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SPD nach Sondierungsgesprächen
"Schulz kämpft um sein persönliches Überleben"

Die SPD ist zutiefst gespalten über die Neuauflage der Großen Koalition und ihre Ausrichtung. Die Rehabilitierung einer Partei funktioniere aber nicht in der Regierung und auch nicht in der Opposition, sagte der Politikwissenschaftler Karl-Rudolf Korte im Dlf. Dies geschehe "in der Regel über neue Personen."

Karl-Rudolf Korte im Gespräch mit Stefan Heinlein | 15.01.2018
    Der Politikwissenschaftler Karl-Rudolf Korte.
    Der Politikwissenschaftler Karl-Rudolf Korte (dpa/picture alliance/Karlheinz Schindler)
    Stefan Heinlein: Kurz vor dieser Sendung habe ich mit dem Politikwissenschaftler Karl-Rudolf Korte von der Uni Duisburg-Essen gesprochen und ihn gefragt, warum sich die SPD denn das Leben selber so schwer macht.
    Karl-Rudolf Korte: Ja, weil sie glaubwürdig bleiben möchte und weil sie in ihrer Geschichte immer auch diese organisatorischen Reformen hatte, demokratische Partizipation höhergestellt hat als andere. Das ist typisch, was wir im Moment erleben, für die Geschichte der SPD.
    Heinlein: Wird es tatsächlich jetzt noch zu einer Zitterpartie für Martin Schulz und den gesamten SPD-Vorstand?
    Korte: In Zeiten einer besonderen Beteiligungsarchitektur, in der die Basis so viel Macht bekommt, und auch die Funktionäre zudem unkalkulierbar in Tagesereignissen umhereiern, kann man manchmal schon sagen, die Führung selbst ja Schlangenlinien betreibt – kalkulierbar ist an diesem Prozess nichts, auch nicht der kommende Sonntag.
    Heinlein: Es war, wenn ich Ihre Worte richtig interpretiere, Herr Professor Korte, kein kluger Schachzug von Martin Schulz, jetzt das Ergebnis der Sondierungen erst einem Parteitag und später dann ja auch allen Genossen zur Abstimmung vorzulegen?
    "Kein kluger Schachzug"
    Korte: Es war kein kluger Schachzug, am Wahlabend viele Millionen SPD-Wähler zu enttäuschen, zu sagen, wir entziehen uns einer Regierungsverantwortung, also wie eine NGO aufzutreten, wie eine Nichtregierungsorganisation. Und es war ein noch größerer Fehler, nach dem Jamaika-Aus sofort zu sagen, wir sind noch immer nicht zur Verfügung. Politik muss ja Optionen sich offenhalten und nicht verstellen. Das ist der strategische Fehler gewesen.
    Dies mit der Basis jetzt oder den Funktionären, den verschiedenen Gruppierungen zu diskutieren, ist überhaupt kein Fehler, sondern das ist lebhafte Parteikultur. Wenn man überhaupt für Parteien werben will, dann auch dafür, dass man als Mitglied auch was zu sagen hat, und das kommt jetzt zum Tragen.
    Heinlein: Um es positiv zu wenden: Die SPD, die Genossen, das ist eine lebendige Partei, und bei der Union, bei den anderen Parteien ist das eher eine Führungspartei, die von oben her delegiert wird?
    Korte: Ja. Die Spannung zwischen Führung und Basis, zwischen Führung auch und Schlagfertigkeit, das ist natürlich ein Dilemma, um Kampagnenfähigkeit aufzuzeigen. Da zeigen sich dann oft Brüche. Aber grundsätzlich kann man das so sehen, wie Sie es skizzieren. Das eine ist durchaus eine Union als Staatspartei, die mit einem Regierungsauftrag immerwährend daherkommt, ganz offensichtlich, und vor dem Hintergrund programmatisch zu Ultrapragmatismus geworden ist. Früher hat man das Kanzlerwahlvereine genannt, profilmäßig schwer erkennbar inhaltlich, aber für die Mehrzahl der Wählerinnen und Wähler offenbar doch so kalkulierbar, dass man sie immer wieder gerne wählt.
    Heinlein: Warum ist denn das Grummeln an der Basis der SPD offenbar so viel lauter als an der Parteispitze oder dem hierarchischen Mittelbau der Partei?
    "Auch in der Opposition hat man nicht reüssiert"
    Korte: Es gibt mehrere Gründe. Der eine Grund hängt natürlich mit Wahlergebnissen zusammen, dass man den Eindruck hat, dass man diese Selbstverzwergung dadurch erlebt, dass man in Großen Koalitionen immer der Juniorpartner ist. Das sieht man auf Landesebene; der Juniorpartner verliert in Großen Koalitionen immer. Man vergisst aber, dass man auch verloren hat in einer Zeit, in der Schwarz-Gelb regiert hat. Auch in der Opposition hat man nicht reüssiert.
    Dann ist der Anspruch als Programmpartei, sich an Inhalten zu orientieren, automatisch so ausgerichtet, dass dann man daran vermessen kann, ob man diese Inhalte erreicht hat oder nicht. Man ist weniger pragmatisch im Alltag und wehrt sich dagegen, hat eine andere Diskurskultur.
