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SPD in NRW
Ein neues Gesicht, eine neue Politik?

Der bislang wenig bekannte Bundestagsabgeordnete Sebastian Hartmann soll neuer Vorsitzender der NRW-SPD werden - des größten Landesverbands der Sozialdemokraten. Eine junge neue Spitze, ein neuer Aufbruch - sagen die einen. Eine Notlösung, im Hinterzimmer ausgeklüngelt - sagen die anderen.

Von Moritz Küpper | 21.06.2018
    Sebastian Hartmann, einziger Kandidat für den Landesvorsitz der NRW-SPD
    Sebastian Hartmann, einziger Kandidat für den Landesvorsitz der NRW-SPD (picture alliance/ dpa/ Federico Gambarini)
    Die Parteizentrale der NRW-SPD am Mittwochabend. Der große Sitzungsraum im Erdgeschoss ist gut gefüllt, hier tagt der Unterbezirk Düsseldorf. Rund 40 Menschen sind gekommen, Genossinnen und Genossen – um, genau, zwei der ihren zu sehen:
    "So, es war der Wunsch des UB Arras, die beiden designierten Kandidaten kennenzulernen, jetzt sind sie hier."
    Sie, das sind Nadja Lüders, Landtagsabgeordnete aus Dortmund, designierte Generalsekretärin der NRW-SPD, sowie der wohl künftige Vorsitzende, weil einzige Kandidat: Sebastian Hartmann.
    "Ich denke, wir fangen an mit dir, Sebastian."
    "Feuer frei."
    "Ja, liebe Genossinnen und Genossen. Eine Ergänzung, es war auch Nadjas und mein Wunsch, auch wenn wir noch nie so weit auseinander gesessen haben wie bei dieser Vorstellung heute Abend - weil Nadja und ich sind überall unterwegs, im ganzen Land."
    Der SPD-Bundestagsabgeordnete und Kandidat für den Landesvorsitz der NRW-SPD, Sebastian Hartmann, und die designierte Generalsekretärin der NRW-SPD, Nadja Lüders
    Der SPD-Bundestagsabgeordnete und Kandidat für den Landesvorsitz der NRW-SPD, Sebastian Hartmann, und die designierte Generalsekretärin der NRW-SPD, Nadja Lüders (picture alliance/ dpa/ Roland Weihrauch)
    Einladung zum Mitmachen
    Hartmann, 40 Jahre alt, Bundestagsabgeordneter aus dem Rhein-Sieg-Kreis bei Bonn, soll es werden: Neuer Parteichef im größten SPD-Landesverband, aus dem bundesweit jedes vierte Mitglied stammt. Rund 35 Termine hat er dafür in den letzten Wochen absolviert, Vorstellungstournee. In Münster, Paderborn, natürlich im Ruhrgebiet und nun eben in Düsseldorf. Zielgerade also, vor dem Parteitag am Samstag in Bochum. Hartmann, Jeans, weißes Hemd, Sakko, schwarze Aktentasche, ist aufgestanden:
    "Es ist am Ende nicht so, dass auf dem Landesparteitag nur ein Vorstand gewählt wird oder ein oder zwei Personen. Genossinnen und Genossen, ob das was wird und ob wir nach vorne gehen, das entscheiden wir gemeinsam, und es wird Euch alle brauchen. Deswegen meine herzliche Einladung zum Mitmachen."
    Und mitgemacht wird an diesem Abend: Gut zwei Stunden dauert die Debatte. Der Vertrauensverlust der SPD, die Frage nach Glaubwürdigkeit, aber auch Themen wie Wohnungsnot, Flüchtlinge und parteiinterne Strukturen kommen auf den Tisch. Hartmann, bis zu seinem Einzug in den Bundestag im Jahr 2013 unter anderem Mitarbeiter von Martin Schulz, wirkt wie ein eher ruhiges Gemüt, seine Antworten sind eher sanft im Duktus. Bald wird er grundsätzlich:
    "Wenn wir weiter Worte verwenden wie Ihr, die SPD, die Landespartei, der Vorstand - dann liebe Genossinnen und Genossen, wird das nichts. Das muss ich euch so deutlich sagen."
    "Ränkespiele der alten Herren"
    Mut, Hoffnung, Zuversicht. Das will er ausstrahlen. Dazu: staatliche Wohnungen, kostenlose Kitas, Ausbildung und Studium für alle. Und: Entwicklung von Leitdebatten, neue Kultur, Netzwerke knüpfen. Das sind Punkte auf einem Papier, das die beiden Kandidaten ausgelegt haben. Es ist ein neues, ein junges Team, das am Samstag in Bochum antritt – dessen Zustandekommen jedoch auch an diesem Abend zum Thema wird:

