Dienstag, 16. April 2024

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SPD-Kanzlerkandidat Schulz
"Martin Schulz steht für den besseren Teil Europas"

Von Sigmar Gabriel sei es klug gewesen, einen Schlussstrich zu ziehen, sagte Johano Strasser, Schriftsteller und Politologe, im DLF. Martin Schulz sei besser in der Lage, als Kanzlerkandidat die SPD und deren Basis zu mobilisieren und die Auseinandersetzung mit den rechtsgerichteten Populisten zu führen.

Johano Strasser im Gespräch mit Martin Zagatta | 25.01.2017
    Johano Strasser, ehemaliger Chef des deutschen PEN
    Johano Strasser, Politologe, Schriftsteller und Mitglied der Grundwertekommission der SPD, begrüßte Sigmar Gabriels Verzicht auf die Kanzlerkandidatur in seiner Partei. (picture alliance/dpa/Uwe Zucchi)
    Martin Zagatta: Woher kommt diese Euphorie, diese Aufbruchsstimmung, die die Sozialdemokraten da jetzt zu verbreiten suchen? Das konnte ich am Abend den Schriftsteller Johano Strasser fragen, der auch der SPD-Grundwertekommission angehört. Herr Strasser, wieso ist diese Begeisterung in der SPD jetzt so groß? Was kann denn Martin Schulz besser als Sigmar Gabriel?
    Johano Strasser: Was ich ihm zutraue ist, dass er in dieser schwierigen Situation, in der wir uns in diesem Jahre 2017 befinden, einem Jahr, das in der Tat ein Schicksalsjahr für die Demokratie in Europa werden könnte, was ich ihm zutraue ist, dass er besser in der Lage ist, die Demokraten zu mobilisieren und in die Auseinandersetzung mit den rechtsgerichteten Populisten zu führen, sowohl in unserem Land als auch in Europa. Und ich glaube, dass Sigmar Gabriel dies auch so sieht, und insofern denke ich, dass das von ihm klug war, jetzt einen Schlussstrich zu ziehen und von der Kandidatur und vom Parteivorsitz zurückzutreten und Martin Schulz das machen zu lassen, denn das ist sicherlich der bessere Mann für diese Aufgabe.
    "Unterschiede werden charakterlich und von den Fähigkeiten so groß gar nicht sein"
    Zagatta: Warum eigentlich? Worin unterscheidet sich denn Schulz so wesentlich von Gabriel?
    Strasser: Ach Gott, die Unterschiede werden charakterlich und von den Fähigkeiten so groß gar nicht sein. Aber es ist einfach so, dass der Martin Schulz vom Temperament her ein anderer Mensch ist, dass er nicht vorbelastet ist. Die Schwierigkeit für Gabriel war ja auch, dass er das Amt des Wirtschaftsministers hat, das heißt der Leiter eines Ressorts, in dem man sozialdemokratische Politik nur sehr schwer machen kann. Es gibt ja kein Ressort, das so dem Lobbyismus ausgeliefert ist in der größten Industrie, wie dieses Ressort. Dies zu verbinden mit dem Amt des Parteivorsitzenden ist äußerst schwierig und das hat ihn auch natürlich daran gehindert, klare Konturen zu entwickeln. Und nach den Umfrageergebnissen, die ihn nun immer begleiteten, ließ sich daran auch kaum mehr etwas ändern. Insofern glaube ich, dass in der Tat der Martin Schulz mit seiner auch manchmal unverblümten plastischen Rede für diese Auseinandersetzung sehr viel besser geeignet ist.
    Zagatta: Wenn Sie Lobbyismus jetzt ansprechen, wie ist es denn da mit Schulz? Der war ja jahrelang ganz eng mit Jean-Claude Juncker und dessen Politik und steht damit ja fast für die Steuervermeidung von Großkonzernen in der EU. Passt das zusammen? Ist das nicht eine Belastung?
    Strasser: Nein, das ist ganz sicher nicht der Fall. Das Bündnis, das er mit Juncker eingegangen ist, war ein Bündnis zur Stärkung der Demokratie in Europa, insbesondere zur Stärkung des Europäischen Parlaments. Das war sein Gesichtspunkt und das hat er durchgedrückt. Mit diesen Steuergeschichten in Luxemburg hat er überhaupt nichts zu tun und in dieser Frage ist er auch immer sehr klar gewesen.
    Zagatta: Aber die sind doch ernsthaft nicht verfolgt worden.
    Strasser: Ja, das liegt an anderen Dingen, dass die Kommission natürlich der starke Arm der europäischen Institutionen ist, das Parlament, wie Sie ja sehr wohl immer bemerkt haben, auch sehr häufig einen anderen Kurs gehen wollte als die Kommission, und das ist auch das Werk von Martin Schulz gewesen. Nein, in diesem Punkt ist der Mann sauber und hat auch sehr klare Prinzipien, die er laut und mutig vertritt. Da setze ich ganz darauf, dass er das auch in den anstehenden Wahlkämpfen machen wird.