    Dann ist grundsätzlich zwischen Funktionären und Basis eher eine Misstrauenskultur innerhalb der SPD. Bei Bundesparteitagen können Sie das sehr gut erleben, dass hier die Bühne eher nicht nur kritisiert wird als bei der Union, sondern auch es gibt so einen Vertrauensvorbehalt gegenüber allen, die oben auf der Bühne stehen bei der SPD. Das ist insofern das Gen, was bei der SPD drin ist, und dafür wirbt ja auch die Partei. Das hat nicht nur mit der aktuellen Konstellation der Großen Koalition zu tun, sondern das ist eine Linie, die sich durch die Formate der SPD geradezu durchzieht.
    Heinlein: Wie stichhaltig sind denn diese von Ihnen genannten Einwände vieler Genossen gegen eine Neuauflage der Großen Koalition? Wie berechtigt ist diese Sorge, dass man wieder nur der Juniorpartner in einer GroKo ist?
    "Ohne Merkel Rahmenbedingungen komplett anders"
    Korte: Die ist diesmal nicht berechtigt, weil man ja davon auszugehen hat, dass bei einer Neuwahl Frau Merkel nicht mehr dabei ist, so dass die Rahmenbedingungen für eine Wahl danach, nach der GroKo komplett anders wären. Und die kann man nicht kalkulieren. Von daher kann man nicht sagen, das gibt eine Wiederholung, wir verlieren. Dies ist die erste Große Koalition nach 1949, die fortgesetzt wird im Bund. Das ist auch etwas Besonderes, so dass man hier vielleicht auch keine Schlussfolgerungen einfach treffen kann. Und ist es nicht besser, selbst zu regieren, als von anderen falsch regiert zu werden, um diesen Satz von vor ein paar Wochen umzukehren? Es gibt durchaus Argumente, mit denen man das für Sonntag etwas aufhellen könnte, aber es gibt nicht die Logik, automatisch zu verlieren, weil die Rahmenbedingungen auf dem Wählermarkt ohne Frau Merkel in welchen Jahren auch immer komplett anders sein werden.
    Heinlein: Ein Einwand vieler Genossen gegen die GroKo ist ja auch die Sorge, dass man auf der Regierungsbank sich inhaltlich nicht erneuern kann, keine programmatische Frischzellenkur möglich ist. Ist dieser Einwand ebenfalls berechtigt? Gibt es keine Reha quasi in der Regierung?
    Korte: Es gibt die Reha nicht in der Regierung und es gibt sie auch nicht außerhalb in der Opposition. Es gibt die Reha in der Regel über neue Personen. Das was ein furioser Auftakt für die neue Regierung wäre, wäre ja auch die Auswahl komplett neuer Mannschaftsmitglieder, so dass man gar nicht den Eindruck hätte, dass die Fortsetzung der alten wiedererscheint. Wenn Sie nach Wien sehen, wie dort neue Personen nach oben gekommen sind, gerade um sich von den anderen Parteikadern abzusetzen, ist das interessant zu beobachten. Personen verändern sehr viel. Die können auch das abarbeiten, was aufgeschrieben worden ist, aber die Kräfte der Erneuerung setzen mit den neuen an und auch die Widerstände gegen bestimmte GroKo-Hauptakteure lassen nach, wenn diese keine besondere Rolle mehr übernehmen.
    "Schulz kämpft um sein persönliches Überleben"
    Heinlein: Wenn wir auf die Personen gucken, Herr Professor Korte, wieviel steht für Martin Schulz jetzt persönlich auf dem Spiel? Kämpft er auch um sein persönliches Überleben?
    Korte: Ja, eindeutig. Denn der hat ja alle Höhen und Tiefen durchgemacht. Er ist vor zehn Monaten mit 100 Prozent gewählt worden, hat diese hohe Projektion ausgelöst im positiven Sinne, diesen heiligen Martin-Hype geradezu, und hat dann auch die vielen Tiefen kennengelernt. Es ist nicht alles, was er in den letzten Wochen und Monaten betrieben hat, immer strategisch einsichtig gewesen, und mit diesem Vorwurf muss er leben.
    Heinlein: Was steht für die SPD auf dem Spiel bei einer Ablehnung der GroKo? Stürzt die Sozialdemokratie bei möglichen Neuwahlen dann in ein noch tieferes Tal?
    Korte: Es kommt darauf an, wer schuld ist letztlich, wie man die Schuld zuweist. Die Schuld kann ja auch bei Frau Merkel liegen, die keine Regierungsbildung hinbekommt, obwohl sie eine Mehrheit hat, zumindest von ihrer Partei her und was die Fraktionssitze anbelangt. Die Schuldfrage wird den Ausgang bestimmen und die Personen. Stellen Sie sich zwei neue Personen vor bei der Union und bei der SPD, Personennamen, die wir vielleicht noch gar nicht kennen. Dann ist die Wahlauseinandersetzung vollkommen neu und man kann nicht einfach Prozentwerte von jetzt in irgendeiner Weise für die Zukunft hochrechnen.
    Heinlein: Im Deutschlandfunk der Politikwissenschaftler Karl-Rudolf Korte. Wir haben das Gespräch aus Termingründen kurz vor dieser Sendung aufgezeichnet.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.