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SPD-Politiker Johannes Kahrs zur Schulz-Nominierung
"Schulz ist eine gute Alternative zu Merkel"

Sigmar Gabriel habe die Konsequenzen daraus gezogen, dass sich seine Umfragewerte seit langem nicht mehr nach oben bewegt hätten, sagte der SPD-Politiker Johannes Kahrs im DLF. Mit Martin Schulz habe er jemanden vorgeschlagen, der am ehesten die Chance habe, Bundeskanzler zu werden - unter anderem darum, weil er nicht für die Kompromisse der Großen Koalition stehe.

25.01.2017
    Der SPD-Bundestagsabgeordnete Johannes Kahrs
    Der SPD-Bundestagsabgeordnete Johannes Kahrs (imago / Metodi Popow )
    Christiane Kaess: Am Telefon ist jetzt der SPD-Bundestagsabgeordnete Johannes Kahrs. Er ist Sprecher des Seeheimer Kreises in der SPD, dem konservativen Flügel der SPD-Fraktion. Guten Abend, Herr Kahrs.
    Johannes Kahrs: Moin!
    Kaess: Ist das die richtige Entscheidung?
    Kahrs: Ich bin ein großer Sigmar Gabriel Fan, werde es auch weiterhin sein, aber seine Begründung hat mich überzeugt, dass er gesagt hat, trotz der Erfolge, die er hatte, Frank-Walter Steinmeier wird nun Bundespräsident, Kaiser’s Tengelmann und viele andere Geschichten, haben sich seine Umfragewerte überhaupt nicht bewegt, waren wie betoniert am Boden. Und dann hat er halt gesagt, dann muss es jemand machen, der am ehesten die Chance hat, Bundeskanzler zu werden, und hat deswegen Martin Schulz vorgeschlagen. Das finde ich gut, das akzeptiere ich und ich glaube, dass die Partei sich da sehr geschlossen hinter versammelt.
    "Schulz ist jemand, der nicht für die Kompromisse dieser Großen Koalition steht"
    Kaess: Sie sagen, Sie sind Fan von Gabriel, und der Seeheimer Kreis hat ihn ja auch ermuntert zum Kanzlerkandidaten. Wie sehr müssen Sie sich denn jetzt verbiegen, um Schulz gut zu finden als Kanzlerkandidat?
    Kahrs: Wir haben auch immer gesagt, dass wir viele Kandidaten haben, die das können. Martin Schulz ist einer von denen. Ich bin mit Martin Schulz immer gut klar gekommen. Ich glaube auch, dass er das kann. Deswegen, glaube ich, muss ich mich überhaupt nicht verbiegen. Der Vorteil hier ist, dass man die ganze Partei da versammeln kann, und man hat jemanden, der nicht für die Kompromisse dieser Großen Koalition steht, sondern man hat jemanden, der von außen kommt, frei und unbelastet ist und direkt auch Frau Merkel angreifen kann, eine Alternative ist.
    Kaess: Das heißt, das ist auch eine definitive Absage an eine neue Große Koalition?
    Kahrs: Ich glaube, in dieser Wahl wird es überhaupt keine Koalitionsaussagen geben. Keine Partei wird das tun. Sondern hier geht es darum, dass jede Partei für sich so stark wie irgend möglich wird, um dann zu gucken, was geht. Die Umfragen sind ja auch so, dass in den letzten Wochen und Monaten jede Partei ordentlich rauf oder runtergegangen ist. Ich glaube, da ist viel Luft.
    Kaess: So hat es ja Gabriel auch dargestellt, dass er diese Entscheidung getroffen hat, weil er selber für die Große Koalition steht. Sie haben das gerade auch noch mal so benannt. Wie soll man diese Entscheidung denn anders verstehen als eine definitive Absage an ein neuerliches großes Koalitionsbündnis?
    Kahrs: Sigmar Gabriel hat das ja nicht gemacht, weil er für die Große Koalition steht, sondern weil seine Umfragewerte so niedrig sind und weil er auch für diese Kompromisse steht. Und jetzt geht es darum, dass die SPD zum Beispiel mit dem Thema Bürgerversicherung im Bereich Gesundheit angreift, Alternativen aufzeigt, auch gerade im Bereich innere Sicherheit aufzeigt, dass wir dafür verantwortlich sind, dass wir die neuen Stellen bei der Bundespolizei gewollt und durchgesetzt haben, und das sind Punkte, die man natürlich auch sehr gut machen kann, wenn man von außen kommt, nicht in den Zwängen dieser Großen Koalition ist, wenn man als Kanzlerkandidat dagegen antritt.
    "Schulz ist eine gute Alternative zu Frau Merkel"
    Kaess: Sigmar Gabriel hat auch gesagt, das was ich bringen konnte hat nicht gereicht. Warum war das so?
    Kahrs: Ich glaube, wenn Sie in einer Großen Koalition sind und sind Juniorpartner, dann fährt der große Partner häufig die Erfolge ein. Das war bei Rot-Grün bei uns auch so mit Gerhard Schröder und das hat den Grünen nicht nur gutgetan. Wir haben uns zwar inhaltlich in vielen Punkten durchgesetzt, zum Beispiel beim Mindestlohn, aber das zahlt halt nicht immer bei uns ein, und Martin Schulz ist jemand, der nicht diese Zwänge hat. Der steht eben auch für ein Europa, das Probleme löst, wenn man sich das Umfeld gerade anguckt, und der hat die Kontakte auf europäischer Ebene, um Dinge zu bewegen. Ich glaube, dass er eine gute Alternative ist zu Frau Merkel. Ich glaube, das war kein guter Tag für Frau Merkel. Die SPD wird jetzt geschlossen und mit viel Freude im Herzen angreifen.
