestierte mit einem offiziellen Schreiben.

Der Wiener Osteuropahistoriker Jens Schmitt erklärt, warum die Kroaten so verärgert sind: "Die kroatisch-italienische Beziehungsgeschichte ist sehr belastet, insbesondere durch die italienische Besatzung in Kroatien und Dalmatien von 1941 bis 1943." Die Verbrechen der italienischen Besatzer seien kaum bekannt und nicht aufgearbeitet worden.
Faschistischer Vordenker
Der Dichter Gabriele D´Annunzio stehe für den italienischen Irredentismus, dessen Ziel nach der Einigung Italiens 1861 die Angliederung der unter österreichischer Herrschaft verbliebenen italienisch besiedelten Gebiete Trentino und Triest war. Damit sind die italienischen Ansprüche auf die Ostküste der Adria gemeint. Deshalb sei Rijeka kurzzeitig besetzt gewesen. Dalmatien, Istrien und Triest seien schon während des Ersten Weltkriegs per Vertrag Italien zugesichert worden. Der Dichter Gabriele D´Annunzio wollte das Versprechen nachträglich gewaltsam einlösen. Dazu Osteuropa-Historiker Oliver Jens Schmitt:
"D´Annunzio hat mit entwurzelten Frontkämpfern, Intellektuellen, gesellschaftlichen Utopisten, die Initiative ergriffen und ist an der italienischen offiziellen Außenpolitik vorbei, in Rijeka einmarschiert und hat diese eigenartige Herrschaft errichtet, die bis Ende 1920 gedauert hat."
Der Dichter - so Schmitt - habe Massenaufmärsche inszeniert und spätere faschistische Praktiken vorweggenommen. Auf die Frage, wie wichtig D´Annunzio als faschistisches Vorbild war, sagte Schmitt: "Er war einer der wesentlichen Vordenker des italienischen Nationalismus, ein Umsetzer auch einer präfaschistischen Praxis in Fiume."
Die Freischärler lehnten die bürgerliche Gesellschaft ab, hatten Kriegserfahrung und inszenierten lautstark ihre Macht. Für Historiker Schmitt steht fest: "Der entscheidende Punkt war der Bruch des Rechts und der Einsatz von Gewalt, die Verachtung des Völkerrechts, die Verachtung bürgerlicher Normen. Das war zutiefst faschistisch." D´Annunzio habe damit dem italienischen Faschismus den Weg gebahnt.
Eine Denkmal italienischer Überlegenheit
Das Denkmal für D´Annunzio in Triest geht zurück auf Ideen von Silvio Berlusconis Forza Italia und Matteo Salvinis Lega. Auf die Frage, was D´Annunzio für die Neue Rechte in Italien bedeutet, sagte Historiker Schmitt, es sei kein Zufall, dass es in Triest errichtet worden ist. Triest habe zahlreiche Flüchtlinge aus dem ehemaligen Jugoslawien aufgenommen. Salvini habe sich dort auch inszeniert. Schmitt: "Die ganze Zone ist für italienische Neo-Faschisten und italienische Nationalisten symbolisch außerordentlich aufgeladen. Es geht auch darum, sich zu inszenieren, Italien als Volk der Kultur und kulturellen Überlegenheit." Das seien Botschaften, die im rechtsnationalen Spektrum sehr gut verstanden werden. D´Annunzio stehe hier "als Heroe, der sich für die unterdrückten Italiener in einem slawischen Meer eingesetzt hat."
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.