Donnerstag, 18. April 2024

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SPD-Politiker Arnold nach Bhutto-Mord besorgt

Der SPD-Politiker Rainer Arnold warnt vor politischem Chaos in Pakistan. Wenn im Norden des Landes die Kontrolle völlig entgleite, werde der Terrorismus auch im Nachbarland Afghanistan massiv gestärkt, sagte der verteidigungspolitische Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion zu den möglichen Auswirkungen der Ermordung der pakistanischen Oppositionsführerin Benazir Bhutto.

Moderation: Friedbert Meurer | 28.12.2007
    Friedbert Meurer: Der frühere Verteidigungsminister Peter Struck hat einmal gesagt: Die Sicherheit Deutschlands wird auch am Hindukusch verteidigt. Dieser Satz zielte auf Afghanistan ab, zumindest geografisch stimmt das aber auch für Pakistan. Am Telefon begrüße ich Rainer Arnold. Er ist der verteidigungspolitische Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion. Guten Morgen, Herr Arnold!

    Rainer Arnold: Schönen guten Morgen, Herr Meurer!

    Meurer: Pakistan gilt als Schlüsselland für die Bekämpfung des internationalen Terrorismus. Welche Folgen könnte es haben, wenn in Pakistan bürgerkriegsähnliche Verhältnisse herrschen?

    Arnold: Es sind zwei große Risiken mit Pakistan verbunden: Zum einen ist es eine Atommacht. Und wenn die falschen Leute dann an den Schalthebeln der Macht sitzen, ist das nicht nur ein regionales Risiko, sondern erhebliche Veränderung in der ganzen Welt. Und das zweite Risiko, das uns auch als Deutsche mit unseren Soldaten in Afghanistan sehr unmittelbar betrifft, ist, wenn im Norden Pakistans die Kontrolle völlig entgleitet, dies dann ein rechtsfreier Raum in jeder Hinsicht wird, wird der Terrorismus, der in Afghanistan natürlich unterwegs ist, massiv gestärkt. Beides ist verheerend für die ganze Staatengemeinschaft.

    Meurer: Nun gilt Präsident Musharraf sozusagen, oder er galt lange Zeit als Garant für die Sicherheit. Dann, als er den Ausnahmezustand ausrief, gab es dann doch etwas mehr Kritik an ihm. Muss man realpolitisch auf ihn setzen oder sich von ihm distanzieren?

    Arnold: Ich denke, man muss realpolitisch auf ihn setzen, weil die Alternative, radikale Islamisten sind ja keine ernsthafte Alternative. Allerdings muss man ihm auch sagen, er wird den Terrorismus nicht mit militärischem Druck überwinden können, sondern er muss auch gerade jetzt in dieser ernsten Situation in seinem Land auf die demokratische Opposition zugehen. Ich denke, es ist die einzige Chance, Demokratie, Zivilgesellschaft in solchen Ländern zu stärken. Dies ist die richtige Antwort im Kampf gegen den Terrorismus und nicht ausschließlich militärischer, polizeilicher Druck.

    Meurer: Sollte er die Wahlen am 8. Januar absagen?

    Arnold: Ich denke, dass diese Wahlen kaum mehr durchzuführen sind. Die ermordete Frau Bhutto war ein Hoffnungsträger der Demokraten in diesem Land. Ich glaube, die Opposition dort, auch die pakistanische Volkspartei, braucht Zeit, um sich wieder neu aufzustellen. Das gehört dann zur Fairness, denen auch diese Zeit zu lassen, damit in absehbarer Zeit wirklich richtige Wahlen stattfinden können.

    Meurer: Herr Arnold, was zählt das ganze internationale Engagement im Nachbarland Afghanistan, an dem sich ja auch die Bundeswehr erheblich beteiligt mit über 3000 Soldaten, wenn das viel größere Nachbarland Pakistan instabiler und radikaler wird?

    Arnold: Dann zählt dieses Engagement in Afghanistan doppelt, weil eines ist klar: Wenn Pakistan bis vor dem Abgrund steht oder gar scheitert, wäre fatal. Und deshalb ist umso wichtiger, dass Afghanistan dann ein stabiles Land werden kann. Wenn beide Länder diesen massiven Rückfall hätten, wäre dies eine Konfrontation in dieser Region, die weit, weit ausstrahlt, wenn man an die anderen Länder, wenn wir an den Iran denken, vieles andere mehr.

    Meurer: Wenn die Islamisten in Pakistan immer stärker werden insbesondere im Westen des Landes, wird das dazu führen, dass automatisch auch die Sicherheit in Afghanistan immer schwieriger wird? Sie wird es ja ohnehin schon.