    "Da war der Vorstand, der hat sich also nach einem Jahr verpisst, um das mal auf den Punkt zu bringen. Die sind alle weg. Und dann ist also eine Personalfindungskommission eingesetzt worden. Ich hatte so ein bisschen den Eindruck, dass das Protokoll schon mitgeliefert worden ist."
    Ende März war das, als der Name Sebastian Hartmann auf einmal durchsickerte.
    "Als die Journalisten in Düsseldorf sich überlegt hatten, wer könnte in die großen Fußstapfen von Johannes Rau und Hannelore Kraft treten, wurden viele Namen durchgespielt. Der von Sebastian Hartmann war sicher nicht dabei. Im Gegenteil, viele mussten erst einmal nachschlagen, wer ist dieser Mann? Ein weithin unbeschriebenes Blatt aus dem Bundestag."
    Nicht nur Tobias Blasius, Landtagskorrespondent der "Westdeutsche Allgemeinen Zeitung", war überrascht. Doch, wie kommt es, dass Hartmann nun als einziger Kandidat antritt? Noch einmal Journalist Blasius:
    "Die NRW-SPD blickt eigentlich auf ein verlorenes Jahr seit der Landtagswahl zurück. Man hat die Zeit ungenutzt verstreichen lassen. Hat den Neuaufbau weder personell noch inhaltlich hinbekommen. Und Sebastian Hartmann ist sicherlich ein Produkt des Regionalproporzes, der in der NRW-SPD immer eine ganz große Rolle gespielt hat. Ohne die Ränkespiele der alten Herren in der NRW-SPD wäre er als Personalvorschlag so sicherlich nicht vorstellbar."
    Nordrhein-Westfalens SPD-Chef Michael Groschek
    Nordrhein-Westfalens Noch-SPD-Chef Michael Groschek (imago/Rene Traut)
    Groschek: "Wir haben eine Mischung gefunden"
    Hartmann stammt aus dem SPD-Parteibezirk Mittelrhein. Den alten Herren, also Ex-Fraktionschef Norbert Römer sowieso Interims-Parteichef Michael Groschek, soll es darum gegangen sein, den Kandidaten Martin Börschel, der ebenfalls aus diesem Bezirk stammt, als Fraktionschef zu verhindern. Das Kalkül: Durch den Kandidaten Hartmann sei dieser Bezirk abgedeckt, entsprechend könne die Fraktionsspitze mit Römers Zögling Marc Herter besetzt werden, der aus einem anderen Bezirk stammt. Doch das Kalkül ging nicht auf: Herter verlor die Kampfabstimmung gegen einen Dritten, den neuen Fraktionschef Thomas Kutschaty – und Hartmann hatte seinen Stempel als Ergebnis von Hinterzimmer-Kungeleien alter Herren weg.
    "Nein, was die Partei angeht, gab es noch nie so viel Transparenz wie bei diesem Mal", wiederholt dagegen Interimschef Groschek, der die Findungskommission mit leitete, immer wieder. Er spricht eher von einem Interessensausgleich:
    "Wir haben zum Beispiel neben Sebastian Hartmann - jetzt ganz neu - einen der erfolgreichsten Oberbürgermeister als Kandidat zum stellvertretenden Vorsitz, Sören Link aus Duisburg, der auch für eine klare Positionierung und klare Sprache steht. Wir haben eine ganz junge Generalsekretärin, die SPD-Chefin aus Dortmund, also: Wir haben schon eine Mischung gefunden."
    Doch, ob die reicht? Journalist Blasius ist skeptisch:
    "Gerade in NRW droht die SPD zerrieben zu werden zwischen den eher bürgerlichen SPD-Wählern, die längst bei den Grünen sind. Zwischen den sehr links orientierten Wählern, die längst das Original, die Linkspartei, wählen, und den Industrie-Arbeiter-Wähler-Milieus, die schon längst eben gerade im Ruhrgebiet zur AfD übergelaufen sind. Und das ist eine Riesenherausforderung. Wahrscheinlich sogar die schwerste für irgendeinen Landesverband der SPD überhaupt."
    Der SPD aus dem Bauch heraus vertrauen
    In Düsseldorf, bei den Genossinnen und Genossen, meldet sich gegen Ende ein älteres Mitglied: Man müsse wieder dahin kommen, "dass die Leute sagen: Scheiß auf Einzelfragen, bei der Partei fühle ich mich am besten aufgehoben, besonders auch bei Dingen, die ich noch gar nicht kenne. Nicht bei dem Punkt, den ich jetzt kenne, sondern - wenn morgen etwas Neues passiert, muss ich jemanden haben, der mir bei dem Problem, das ich noch gar nicht kenne, helfen wird. Da muss ich aus dem Bauch heraus sagen: Das ist die SPD."
    "Genau."
    "Das Gefühl muss wieder da sein, sonst kommen wir gar nicht weit."
    "Du hast genau den Plan verstanden."
    Beifall bei den Genossen – und auch Sebastian Hartmann wirkt einen Moment so, als könnte das was werden, als Parteichef an Rhein und Ruhr.