    "Zunächst einmal geht es darum, die AfD darf nicht erfolgreich sein bei den Wahlen"
    Zagatta: Herr Strasser, Martin Schulz hat seine Kandidatur jetzt auch sehr machtpolitisch begründet. Er hat gesagt, die SPD will den Kanzler stellen, egal in welcher Konstellation. Ist das jetzt die Öffnung hin zur Linkspartei, auch auf Bundesebene?
    Strasser: Das ist eine relativ zweitrangige Frage. Das Wichtigste ist, wenn man in dieser schwierigen Situation des Jahres 2017, wo es sein kann, dass in Europa tatsächlich die Demokratie nachhaltig beschädigt werden kann, was wir alle, die wir aufgewachsen sind im Westteil Europas, uns gar nicht mehr vorstellen können, dass dort ohne die Mobilisierung der SPD eine Mobilisierung der Demokraten in ausreichendem Maße nicht stattfinden wird. Darum geht es jetzt. Wie das immer dann letzten Endes arithmetisch ausgeht, das Wahlergebnis, das ist eine zweite Angelegenheit. Aber zunächst einmal geht es darum, die AfD darf nicht erfolgreich sein bei den Wahlen. Politiker, die einen Höcke reden lassen und ihn dann vorsichtig kritisieren, um dann hinterher wieder alles zurückzunehmen, solche Leute dürfen in dieser Gesellschaft nicht gesellschaftsfähig werden. Darum geht es. Es ist viel dramatischer die Auseinandersetzung.
    "Schulz wird die SPD und die SPD-Basis mobilisieren"
    Zagatta: Auf der anderen Seite lesen wir jetzt in Zeitungskommentaren und auch in den Zeitungen wie der "Frankfurter Allgemeinen", dass sich die AfD gerade freuen könnte, dass Martin Schulz da jetzt antritt, weil er repräsentiert das doch bei vielen verhasste Europa, diese EU mit ihrem schlechten Ruf. Sehen Sie diese Gefahr nicht, dass die AfD gerade davon profitieren kann?
    Strasser: Nein. Ich glaube, dass Martin Schulz für den besseren Teil Europas steht. Er steht für das Parlament, er steht für die Menschenrechtsorientierung dieses Europas und das verkörpert er auch ausgesprochen glaubwürdig. Ich glaube, dass er tatsächlich vor allen Dingen, wie man jetzt schon sieht, die SPD und die SPD-Basis mobilisieren wird. Die SPD hat so viele Parteieintritte in den letzten Wochen schon und jetzt noch mal wieder neu einen großen Zustrom von neuen Mitgliedern und die Reaktivierung alter Mitglieder, die sich weitgehend ins Schneckenhaus zurückgezogen hatten. Das ist entscheidend wichtig dafür, dass die Demokratie in Europa nicht Schaden leidet.
    "Von größter Bedeutung, dass Europa ein Hort der Demokratie und der Menschenrechte bleibt"
    Zagatta: Und wenn man es wahltaktisch betrachtet - und das muss man ja jetzt in diesen nächsten Monaten vor der Bundestagswahl. Sie haben ja vorhin gesagt, das steht erst mal im Hintergrund, es geht um die Mobilisierung. Aber viele Menschen werden das ja jetzt wahltaktisch betrachten. Ist da diese Öffnung hin zur Linkspartei, die er da heute angedeutet hat, ist das nicht eine Belastung dann auch im Wahlkampf?
    Strasser: Ich glaube nicht. Die Linkspartei ist in großen Teilen längst nicht mehr das, was sie einmal war. Alte SED-Kader gibt es so gut wie gar nicht mehr und es ist durchaus möglich, dass man auch eine Dreierkoalition macht, wenn es rechnerisch möglich ist. Für mich steht das nicht im Vordergrund. Für mich steht jetzt im Vordergrund, dass es auf keinen Fall dazu kommen darf, dass in Deutschland, in Frankreich, in Österreich, in meinem Heimatland Holland die Rechtspopulisten an die Regierung kommen und ähnliche Entwicklungen oder noch schlimmere als in Ungarn und in Polen eintreten. Für die Welt insgesamt ist es von größter Bedeutung, dass Europa ein Hort der Demokratie und der Menschenrechte bleibt, und darum geht es im Augenblick. Deswegen sind kleinkarierte wahltaktische und koalitionstaktische Erwägungen nebensächlich für mich.
    Zagatta: Martin Schulz ist sauber, sagt der Schriftsteller Johano Strasser, der auch der Grundwertekommission der SPD angehört und mit dem ich am Abend telefonieren konnte.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.