    Arnold: In der Situation sind wir ja leider schon, dass Pakistan der Rückzugsraum, das Trainingsgebiet für den Terrorismus ist, der auch Afghanistan bedroht. Und auch die Deutschen im Norden sehen ja in der Region Kundus auch mit den Anschlag gestern, dass es tatsächlich so ist, dass aus Pakistan ständiger neuer terroristischer Nachschub nach Afghanistan einsickert.

    Meurer: Unter solchen Umständen kann da ISAF, die internationale Stabilisierungstruppe, überhaupt Erfolg haben?

    Arnold: Sie kann Erfolg haben, aber sie muss auch die notwendigen Möglichkeiten und Mittel in Afghanistan haben. ISAF ist insgesamt auf Kante genäht, um mit dieser Herausforderung umzugehen. Aber wir dürfen nicht vergessen: ISAF hat auch Erfolge in den letzten Jahren zu verzeichnen im humanitären Bereich, aber auch durchaus im militärischen Bereich. Wenn man dran denkt, dass diese lang umkämpfte Provinz Helmand jetzt eben doch wieder durch ISAF kontrolliert werden kann, ist man einen ganz, ganz wichtigen Schritt weitergekommen. Dies wird leider in der deutschen Debatte oft übersehen.

    Meurer: ISAF stellt im Moment oder hat zur Verfügung 40.000 Soldaten. Wie viele müssten es sein, um wirklich wirksam vorgehen zu können?

    Arnold: Ich denke nicht, dass wir Politiker vom Berliner Schreibtisch aus mit Zahlen operieren sollten. Wir sollten mit Fähigkeiten operieren, was muss ISAF können? Und dort ist es schon so, dass vor allen Dingen Transportfähigkeiten im Augenblick, Logistik, Hubschrauber fehlen, dass es aber auch schon so ist, dass sicherlich zu wenig Soldaten da sind, die mal für eine längere Zeit in einer Provinz bleiben können. Dies gilt allerdings immer nur so lange, bis die Afghanen selbst in der Lage sind, mit eigenen militärischen Mitteln dann in der Provinz für Sicherheit zu sorgen. Deshalb ist der Aufbau der afghanischen Armee letztlich der Schlüssel zum Erfolg in diesem Land.

    Meurer: Das wird noch ein bisschen dauern. Was genau muss Deutschland bis dahin machen?

    Arnold: Deutschland muss vor allen Dingen fest bei seiner Position bleiben, den Menschen in Afghanistan zu helfen, aber auch, wie Peter Struck damals sagte, unsere Interessen in Afghanistan mit zu verteidigen. Die Taliban setzen ja letztlich darauf, dass uns der Atem ausgeht. Und die brauchen das richtige Signal: Wir werden hier nicht aufgeben, sondern wir werden so lange dort bleiben, bis Afghanistan selbst eine eigene tragfähige Sicherheit hat. Das ist das eigentlich Wichtige. Das Zweite ist, in der Staatengemeinschaft dafür werben, dass die Strategie noch kohärenter wird. Die Ereignisse der letzten Tage mit der Ausweisung der zwei europäischen Diplomaten zeigt ja, dass die Kohärenz der Strategie ganz offensichtlich immer noch nicht hergestellt ist. Und das Dritte, was Deutschland tun sollte, ist, mit anderen NATO-Partnern zusammen, da muss Deutschland nicht immer als Erstes die Hand heben, überlegen, was muss zusätzlich geleistet werden. Auch diese Debatte darf man nicht einfach wegdrücken.

    Meurer: Ganz kurz: Sollte man auch mit gemäßigten Taliban verhandeln?

    Arnold: Das ist ja überhaupt nicht neu. Natürlich muss man mit seinen Gegnern verhandeln. Wir wissen doch, der Terrorismus ist nicht militärisch zu überwinden, also muss man mit seinen Gegnern auch reden. Die Briten haben dies übrigens gerade in der Provinz Helmand bereits zu Jahresbeginn 2007 getan und dort ja auch ein regionales Abkommen abgeschlossen, das einige Monate getragen hat. Präsident Karsai selbst tut es, sagt auch, dass man Verhandlungen führen sollte. Insofern ist es überhaupt nichts Neues. Und deshalb ist auch noch nicht ganz klar, warum die Diplomaten ausgewiesen wurden. Ist es ein Missverständnis, oder ist es ein Versuch von Herrn Karsai, nach innen Stärke zu zeigen? Ich denke, die EU sollte auch selbst versuchen, diese Vorgänge sauber aufzuarbeiten und zu klären.

    Meurer: Der SPD-Verteidigungspolitiker Rainer Arnold heute Morgen bei uns im Deutschlandfunk. Herr Arnold, besten Dank und auf Wiederhören.

    Arnold: Keine Ursache, schönen Tag noch.