    "Wir sind eine anstrengende Partei"
    Kaess: Das schlechte Standing von Sigmar Gabriel, ist da eventuell auch die SPD mit dran schuld, wenn wir uns mal das schlechte Ergebnis auf dem Parteitag bei seiner Wiederwahl zum Vorsitzenden angucken? Hat die Partei ihn eventuell auch einfach zu wenig unterstützt?
    Kahrs: Ich glaube, die SPD ist keine einfache Partei. Die CDU hat es da einfacher, die will regieren, Inhalte sind da meistens ziemlich egal, Hauptsache man stellt den Kanzler. Bei uns ist es so: Wir kämpfen für viele Ideen, für Inhalte, wir streiten. Wenn man dann Kompromisse machen muss in so einer Großen Koalition, dann geht es dem einen zu weit, dem anderen nicht weit genug. Das ist zermürbend, das ist anstrengend. Wir sind eine anstrengende Partei. Das ärgert mich manchmal, aber gleichzeitig liebe ich meine Partei gerade aus diesem Grunde. Deswegen ist die SPD eine Partei, die sich mehr über Inhalte definiert, und deswegen sind wir nicht immer einfach. Aber ich glaube, deswegen haben wir auch so viel in den letzten Jahren durchsetzen können.
    Kaess: Und wenn wir bei den Inhalten sind, Martin Schulz hat jetzt in seinem ersten Statement gesagt, der Schwerpunkt werde auf "gerecht und fair" liegen. Womit wird er denn in den Wahlkampf ziehen?
    Kahrs: Na ja. Ich glaube, das ist zu früh, ihn das jetzt gleich am ersten Tag zu fragen. Wir werden einen Parteitag machen, da wird ein Wahlprogramm vorher entwickelt, das wird dann vorgestellt.
    "Es gibt keinen Bundesparteitag der letzten Jahre, wo Martin Schulz nicht dabei war"
    Kaess: Aber er muss ja für irgendetwas stehen. Man will ja wissen, wofür er steht.
    Kahrs: Na ja, gut. Aber Martin Schulz ist ja kein unbeschriebenes Blatt.
    Kaess: In der Bundespolitik schon!
    Kahrs: Ja. Aber auch die Themen, die er auf europäischer Ebene betrieben hat, kann man natürlich mit übersetzen. Und ehrlicherweise steht die SPD auch für etwas und er da mit. Zum Beispiel der ganze Bereich Bürgerversicherung. Es gibt keinen Bundesparteitag der letzten Jahre, wo Martin Schulz nicht dabei war, wo er nicht wesentlich war, wo er nicht Inhalte mit geprägt hat. Er war unser Spitzenkandidat in Europa. Das ist, glaube ich, nicht wirklich das Problem, sondern jetzt muss man gucken, dass natürlich die kleinsten Feinheiten dessen, was wir in Berlin täglich machen, das ist etwas, was er sich jetzt angucken muss. Das, glaube ich, ist aber wirklich nicht das Problem. Wir haben mal Gerhard Schröder aufgestellt, das war im April/Mai, und haben ihn zum Kanzlerkandidaten gemacht und im September war die Wahl. Das läuft!
    Kaess: Herr Kahrs, sie gehören zu denjenigen, die von Gabriels Entscheidung aus den Medien erfahren haben. Fühlen Sie sich überrumpelt?
    Kahrs: Ehrlicherweise erwarte ich das sogar so. Wir sind in einer Partei, da sehe ich den Parteivorsitzenden …
    Kaess: Sie erwarten, dass Sie von den Medien darüber informiert werden, wer Kanzlerkandidat Ihrer Partei wird?
    Kahrs: Wissen Sie, ich mache das seit 19 Jahren. Wir haben heute keine Präsidiumssitzung der CDU, der SPD, der Grünen, aus der nicht heraus getwittert wird, aus denen heraus nicht was weitergegeben wird. Natürlich ist es so, dass es immer einen sehr engen Kreis von Menschen geben muss, die Entscheidungen fällen. Dafür wähle ich Parteivorsitzende, Fraktionsvorsitzende, Kanzlerkandidaten, damit die solche Vorschläge machen, die dann die Partei danach berät. Dass das selbstverständlich dann so schnell in den öffentlichen Medien ist und uns eher erreicht, als dass das die eigentlichen Kandidaten tun können, das ist eine naturgegebenermaßene Sache. Wäre das im Präsidium gewesen, dann hätten wir es in der Bundestagsfraktion auch über Twitter gehört.
    Kaess: Herr Kahrs, es kann ja noch nicht einmal die Rede sein von einem kleinen Kreis. Es waren wahrscheinlich nur zwei Leute, Sigmar Gabriel und Martin Schulz. Würden Sie zumindest sagen, die Abstimmung in der SPD-Spitze lässt zu wünschen übrig?
    Kahrs: Die haben ja in den letzten Wochen alle sehr häufig miteinander geredet und ehrlicherweise glaube ich, bei den Verhältnissen, die wir heutzutage haben, was veröffentlichte Meinung angeht und die Erreichbarkeit und wie jeder über jeden schreibt und twittert, ist das der Weg, wie es läuft. Das kann man gut finden, das kann man schlecht finden. Ich habe da kein Problem mit.
    Kaess: … sagt der SPD-Bundestagsabgeordnete Johannes Kahrs. Danke für Ihre Zeit heute Abend.
    Kahrs: Immer gerne!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.